Ich bin dafür, dass die Natur eigene Rechte erhält

von Yvonne Adhiambo Owuor

Das neue Polen (Ausgabe III/2021)

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Der neuseeländische Fluss Whanganui besitzt seit 2017 die gleichen Rechte wie ein Mensch. Foto: Tim Clayton/Corbis via Getty Images


Wir sollten es wagen, der Natur eine rechtliche Identität zu geben, mitsamt allen Rechten, die uns Menschen zustehen. So würde unsere Aufmerksamkeit dafür geschärft, dass die Natur ein Recht auf Unversehrtheit hat. Es könnte helfen, unseren furchtbaren Raubbau an der Natur und deren Ressourcen zu beenden, der in der globalen Krise gipfelt, die wir „Klimawandel“ nennen. In einigen Weltregionen wurden bereits Schritte in diese Richtung unternommen. Im März 2017 erhielt der 290 Kilometer lange Fluss Whanganui in Neuseeland eine in der Verfassung verankerte juristische Identität, die ihm dieselben Rechte zuspricht, wie sie auch ein Mensch hat. Nach einem 140 Jahre andauernden Verfahren wurde dies in der Te-Awa-Tupua-Verordnung festgeschrieben, in der es heißt: „Te Awa Tupua ist ein unteilbares, lebendiges Ganzes, das den Fluss Whanganui von den Bergen bis zum Meer umfasst und alle seine physischen und metaphysischen Bestandteile einschließt.“ Mit anderen Worten: Der Fluss gehört sich nun von Rechts wegen selbst.

Ecuador hat 2008 ebenfalls die Rechte der Natur in seine Verfassung aufgenommen. Dort heißt es: „Wir [...] beschließen hiermit, dass wir eine neue Form öffentlicher Koexistenz schaffen wollen, in Diversität und in Harmonie mit der Natur, um [eine] gute Lebensweise zu gewährleisten.“ Bolivien regte bei den Vereinten Nationen an, den 22. April zum „Internationalen Tag der Mutter Erde“ zu machen. Im Jahr 2011 verabschiedete die bolivianische Regierung das erste Gesetz weltweit, das der gesamten Natur dieselben Rechte zuspricht wie den Menschen. Das „Mutter Erde-Gesetz“ ist inspiriert von der spirituellen Weltauffassung der indigenen Andenbewohner, für die die „Mutter Erde“, die „Pachamama“, das Zentrum allen Lebens bildet.

„Wie lange noch sollen wir ein hohles Dasein führen, losgelöst vom Humus, der die physische Grundlage unserer Zugehörigkeit ist? Müssen unsere Kinder einer virtuellen Realität untertan sein, während vor ihren Fenstern der Wind heulend um ihre Beachtung bettelt?“

Es ist höchste Zeit, dass andere Länder ihrem Beispiel folgen. Wir müssen darüber nachdenken, was es bedeutet, Mensch zu sein auf einem Planeten, der erschöpft ist von all dem Schmerz, den wir ihm zugefügt haben. Wir müssen den furchtbaren Kult der Ausbeutung aufgeben, der auf der Annahme basiert, dass natürliche Ressourcen unerschöpflich sind. Wie lange noch sollen wir ein hohles Dasein führen, losgelöst vom Humus, der die physische Grundlage unserer Zugehörigkeit ist? Müssen unsere Kinder einer virtuellen Realität untertan sein, während vor ihren Fenstern der Wind heulend um ihre Beachtung bettelt?

Es ist an der Zeit, dass wir uns von der Gier freimachen, Landschaften zu unterteilen, mit Eigentumsrechten zu versehen und den Schatz unserer Umwelt in ein objektiviertes Stück Besitz zu verwandeln. Die Natur als Rechtssubjekt anzuerkennen ist eine Einladung an uns Menschen, ein wesentlicher Teil der „Natur“ zu sein – ein Wort, das in den meisten außereuropäischen Kulturen keine separate Instanz ist, sondern ein Synonym für das Universum und das Leben selbst. So könnte das Staunen und die Ehrfurcht wieder Teil der menschlichen Reise werden. Ich stelle mir vor, wie eine globale Bewegung von Waldschulen unter freiem Himmel in Gang gesetzt wird, die ihren Schülern beibringen, das Buch der Natur zu lesen – ganz so, wie es etwa der Massai-Älteste Ezekiel ole Katato aus Kenia tut, der die Regeln der Natur seiner Heimat Kajiado vermittelt.

Man stelle sich vor, was die Auswirkung einer tieferen Beziehung zur Natur und damit zu unseren Mitmenschen sein könnte! Sogar unsere Begeisterung für die großen Nekropolen, die wir als „Städte“ preisen, könnte gedämpft werden. Wenn wir uns der Verbundenheit zwischen Mensch und Natur stärker bewusst werden, könnten wir neu erlernen, wie wir mit Zärtlichkeit durch die uns umgebende Landschaft gehen. Es könnte neue Fragen aufwerfen, unsere vorgefertigten Annahmen auf den Kopf stellen und uns von der Phantasie unseres Besondersseins befreien, mit der wir die nicht menschliche Natur marginalisieren.

So könnte die Umweltkrise für uns zu etwas werden, das uns alle unmittelbar angeht – und nicht mehr weit entfernt erscheint. Unsere zerfaserte Aufmerksamkeit würde wieder Räume finden, in die wir uns zurückziehen könnten, um der Stille zu begegnen. Lasst uns wieder ein tiefes Gespür für die Sonne entwickeln, damit sie unsere Seelen erwärmt.

Aus dem Englischen von Caroline Härdter



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