Reise in die algerische Weite
Auf dem Flug von Algier nach Adrar fragte mich eine spanische Touristin in gebrochenem Englisch, wo man nach unserer Landung am Zielort Euro in Dinar umtauschen könne. Ich begriff, dass sie in ein Land gekommen war, über das sie nichts gelesen hatte.
Ich wollte ihr diese Uninformiertheit nicht vorhalten, denn Algerien ist ein Land, das keinerlei Eigenwerbung macht und sich selbst genug ist wie eine Schnecke in ihrem Gehäuse. Ich erklärte ihr, dass es hier keine Wechselstuben wie in anderen Ländern gebe. Sie müsse sich stattdessen im Souk nach einem Händler durchfragen, der ihr das Geld wechselt, das sei dann aber nicht ganz legal.
Sie war überrascht und blickte verdrießlich drein, und ich war meinerseits verdutzt darüber, wie nachdrücklich sie darauf bestand, dass es doch irgendwo noch eine Möglichkeit zum Umtausch geben müsse. Ich wünschte ihr viel Glück.
Dann sah ich durchs Fenster und beobachtete den Propeller an der Tragfläche, dessen Dröhnen im Gegensatz zu der Ruhe des Ortes stand, zu dem ich unterwegs war. Ich dachte darüber nach, was Europäer wohl dazu bringt, in die Sahara zu fliegen. Vielleicht brauchen sie eine Auszeit von der Hektik und der Verwertungslogik ihres Alltags? Suchen sie einen Ort, an dem sie zu sich selbst zurückfinden und ihre Ängste ablegen können?
„Wenn Muslime nach Mekka pilgern, warum sollten dann nicht Europäer in die Wüste reisen, um sich von Zivilisationskrankheiten zu heilen?“
Ich musste an Isabelle Eberhardt denken, eine schweizerische Schriftstellerin und Reisende, die aus dem kalten Genf in die Wüste gezogen war wie so manche französische und deutsche Literaten und Künstler des 19. und 20. Jahrhunderts. Wenn Muslime zur Reinigung ihrer Sünden nach Mekka pilgern, warum sollten dann nicht Europäer in die Wüste reisen, um sich von Zivilisationskrankheiten zu heilen?
Kurz vor der Landung wandte sich die Spanierin noch einmal an mich und äußerte die Befürchtung, dass sie ihr Taxi ins Hotel nicht würde bezahlen können, wenn sie ihr Geld nirgends in Dinar eintauschen könne. „Zahlen Sie doch in Euro“, wollte ich ihr zuerst antworten, aber dann versicherte ich ihr, ich würde die Taxikosten für sie übernehmen, woraufhin sie sich erleichtert zurücklehnte und mich mit Worten großer Dankbarkeit bedachte.
Knappe drei Stunden hatte der Flug gedauert, und nun setzten wir auf der Landebahn eines Flughafens auf, der so stark von Sand bedeckt war, dass man kaum etwas erkannte. Das Flugzeug wurde bei der Landung durchgeschüttelt wie eine Metallfeder und nach wenigen Minuten hielt es an. Die Passagiere machten Gesichter, als hätten sie in einer Lotterie gewonnen.
Dann sollten wir aussteigen. Die Szenerie auf dem Rollfeld hätte eine gute Kulisse für einen Film abgegeben, der zu Beginn des letzten Jahrhunderts spielt, denn gerade erst war ein Sandsturm über den Flughafen hinweggezogen, und die staubige Luft erschwerte die Sicht. Ein junger Mann wickelte sich eilig einen Turban um den Kopf; er war von hier, vermutete ich.
Außer ihm dachte niemand daran, Haar, Augen und Nase mit einem Tuch, das auch die untere Gesichtshälfte bedeckt, vor dem aufwirbelnden Sand zu schützen. Die spanische Reisende stieg mit mir aus und fand ein Taxi vor, das ihren Erwartungen in Sachen Sicherheit definitiv entsprach: Sie hatte nicht gewusst, dass die Polizei sie ins Hotel bringen würde. Nun lächelte sie.
Ausländer und Ausländerinnen genießen in der algerischen Wüste einen besonderen Schutz, obgleich die Sicherheit dort längst wiederhergestellt ist. Anders als vor einigen Jahren ist dort niemand mehr in Sachen Waffenhandel oder Benzinschmuggel unterwegs. Die Wüste ist wieder ein einsamer Ort. Aber ich bin kein Tourist. Ich bin nur ein Staatsbürger, und deshalb bringt mich kein Polizeiauto an meinen Bestimmungsort.
Die Spanierin winkte mir noch zu, als sie den Flughafen verließ, während ich auf das Taxi wartete, das ich vorbestellt hatte. Ich rief den Fahrer an, aber niemand nahm ab. Die Zeit schien mir nur langsam zu vergehen, es war, als ob die Uhrzeiger sich weigerten, voranzurücken.
Auch die Bewegungen der Menschen um mich herum waren bedächtig, ganz anders als in der Hauptstadt. Sie sprachen ruhig und agierten so langsam wie Schachspieler. Es war der 27. Oktober 2023, und mir stand auf meiner Reise noch eine weitere beschwerliche Etappe bevor, von Adrar nach Timimoun.
Ich wartete weitere zwanzig Minuten, dann kam mein Fahrer plötzlich fröhlich lächelnd auf mich zu. Statt sich für seine Verspätung zu entschuldigen, wunderte er sich darüber, dass ich so pünktlich gelandet war. Und er hatte ja recht. „Normalerweise landen hier alle Flüge verspätet“, sagte er.
Ausnahmsweise war mein Flugzeug wie geplant angekommen, und es war mir dem Fahrer gegenüber fast peinlich. Sollte ich mich bei ihm entschuldigen? Wenn man in der Sahara ein Treffen vereinbart, kommt man so gut wie nie genau um die angegebene Uhrzeit. Wer es doch tut, gilt als übereifrig.
„Das Laufen über Sand hat die Menschen gelehrt, jeden Schritt mit Bedacht zu tun, denn im Sand lauern oft unangenehme Überraschungen“
Hier schätzt man Langsamkeit. Das Laufen über Sand hat die Menschen gelehrt, jeden Schritt mit Bedacht zu tun, denn im Sand lauern oft unangenehme Überraschungen. Außerdem beeinflusst die Sonne, die hier immer scheint, die Hormone offenbar dahingehend, dass man träge wird. Sie bewirkt, dass die Menschen der Zeit beim Vorbeigehen zusehen und sich von ihr nicht so unter Druck setzen lassen wie die Bewohner im Norden des Landes, die immer der Uhr hinterherhasten.
Wir fuhren in nördlicher Richtung aus Adrar hinaus. Zwar verändert sich hier alles, der Zement verdrängt den Sand und die Straßen sind asphaltiert, aber der Geruch der Wüste ist überall. Zypressen wachsen unaufhörlich, umgeben von Dornengewächsen und grünen und violetten Pflanzen. Es wird Herbst, aber es ist immer noch heiß. Alle tragen Sommerkleidung, und alle paar Hundert Meter stehen am Straßenrand Wasserkrüge für Durstige. In Adrar ist Trinken wichtiger als Essen. Im Sommer können die Temperaturen auf über fünfzig Grad steigen. „In ein Haus ohne Klimaanlage treten keine Engel ein“, meinte mein Fahrer.
Und was machen Leute, die keine Klimaanlage haben, zumal ältere? Ich erhielt keine Antwort mehr, denn wir verließen Adrar und fuhren nun auf der Schnellstraße nach Timimoun. Der Himmel hatte dieselbe Farbe wie die Erde, es regnete Sand, und immer weniger Palmen waren zu sehen, je weiter wir kamen. Beiderseits der Straße erhoben sich felsige Berge, die als Kulisse für einen Western hätten dienen können. Unterdessen sprach der Fahrer ein Stoßgebet, dass uns die Windhosen verschonen mögen. „Das Internet funktioniert hier nicht, und wenn eine Windhose kommt, sieht man die Begrenzungspfeiler an der Straße nicht mehr. Man weiß dann nicht mehr, wo man hinfährt.“
„Vielleicht versprechen die Götter ihren Gläubigen ein Paradies im Himmel, um die Wüste für sich allein zu haben“
Ich fragte mich, wie viele Menschen sich auf dieser Strecke schon verirrt haben mochten. In die Wüste hineinzufahren, ist etwas anderes, als aus ihr wieder herauszufinden. Ich sah nirgends etwas, woran man sich hätte orientieren können, kein Café, kein Restaurant, keine Tankstelle, kein Sonnendach. 210 Kilometer lang ist die Strecke nach Timimoun. Sie besteht aus Sanddünen und steinigen Höhenzügen, und Gott sieht aus seinem Reich von oben auf uns herab.
Der Horizont erstreckt sich über die gesamte Landschaft, nichts hält den Blick fest. Der Himmel legt sich auf die Wüste, umarmt sie und küsst sie. Es ist, als hätte sich ein Spalt im Himmel geöffnet, durch das der Herr gleich herabsteigt, um ein Schläfchen im Sand zu halten. Ich weiß nicht, was die Götter im Himmel tun, während die Wüste allein auf der Erde liegt. Vielleicht versprechen sie ihren Gläubigen ein Paradies im Himmel, um die Wüste für sich allein zu haben.
Die Straße war kaum befahren, nur dann und wann kam uns ein Fahrzeug entgegen, und zuweilen mussten wir an einem Kontrollpunkt anhalten, an dem stumme Polizisten standen. Einmal wurden die Fahrzeugpapiere überprüft, dann wieder wollte ein Beamter, dem langweilig war, ein Schwätzchen über Wetter, Fußball oder Politik halten. In der Ferne schienen Lichter kleiner Siedlungen auf. Der Fahrer versuchte, Musik über YouTube abzuspielen, um unser Schweigen zu durchbrechen, aber ohne Erfolg. Auch das Handynetz funktionierte nur hin und wieder.
Wenn ich einen Anruf bekam, brach die Leitung gleich wieder ab. Hier könnte man sich gut absetzen. Wenn man sich ein Zelt abseits der Straße aufbauen würde, hätte man Ruhe vor dem Druck des Lebens. Man könnte mit Gott sprechen statt mit Menschen. Früher haben Regierungen in Algerien Oppositionelle in die Wüste verbannt, weil sie dachten, dort würde ihnen ihr politischer Eifer schon vergehen, aber wenn sie aus ihrem Exil zurückkamen, waren sie noch erbittertere Gegner geworden. Die Wüste hatte ihnen auf eine Weise neues Leben eingehaucht, wie es anderswo nicht geschehen wäre.
Die Straße nach Timimoun wirkt wie der Weg in eine Stadt im Wunderland von Alice. Die Strecke war so lang, dass dem Fahrer der Gesprächsstoff ausging und wir schweigend das Meer aus Sand durchquerten. Ich sah Echsen dahinhuschen und stellte mir vor, wie glücklich ihr Leben weit weg von allen Menschen sein muss. Vögel waren gar nicht zu sehen. Welches Tier sollte es auch wagen, durch diese Feuerhitze zu fliegen? Man kann zwar in der Wüste einen Brunnen bohren und so an Wasser gelangen, aber das einzige Wasser, das ich mit mir führte, war das in einer Flasche, die ich mir in einem Café in Adrar gekauft hatte.
Als die Sonne unterging, wurde die Temperatur erträglich. Durch das Seitenfenster wehte Luft herein, und wir näherten uns Timimoun. Die Nacht ist hier angenehmer als der Tag. Bei Dunkelheit verschwindet die endlose Weite, an deren Ende der Himmel den Sand berührt. Finsternis umschließt die Landschaft, und die Menschen können sich von der unerbittlichen Sonne erholen.
„Bei Dunkelheit verschwindet die endlose Weite, an deren Ende der Himmel den Sand berührt“
Als wir schließlich in Timimoun ankommen, erinnert mich die Nacht mit ihrer in Wellen sich ausbreitenden Ruhe und der sich erhebenden Stille an ein Gedicht von Goethe. Geräusche ersterben, und der Himmel wird zu einem mit Sternen dekorierten Gemälde. Ich blicke nach oben und versuche die Planeten zu benennen, wie wir es in der Schule gelernt haben, aber mein Gedächtnis lässt mich im Stich. In Timimoun geht es allerdings auch nicht darum, sich angestrengt an etwas zu erinnern, sondern darum, den Augenblick in seiner Reinheit zu leben.
Von Zeit zu Zeit fährt ein Motorrad vorbei, aber schon bald verliert sich sein Lärm. Die Cafés schließen langsam, Teegläser werden abgeräumt. Nun ist es Zeit, etwas Haschisch zu rauchen und sich Geschichten anzuhören, etwa über die Befestigungsanlagen aus roten Ziegelsteinen, die heute jenseits der Stadtgrenzen liegen. Sie sollten Timimoun früher vor Angreifern schützen.
Noch heute stehen sie da, in runder oder viereckiger Form, und es heißt, dass Geister sie nun bewohnen. Es folgen weitere Geschichten, solche über Vorfahren, die die Wüste zu Fuß und ohne einen Tropfen Wasser durchquert haben, über Fabelwesen, die unvermittelt aus dem Sand auftauchen. Diese Erzählungen, die einen in eine Traumwelt tragen, enden erst im Morgengrauen. Wenn die Sonne über die Hügel kriecht, verstummen die Menschen, so wie Scheherezade in „Tausendundeine Nacht“, und überlassen ihre Stadt dem Souk, wo das lärmende Treiben nun beginnt.
Im Marktviertel wird alles gekauft und verkauft, von Kleidung über Lebensmittel bis zu Medikamenten. Händler preisen ihre Waren lautstark auf Arabisch oder in einem Dialekt der Berber an. Vor gerade mal vier Jahrzehnten wurde auf diesem Markt auch noch mit etwas anderem gehandelt: Sklaven! Dieses historische Kapitel ist abgeschlossen, aber richtig aufgeschrieben hat es niemand, sodass es weitgehend dem Vergessen anheimgefallen ist.
Nun kreisen Touristen um die Verkaufstheken, und ich halte Ausschau, ob wohl jene Spanierin dabei ist, die mich im Flugzeug gefragt hat, wo sie Geld wechseln könne. Ich sehe sie nicht, hoffe jedoch, sie möge verstanden haben, dass die algerische Wüste ihre Temperatur wechselt, aber keine Devisen. Sie ändert ihre Gestalt, aber nicht ihre Geschichte.
Auf der Hauptstraße der Oase herrscht ein beständiges Kommen und Gehen. Die Leute tragen Gandoura-Gewänder und Turbane, um sich vor der Sonne zu schützen. Die Frauen suchen sich schattige Plätzchen, und Kinder spielen in staubigen Gassen zwischen Häusern aus Lehmziegeln, die wenig Wärme hereinlassen und möglichst viel kühle Luft aus den Klimaanlagen im Inneren behalten.
Keinem Besucher entgehen die weiß gestrichenen Kuppeln in der Stadt, unter denen Volksheilige in Gräbern ruhen, Sufis, die den Islam hierherbrachten und die Timimoun seit Jahrhunderten bewohnen. Anders als im Norden begegnet man hier aber keiner eifernden Frömmigkeit, sieht keine langen Bärte oder Gesichtsschleier.
„In Timimoun sind alle gleich, sie kleiden sich ähnlich, sie wohnen in ähnlichen Häusern und trinken denselben heißen grünen Tee“
Die Menschen leben hier in Harmonie zusammen, sie respektieren Fremde und Durchreisende ebenso wie fromme und weniger fromme Muslime, und sie geben ihren Glaubensbrüdern ebenso die Hand wie Christen und Juden. Einige Kilometer außerhalb der Stadt wiederum kampieren die Tuareg, die ihr Brot in heißer Asche im Sand backen und dann und wann in die Stadt kommen, um ihre Kamelmilch oder ihre Handwerkskunst zu verkaufen. Dann ziehen sie wieder mit ihren Herden weiter.
Die Gebäude in Timimoun schmiegen sich eng aneinander und schützen sich vor den Einflüssen der Natur. Häuser aus Lehm sind nicht nur billiger als solche aus Stein, sondern auch besser isoliert. So selten, wie es hier regnet, muss man sich um ihren Erhalt wenig Sorgen machen. Das Leben in Timimoun ist einfach und unkompliziert. Die Stadt beobachtet gelassen, was um sie herum vor sich geht. Sie prahlt nicht und will kein Aufsehen erregen. Das Leben hier ist von Schweigen geprägt und bestens geeignet für alle, die dem Treiben im Norden entfliehen möchten, weil sie das Chaos, das Gedränge und die Eitelkeit des immer höheren Bauens müde machen.
In Timimoun sind alle gleich, sie kleiden sich ähnlich, sie wohnen in ähnlichen Häusern und trinken denselben heißen grünen Tee. Sie lauschen den Ahlil-Gesängen zum Lob des Sufismus und der Lebensfreude und der Musik, die Männer und Frauen gemeinsam mit ihren Trommeln, Flöten und Ouds machen.
Aus dem Arabischen von Günther Orth