„Cholitas“ auf Skateboards
Das Interview führte Gundula Haage
Frau Santiváñez, Sie haben ImillaSkate gegründet, ein Kollektiv indigener Frauen in Cochabamba, die gemeinsam Skateboard fahren. Wie kam es dazu?
Ich selbst skate schon, seit ich ein kleines Mädchen bin. Mein Bruder hat mir irgendwann ein Board in die Hand gedrückt, und es war um mich geschehen. Das ist eher ungewöhnlich, denn in Bolivien ist die Szene sehr männlich dominiert. Meine Freundin Huara und ich fanden das schade und wollten andere Mädchen dazu ermutigen, diesen Sport auszuprobieren.
„Indem wir jungen Skaterinnen uns diese Outfits aneignen, wollen wir all diese Frauen, unsere Ahnen, ehren“
Vor ein paar Jahren haben wir darum eine Gruppe gegründet. Wir wollten einfach zusammen Spaß haben und über das Skaten ein Gefühl der Zugehörigkeit entwickeln. Wir alle haben indigene Vorfahren, vor allem Quechua und Aymara. Darum haben wir uns als Gruppe „Imilla“ genannt – das ist ein Quechua-Wort und bedeutet „junge Frau“. Anlässlich eines großen Stadtfests im Jahr 2019 kamen wir auf die Idee, unsere indigene Identität zu feiern, indem wir traditionelle Kleider tragen, die man sonst nicht mit dem Skateboarden assoziiert. Es gab unglaublich viele Reaktionen auf unsere Outfits, darum haben wir beschlossen, dabei zu bleiben.
Sie tragen knielange, mehrlagige Röcke, bestickte weiße Blusen und hohe Hüte. Was hat es mit dieser Kleidung auf sich?
Viele bolivianische Frauen mit indigenen Wurzeln tragen diese Kleidung im Alltag, das ist also ein ganz normaler Anblick in Cochabamba. Die Geschichte dahinter ist allerdings etwas komplizierter: Während der spanischen Kolonialisierung wurden die Polleras, diese Röcke mit mehreren Schichten an Unterröcken, den Bolivianerinnen als eine Art Uniform aufgezwungen. Doch auch nachdem unser Land unabhängig wurde, haben viele sie weitergetragen und zu etwas ganz Eigenem umgedeutet, quasi als Symbol für indigene Frauen.
Für viele Mütter und Großmütter der Mädchen aus unserem Kollektiv gehört diese Kleidung zum Alltag. Sie ist Teil unseres kulturellen Erbes. Indem wir jungen Skaterinnen uns diese Outfits aneignen, wollen wir all diese Frauen, unsere Ahnen, ehren. Sie haben die koloniale Gewalt überlebt, sie haben aus dem auferlegten Zwang etwas Eigenes gemacht. Wir feiern ihren Mut. Die meisten von uns haben auch spanische Vorfahren. Es ist uns wichtig, an die komplexe Geschichte unseres Landes zu erinnern, anstatt die Vergangenheit vergessen zu wollen.
„Mein Bruder hat mir irgendwann ein Board in die Hand gedrückt, und es war um mich geschehen“
Wie haben die Leute auf Ihre Outfits reagiert?
Viele waren sehr überrascht, „Cholitas“ auf Skateboards zu sehen. Das ist eine Bezeichnung für indigene Frauen, die in Bolivien und Peru diese Kleidung tragen. Wenn wir auf unseren Boards unterwegs sind, schauen uns die Leute hinterher, pfeifen und feuern uns an. Vor allem viele Frauen finden es wirklich cool, dass wir unser Erbe auf diese Weise feiern. Hin und wieder werden wir aber auch kritisiert. Manche ältere Menschen, die noch stärker in Traditionen verhaftet sind, haben uns vorgeworfen, wir wollten provozieren oder uns über Cholitas lustig machen. Dabei ist ja genau das Gegenteil der Fall!
Was wird in Bolivien denn normalerweise mit dieser Kleidung assoziiert?
Viele, die so angezogen sind, kommen vom Land und sind nicht wohlhabend. Es gibt dieses Vorurteil, dass Frauen in Polleras ein bisschen rückständig wären, dass sie nicht die gleichen Dinge schaffen könnten wie Frauen in der Stadt. Aber wir als Skaterkollektiv wollen insbesondere Mädchen aus prekären Verhältnissen zeigen, dass sie alles tun können, was sie wollen.
In Bolivien hatte Skaten lange Zeit den Ruf, ein elitärer, US-amerikanischer Sport zu sein, nur für Gringos, für weiße Männer. Aber skateboarden macht einfach auch verdammt viel Spaß! Wir beweisen, dass jede und jeder so durch die Stadt rollen kann, auch indigene Frauen wie wir. Inzwischen bieten wir explizit Workshops für junge Mädchen an, um ihnen das Skaten beizubringen.
Auf den Bildern, die die brasilianische Fotografin Luisa Dörr von Ihrem Kollektiv gemacht hat und die wir auf diesen Seiten zeigen, sehen Ihre Outfits spektakulär aus – aber nicht gerade wie die praktischste Kleidung für diesen Sport. Weht Ihnen der Fahrtwind nicht ständig den Hut vom Kopf?
(lacht) Ja, natürlich, es ist wirklich nicht das geeignetste Outfit. Du kannst wegen der vielen Rocklagen deine Füße nicht sehen, was beim Skaten eigentlich sehr wichtig ist. Und unsere Beine sind unbedeckt. Wenn man Tricks macht, bekommt man sehr oft eine harte Skateboardkante ans Schienbein, da ist man mit Hosen natürlich besser geschützt. Wenn wir die hohen Hüte tragen, müssen wir sie mit einem Band unter dem Kinn festbinden und können manche Tricks und Sprünge nicht machen.
Wir sorgen uns aber auch um die wertvollen Polleras, ein paar Imillas haben ganz besondere von ihren Müttern oder Großmüttern bekommen. Deysi und Brenda zum Beispiel, ihre Mütter haben ihnen ein paar sehr schöne vermacht. Die würden sie beim alltäglichen Training natürlich nicht tragen, damit sie nicht verschwitzt werden oder reißen.
Das komplette Cholita-Outfit ziehen wir tatsächlich nur zu speziellen Anlässen an – wenn wir als Gruppe durch die Stadt fahren oder ein Video für Social Media drehen. Wenn wir einfach nur allein ein paar Tricks üben wollen, haben wir auch Hosen, Shirts und Basecaps an. Dann sehen wir so aus, wie man sich Skategirls vorstellt.
Haben Sie den Eindruck, dass sich die Skateszene in Cochabamba verändert hat, seit es Ihr Kollektiv gibt?
Ja, auf jeden Fall. Ich habe das Gefühl, dass die Szene vielfältiger ist als noch vor ein paar Jahren. Deutlich mehr Frauen sind dabei. Und ich glaube, wir haben auch dazu beigetragen, das Klischee zu widerlegen, dass Skaten nur etwas für Gringos ist. Immer mehr Leute probieren etwas Neues aus und machen ihr eigenes Ding.
Was ist eine besonders schöne Erinnerung aus den letzten Jahren, die Sie mit ImillaSkate verbinden?
Leider arbeite ich im Moment Vollzeit, darum kann ich zurzeit nicht so oft skaten, wie ich es gerne würde. Gerade geht das meistens nachts nach einem langen Arbeitstag. Umso mehr genieße ich es, wenn wir neun von Imilla zusammen durch die Stadt fahren, zu unseren unterschiedlichen Lieblingsorten. Das ist einfach magisch.
Außerdem liebe ich es, jungen Mädchen das Skaten beizubringen. Zuzuschauen, wie viel Spaß es ihnen macht, wenn sie zum ersten Mal auf einem Brett stehen bleiben – das macht mich unglaublich glücklich.