Design für alle

Zwischen allen Stühlen

In Europa halten Kritiker den Monobloc für geschmacklosen Plastikmüll. Doch für viele Menschen weltweit ist er der einzige erschwingliche Stuhl, auf dem es sich gut sitzen lässt
Zwei Wächter sitzen auf Plastikstühlen, im Hintergrund sieht man eine Mauer und Palmen

„Der meistgehasste Stuhl der Welt“, „Das Vitra Design Museum feiert ein Unding“ – so lauteten die Überschriften, unter denen die Kritiker großer Zeitungen die Ausstellung über den Monobloc besprachen, die ich 2017 in Weil am Rhein kuratierte.

Nicht wenige Besucher staunten darüber, dass dieser billige Gartenstuhl aus Plastik an einem Ort gewürdigt wurde, an dem man viel eher Design- und Möbelklassiker von Ray und Charles Eames oder Le Corbusier erwartete. Die Reaktionen zeigten deutlich, wie sehr Design- und Alltagsobjekte polarisieren können.

Tatsächlich wollten wir mit der Ausstellung zeigen, dass auch dieser nur scheinbar anonyme Billigstuhl eine eigene und komplexe Designgeschichte hat. Schon seit Beginn des 20. Jahrhunderts bemühten sich verschiedene Designerinnen und Designer darum, Möbel in einem Stück herzustellen – zuerst mit Schichtholz, dann aus Blech. In den 1960er-Jahren wurden mit neuen Kunststofftechnologien Erfolge erzielt, etwa mit dem Bofinger-Stuhl aus Polyester.

Ein Durchbruch gelang dem französischen Ingenieur Henry Massonnet im Jahr 1972 mit dem ersten, archetypischen Monobloc, dem „Fauteuil 300“ aus Polypropylen, bei dem die Fertigung keine zwei Minuten dauerte. Effizienz bei der Herstellung, radikale Kostensenkung und vielseitige Einsetzbarkeit, das alles machte das „Unding“ zu einer Designikone.

Der Monobloc ist auch deshalb so besonders, weil er einen Traum der Moderne hat wahr werden lassen: Design für die Masse erschwinglich zu machen, oder noch besser, es zu demokratisieren. Le Corbusier propagierte in seinem Buch „Vers une architecture“ (1927) die Massenproduktion und Standardisierung hochwertiger Entwürfe, auf dass sich auch Menschen aus der Arbeiterklasse gute Gestaltung leisten könnten.

„2019 wurden allein in Indien 1,1 Millionen Monobloc-Stühle verkauft. Er ist vielleicht das erste vollständig globalisierte Möbelstück“

Ray und Charles Eames, die amerikanischen Designstars der Nachkriegszeit, prägten den Spruch „The best for the most for the least“, sinngemäß übersetzt: „Das Beste für so viele wie möglich für so wenig wie möglich“.

Eine gewisse Ironie liegt darin, dass ihre Möbel und die einiger gleichgesinnter Zeitgenossen längst zu teuren, bürgerlichen Statussymbolen geworden sind. Man findet sie in Hochglanzmagazinen und exklusiven Einrichtungsgeschäften, nicht aber in den Wohnungen der Arbeiterklasse.

Demgegenüber ist der Monobloc leicht, stapelbar, wetterfest und äußerst erschwinglich, ein wirklich demokratisches Möbelstück – und inzwischen nicht weniger als der am weitesten verbreitete Stuhl der Welt. 2019 wurden etwa allein in Indien 1,1 Millionen Exemplare verkauft. Er ist also vielleicht das erste vollständig globalisierte Möbelstück.

Spannend ist allerdings, wie unterschiedlich der Monobloc mittlerweile je nach Ort und Umfeld bewertet wird. Für viele Kritiker vor allem der sogenannten westlichen Welt steht er beispielhaft dafür, dass die Vision von der Demokratisierung der Möbelproduktion mit Blick auf die Konsum- und Wegwerfkultur längst zum ökologischen Albtraum geworden ist. In Städten wie Freiburg und Basel wurde der Monobloc im öffentlichen Raum sogar verboten, vielen „Bildungsbürgern“ gilt er als geschmacklos.

„Ein Stuhl kostet oft weniger als eine Flasche Shampoo, überlebt aber auch kaum mehr als zwei Winter“

In mancherlei Hinsicht ist der Monobloc die letzte Stufe in der Rationalisierung der Massenproduktion. Um beim Material zu sparen, werden Löcher in die Rückenlehne gemacht und billige Granulate in das Polypropylen hineingemischt, die den Stuhl schnell spröde und unstabil werden lassen.

Ein Monobloc kostet heute oft weniger als eine Flasche Shampoo, überlebt aber auch kaum mehr als zwei Winter. Inzwischen fallen gerne mal Begriffe wie „Fast-Food-Design“ oder der „seelenloseste Stuhl“, die mit dem Status einer Designikone schwer vereinbar scheinen.

In reichen Ländern lässt sich mit dem Monobloc als einer Art Design-Underdog auf subtile und zugleich signalhafte Weise die Grenze zwischen privilegierten und weniger privilegierten Gesellschaftsschichten und deren Status markieren. Das entspräche einer Form von „ästhetischer Diskriminierung“, die laut der Designhistorikerin Penny Sparke nur scheinbar auf einer sehr persönlichen Ebene, tatsächlich aber kollektiv ausgehandelt und durchgesetzt wird. Und zwar von jenen, die kulturell wie ökonomisch Einfluss haben.

Für viele Menschen in ärmeren Ländern ist der Monobloc allerdings schlicht das einzige erschwingliche fabrikneue Möbelstück. In der erwähnten Monobloc-Ausstellung im Vitra Design Museum haben wir gezeigt, welche Bedeutung diese Stühle dort haben können und wie sie teils sogar als Wertgegenstände behandelt werden: In Thailand sperrt man sie mit Kettenschloss an einen Baum an oder stapelt zwei kaputte Monoblocs übereinander, um so wieder einen ganzen zu haben. In Indien werden gebrochene Teile geflickt.

In Hauke Wendlers Dokumentarfilm „Monobloc“ von 2022 sieht man eine durch Kinderlähmung eingeschränkte Frau aus Uganda, die sich auf einem Rollstuhl mit einem Monobloc-Sitz zum ersten Mal selbstständig außerhalb ihres Hauses bewegen kann – ein Modell, das im Rahmen eines großen Rollstuhl-Spendenprojekts entworfen und verteilt wird.

„In Africa, the Monobloc is not a joke“, sagt einer der Verantwortlichen der Initiative. Wo es darum geht, unterprivilegierten Menschen bei grundlegenden Bedürfnissen oder in Notlagen zu helfen, spielt der Plastikstuhl weltweit also eine solch wichtige Rolle wie kein anderes Sitzmöbel.

Diese Widersprüche machen den Monobloc zu einem Symbol für die Komplexität der materiellen Kultur unserer Zeit. Nebenbei zeigt sich, wie bei der Einordnung bestimmter Produkte immer wieder auch materielle, kulturelle und ideologische Faktoren ineinandergreifen können. Je nach Kontext und Weltregion können Produkten extrem unterschiedliche, sogar gegensätzliche Bedeutungen zugeschrieben werden.

Man denke etwa an die sogenannte „Kitchen Debate“ von 1959. Sie entspann sich zwischen dem amerikanischen Präsidenten Richard Nixon und Nikita Chruschtschow, dem damaligen Führer der Sowjetunion, während der Amerikanischen Nationalausstellung in Moskau.

Die beiden Staatsoberhäupter diskutierten mit Blick auf eine ausgestellte amerikanische Modellküche über die Vorzüge von Kommunismus respektive Kapitalismus. Dabei unterstrich Nixon, wie sehr die ausgestellten modernen automatischen, dank des Kapitalismus für jedermann erschwinglichen Haushaltsgeräte zu mehr Freizeit, Freiheit und einem insgesamt besseren Leben beitrügen.

Chruschtschow wandte ein, dass diese Dinge Ausdruck einer gewissen Dekadenz seien, eine „leere Verheißung“, vermeintliche gesellschaftliche Bedürfnisse zu befriedigen«, wie es die Designhistorikerin Jane Pavitt formulierte.

Was den Monobloc anbelangt, kann man an ihm, gerade weil ihn fast jeder kennt und schon einmal auf ihm gesessen hat, die Kluft zwischen armen und reichen Ländern festmachen. Die Verachtung, die manche im globalen Norden für den Stuhl an den Tag legen, deutet darauf hin, dass sie das Luxusproblem haben, sich über Konsum und Design definieren zu müssen.

Doch an Orten, an denen Menschen mit materiellen Nöten zu kämpfen haben und es keinen Spielraum dafür gibt, künstliche Bedürfnisse zu erzeugen, um sie anschließend ebenso künstlich zu befriedigen, wird das Plastikmöbel wertgeschätzt und dankbar aufgenommen.

Wo man sich außer dem Monobloc keine neue Sitzgelegenheit leisten kann, ist er kein Wegwerfprodukt oder Unding, sondern ein Möbelstück, auf dem die Menschen auf würdevolle Weise Platz nehmen können.