Komplizierte Heimreise
Zu Beginn von „Dahomey“ verweilt der Blick der Kamera auf einem Fabelwesen mit menschlichem Körper und Fischkopf, das seine Arme furchteinflößend Richtung Himmel streckt. Insgesamt 26 Artefakte, darunter ein kunstvoll geschnitzter Thron und weitere überlebensgroße Statuen aus Holz, werden hier im Pariser Musée du quai Branly behutsam in große Kisten verstaut.
Die Regisseurin Mati Diop inszeniert diese Szene aus ihrem auf der Berlinale mit dem Goldenen Bären ausgezeichneten Dokumentarfilm wie ein Ritual. Eine künstlich verzerrte Stimme aus dem Off gibt dem Ganzen den Anschein einer Teufelsaustreibung, der Bannung böser Geister.
Was hier verladen wird, sind gestohlene Kunstschätze aus dem ehemaligen westafrikanischen Königreich Dahomey, die Frankreich auf Beschluss des Präsidenten Emmanuel Macron im Jahr 2021 an Dahomeys Nachfolgestaat Benin restituiert.
In dem einstündigen Film geht es um eine komplizierte Geschichte, um Kolonialverbrechen und deren Aufarbeitung, aber auch um politische PR. Dabei sind die 26 Werke nur ein Bruchteil der ursprünglich mutmaßlich bis zu 7000, die französische Kolonialherren und Militärs allein in Dahomey im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert entwendet haben.
„Sind die eigentlichen wohl unwiederbringlich geraubten Schätze nicht die eigene Sprache, Kultur und Geschichte?“
Regisseurin Mati Diop wurde 1982 in Paris geboren, ihre Familie väterlicherseits kommt aus dem Senegal. Mit ihrem Spielfilmdebüt „Atlantique“, eine Geschichte aus den Slums von Dakar, gewann sie unter anderem 2019 beim Filmfestival in Cannes den Großen Preis der Jury. Ob nun fiktional oder dokumentarisch, stets sucht Diop nach einer zeitgenössischen Sprache und Form, um Geschichten aus dem postkolonialen Afrika zu erzählen.
In „Dahomey“ zielt sie dabei mit scheinbar einfachen, aber atmosphärisch und symbolisch aufgeladenen Bildern auf komplexe Fragen von Identität, Trauma und Sakralität ab.
Diop interessiert sich insbesondere für die als Objekt 26 deklarierte Skulptur der restituierten Werke, jene des Dahomey-Königs Gezo. Sie beginnt zu reden, ihm wird ein Text des haitianischen Schriftstellers Makenzy Orcel in den Mund gelegt, den dieser selbst aus dem Off spricht. Gezo ist eine kontroverse Figur. Er gilt als einer der größten Sklavenhändler Westafrikas in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
„Es schmerzt, dass viele junge Afrikanerinnen und Afrikaner die kolonialen Traumata nur in der Sprache der ehemaligen Kolonialmacht beschreiben können“
Der Herrscher soll Tausende von Menschen über europäische Mittelsmänner nach Nord- und Südamerika und damit in den oftmals sicheren Tod deportiert haben lassen. Orcel lässt ihn im Dunkel seiner Transportkiste zweifeln: Wie wird es sein, zurück „nach Hause“ zu kommen, was ist das überhaupt, Heimat, wie würde er dort empfangen?
In Cotonou, der größten Stadt und dem Regierungssitz Benins, wird der Konvoy mit den Kunstschätzen bei seiner Ankunft von einer jubelnden Menge begrüßt. Etwas später bestaunen Präsident Patrice Talon und seine geladenen Gäste die Statuen und Objekte im Palast des Staatschefs bei einem Glas Champagner.
Doch das zentrale Ereignis in „Dahomey“ ist eine von Mati Diop organisierte Diskussion, die Studentinnen und Studenten an der staatlichen Beniner Université d'Abomey-Calavi führen. Hier wird deutlich, dass auch die Nachfahren der Beraubten die Restitution von Kunstschätzen an ehemalige Kolonien bzw. die Art und Weise, wie sie abläuft, durchaus kritisch sehen.
Warum werden nur 26 Objekte zurückgegeben? Ist das Ganze eine PR-Aktion von Emmanuel Macron, um Frankreichs Ansehen in Westafrika zu verbessern? Sind die eigentlichen wohl unwiederbringlich geraubten Schätze nicht die eigene Sprache, Kultur und Geschichte? Und kann sich eine junge und moderne afrikanische Kultur überhaupt entwickeln, wenn sie sich zu sehr über die Tradition und deren Artefakte definiert?
In „Dahomey“ werden keine eindeutigen Antworten auf diese Fragen gegeben, der Film macht aber deutlich, wie tief die kolonialen Traumata sitzen, wie sehr es schmerzt, dass viele junge Afrikanerinnen und Afrikaner diese nur in der Sprache der ehemaligen Kolonialmacht beschreiben und angehen können. In Benin spricht man Französisch, die alten afrikanischen Sprachen und Dialekte sind den meisten Studierenden unbekannt.
Fast am Ende des Films blickt die Kamera vom Strand aus ins Dunkel des Atlantiks. Diop spricht von der „Küste der Verwundungen“. Von hier wurden die Sklaven verschickt, hier nahm der leidvolle Exodus so vieler Afrikanerinnen und Afrikaner seinen Anfang.
In den allerletzten Szenen von „Dahomey“ tummeln sich Menschen dann im kühlen Neonlicht von Bars und Restaurants auf öffentlichen Plätzen. Etwas Geisterhaftes, Zwischenweltliches haftet diesen Bildern und Orten an, sie scheinen uralt und futuristisch zugleich. Es ist wohl dieser heterogene (Erzähl-)Raum, aus dem Mati Diop für ihr Projekt einer neuen afrikanischen Geschichtsschreibung schöpft.
Im März 2024 wurde „Dahomey“ beim Best of Doc Festival in über sechzig Kinos in ganz Frankreich gezeigt, am 25. September 2024 ist dann die offizielle Kinopremiere. Der Filmstart in Deutschland ist noch nicht bekannt.