Hip-Hop | Frankreich

Zwischen Maghreb und Banlieue

Der Beat dröhnt, die Lyrics sind radikal intim. Die Rapmusik des französisch-afrikanischen Duos „Triplego“ entsteht zwischen Maghreb und Banlieue
In einer stark betonierten Umgebung vor einem sehr blauen Himmel posieren zwei junge Männer in ebenso blauen Kaftans mit weißen Stickereien, dazu tragen sie Sneaker

Rapper Sanguee und Produzent MoMo Spazz bilden das französische Rap Duo Triplego

„In den hellsten Nächten hab’ ich die dunkelsten Gedanken“ / „Meine Liebeslieder sind von meinem Saldo inspiriert“ / „Es liegt nicht an dir, dass ich mein irdisches Leben zerstör’, es liegt nicht an den andern, dass ich rauch’ und trink“.

Willkommen in der finsteren Welt des Rappers Sanguee und des Produzenten MoMo Spazz. Der eine ist marokkanischer, der andere algerisch-ägyptischer Herkunft – gemeinsam sind sie Triplego, ein Duo aus der Vorstadt Montreuil nördlich von Paris, dessen spezielle Symbiose aus sphärischem Cloud Rap und Elektromusik einzigartig in der französischen Rapszene ist.

Auf ihrem 2014 erschienenen Album „Eau calme“ („Ruhiges Wasser“) schwebt eine sanfte Stimme über ruhigen, betörenden Klängen, ideal zum Entspannen und Kiffen. Dieser neue Musikstil kam völlig anders daher als das damals in Frankreich extrem populäre und aggressive Genre der Trap Music mit Superstars wie Kaaris.

Damals gelang es Triplego nicht gleich, die Öffentlichkeit mitzureißen. Erst mit der Zeit lernte ein breites Publikum den Cloud Rap aus der Banlieue kennen und lieben: die schwebende, düstere Ästhetik mit Autotune-Stimme, die typischerweise von Melancholie und Einsamkeit erzählt.

„Marokkanisiert, afrikanisiert, im Elysée-Palast woll’n sie uns nicht seh’n; dabei haben sie uns kolonisiert, unsre Mentalität ghettoisiert...“

Seither haben Triplego von der träumerischen Instrumentalmusik, die Elemente von Elektro, R&B, Reggaeton, 2-Step sowie der algerischen Populärmusik Raï mischt, nicht abgelassen. Rhetorisch begabt rappt Sanguee über die Lebenswelt Straße, über Geld und kaputte Liebesbeziehungen.

Mal auf Französisch, mal auf Darija, dem marokkanisch-arabischen Dialekt, lässt er seine Hörer an seinen intimsten Träumen und Ängsten teilhaben. In einem Interview mit dem Musikmagazin „Yard“ erklärten die Musiker: „Wir wollen von unserem Alltag erzählen, und gleichzeitig sollen die Hörer ihrem Alltag entfliehen können.“

Genau zehn Jahre nach ihrem Debüt „Overdose“ präsentiert Triplego mit dem Album „Gibraltar“ und der EP „Quand tu partiras“ („Wenn du gehst“) im Jahr 2023 gleich zwei neue Möglichkeiten der Weltflucht. „Gibraltar“, erschienen im März und zuvor angekündigt durch die EPs „En attendant Gibraltar Part. 1./2.“ („Warten auf Gibraltar, 1./2. Teil“), war heiß ersehnt und hielt, was es versprach.

Schon mit dem zweiten Titel, „Bla-bla“, zeigt Sanguee Haltung: „Marokkanisiert, afrikanisiert, im Elysée-Palast woll’n sie uns nicht seh’n; dabei haben sie uns kolonisiert, unsre Mentalität ghettoisiert, unsre jungen Herzen schikaniert.“

Der Hit des Albums war zweifellos „Bombarder“, eingespielt mit dem österreichischen Rapper RAF Camora und in Anlehnung an „Gypsy Woman“ von Crystal Waters, einen House-Musik-Klassiker der Neunzigerjahre. Auch der französische Rapper Kekra hat einen Gastauftritt zu hypnotisierenden Klängen aus dem Maghreb.

Für ihren Song „Droga“ haben Triplego den marokkanischen Rapper Tagne eingeladen. Und schließlich leiht die ägyptische Sängerin Lella Fadda dem Track „Twareg Latino“ ihre Stimme. So entwickeln Triplego eine musikalische Identität, die zu beiden Seiten der Straße von Gibraltar, in den französischen Arbeitervierteln von Montreuil und im Maghreb, gleichermaßen zu Hause ist.  

„Tief- und feinsinnig, elegisch und harmonisch begleiten MoMo Spazz’ Soundproduktionen jedes einzelne von Sanguees Gefühlen“     

Kaum drei Monate später veröffentlichte das hochproduktive Duo die acht Tracks umfassende EP „Quand tu partiras“ – eine psychologische Innenschau von Sanguee, der von einer Trennung erzählt. In den ersten Song leitet eine Frauenstimme ein: „I still think about you a lot. Do you think about me?“ Als Antwort ergründen wir die Widersprüche und Selbstzweifel des zwischen Liebe, Sehnsucht und Hass schwankenden Rappers.

Tief- und feinsinnig, elegisch und harmonisch begleiten MoMo Spazz’ Soundproduktionen jedes einzelne von Sanguees Gefühlen. Im zweiten Track, „Maghrebiya“, wagen sich Triplego an ein Monument der algerischen Volks- und Popmusik Raï und sampeln „Didi“ von Khaled, dem König des Raï. Je näher allerdings das Ende der EP rückt, desto düsterer und beklemmender wird es: „Komm her, Babe, ich bin toxisch; ich zieh’ mich besser zurück; die Liebe sprengt meinen Wortschatz“, rapt Sanguee.

Triplego bekennen sich zum Erbe des Hip-Hops und der nordafrikanischen Volksmusik, entwickeln sich aber ständig weiter. Selbst auf die Gefahr hin, ihrer Zeit voraus zu sein und keine viralen Hits zu landen.

Originelle Songstrukturen, ein abgehackter, melodischer Flow, zahlreiche Instrumentals und Samples, das Duo hält sich an keine Regeln. Keine Schublade ist ihm groß genug. Triplegos Imperative sind: Kreativität, Freiheit und Experimentierfreude! 

Aus dem Französischen von Ina Böhme