Bogotá bebt

Rapperin Suppra kommt aus Kennedy, einem der ärmeren Viertel Bogotás, lebt aber in Chile.
Foto: Daniel Lara Cardona
„Rolo“ ist lokaler Slang und bezeichnet diejenigen, die hier in Bogotá geboren sind. „Rap Rolo“ ist der raue Sound, der aktuell aus den unterschiedlichsten Ecken der Hauptstadt schallt: Da rappen zierliche Mädchen, die auch als Grafikdesignerinnen tätig sind, muskelbepackte Glatzköpfe, die nebenher die Wände mit unflätigen Graffiti besprühen und Skateboard fahren, bis die Knochen brechen, Gang-Mitglieder, die schon ein paar Schießereien zu viel überlebt haben, oder Umweltaktivisten, die sich für Klimagerechtigkeit einsetzen.
Die Rolo-Rapper-Szene ist extrem vielfältig und spiegelt die real existierende soziale Ungleichheit in dieser Stadt. Und die Wut, die ihre Protagonisten artikulieren, steht in einem direkten Verhältnis zum absoluten Mangel an Möglichkeiten, in dieser stark segregierten Metropole etwas auf politischem Wege zu verändern.
Der Hip-Hop von Bogotá ist voll vom Feuer der Straße, ein Eklektizismus von unten. Im Gegensatz zur kolumbianischen Variante des Reggaetón, der im letzten Jahrzehnt von Medellín aus als Kommerzgenre die Charts erobert hat, lebt der Rap Rolo von der Dringlichkeit seiner Anliegen und der Fülle seiner Bilder. Es bleibt nicht bei einem einzigen Refrain, der sich ständig wiederholt – zu kostbar ist der Raum für den Gesang, als dass man ihn durch ein Nichtaussprechen verschwenden darf.
Erstaunlich ist die Klangqualität vieler Aufnahmen und wie geschickt viele Rolo-Rapper darin sind, verschiedene Vertriebswege zu bespielen. Oft in kleinen Labels und autonomen Netzwerken organisiert, schaffen sie es doch, auf globalen Plattformen präsent zu sein. Zugleich verlieren sie nie den Kontakt zu ihren Barrios und treten weiterhin bei den Stadtfesten auf, aus denen sie ihre Energie ziehen.
„Sie singen über die Wut der Marginalisierten und halten zugleich die Hoffnung auf ein besseres Leben aufrecht“
Lucía Vargas und Karen Tovar, zwei MCs aus Ciudad Bolívar, einem der ärmsten und härtesten Viertel, schlossen sich 2015 nach einer Europatournee zusammen und gründeten „Naturaleza Suprema“, eines der aktuell relevantesten feministischen Hip- Hop-Projekte in Bogotá. Sie singen auch über die Unterdrückung und Ermordung von Indigenen im Amazonasgebiet – und über ihr wertvolles Wissen, das verloren zu gehen droht.
Sie haben sich für politische Gefangene engagiert und bei den landesweiten Streiks und Protesten von 2021 gegen die korrupte und unsoziale Regierungspolitik mitgewirkt. Ihr Auftritt bei „Hip Hop al Parque“ im Jahr 2023 ist legendär. In ihrem Song „Tiempo de emancipación“ geht es um Gewalt vonseiten des Staates: „Wir sind die Stärke dieses Volkes / das sich nicht zum Schweigen bringen lässt / Und wir sind die Tränen der Mütter / die um Gerechtigkeit für ihre Kinder kämpfen.“
Gegen Polizeigewalt wenden sich auch die beiden Jungs von „Underclass“ aus Puente Aranda. Der Sound auf ihrem Album „El Rap Conmigo“ (2019) ist weniger explosiv als der von Naturaleza Suprema, er gleicht eher einem nächtlichen Spaziergang durch die Straßen, vorbei an mit Graffiti überzogenen Wänden (auch das ist übrigens eine wichtige, oft kriminalisierte Ausdrucksform im Umfeld des Rap Rolo). „Lo ideal“ (2024), ihre aktuelle Single, ist ein metaphysisch angehauchter Gesang, den auch hundertjährige Mönche geschrieben haben könnten.
Mit einer frischen, jugendlich perlenden Stimme und ausgefeilten Arrangements besticht demgegenüber Suppra, die wohl bekannteste Lyrikerin des kolumbianischen Rap, die mittlerweile in Chile lebt, aber aus Kennedy stammt, einem der ärmeren Viertel Bogotás.
Ihre Poesie zielt auf eine politische wie spirituelle Emanzipation, ihr Rap ist wie eine Aussaat der Zukunft, ein zarter Aktivismus der Bewusstseinserweiterung. Zugleich bringt sie die „Kraft einer Anakonda“ mit, wie es auf ihrem aktuellen Album „Epifanía“ heißt.
Von anderen Bewusstseinszuständen rappt auch Realidad Mental alias Óscar Alejandro Corredor Zabala, eine Ikone und Veteran der Szene, der wie Suppra aus Kennedy stammt. Er stand schon am Rande des Todes, hat die Hölle der Drogensucht durchgemacht, dank eines besonders minderwertigen und gefährlichen Gemisches aus Kokain, Kalk und anderen Zusätzen.
Realidad Mental ist ins Gefängnis gegangen, um mit Häftlingen zu rappen, er will nah bei den Menschen sein, mit seiner rauen, heiseren, verlebten Stimme. Kaum ein Rolo hat das Level seiner Freestyle-Alchemie erreicht, bei der er auch aus seiner Liebe zur Literatur schöpft. Auf seinem Album „Volviendo a lo básico“, das bereits 2014 erschien, finden sich düstere unterweltliche Soundfragmente, jazziges Saxophon und kratzend klagende Violinen.
Gemeinsam ist allen Rolo-Rappern das Drängende. Sie singen über die Wut der Marginalisierten und halten zugleich die Hoffnung auf ein besseres Leben aufrecht.
Aus dem Spanischen von Jess Smee