Pressefreiheit | Belarus

Die Manipulation ist subtiler geworden

Offizielle Medien in Belarus bieten keine Berichterstattung, sondern Propaganda. Medienschaffende, die wie unsere Autorin unabhängig aus dem Ausland berichten, gelten als „radikal“
Dekorative illustration mit halb verborgenen Zeitungstexten und dem Schriftzug „EXIL“

Illustration: Julia Neller

In unserer Serie „Aus dem Exil“ schreiben Journalisten und Autorinnen, die ihre Heimat verlassen mussten, weil sie dort nicht mehr sicher arbeiten können. Wozu können sie erst jetzt Stellung beziehen, und wie verändert das Leben im Ausland ihre Arbeit?

Um diese Fragen geht es in den Texten, die einmal im Monat sowohl in der Muttersprache der Mitwirkenden als auch in deutscher Übersetzung veröffentlicht werden. Das Format entstand in Zusammenarbeit mit der Organisation JX Fund, die Medienschaffende nach der Flucht aus Kriegs- und Krisenregionen unterstützt.

Im Sommer 2020 ereignete sich in Belarus etwas Historisches: Nach den Präsidentschaftswahlen entbrannten die massivsten Proteste der letzten dreißig Jahre. Im Sommer 2020 demonstrierten wir gegen den Diktator Alexander Lukaschenko, der sich zum sechsten (!) Mal zum Präsidenten erklärt hatte, und gegen die riesige Welle der Gewalt, die er danach entfesselte.

Tausende Menschen wurden verhaftet, oft verprügelt und gefoltert, viele NGOs wurden verboten und fast alle unabhängigen Medien zerstört oder unterdrückt. Ende 2023 saßen in Belarus 34 Journalistinnen und Journalisten im Gefängnis.

Die Verhaftungswelle nach Lukaschenkos Wiederwahl riss nicht ab, und so packte ich meinen Koffer – nur einen, da ich nur für kurze Zeit wegfahren wollte – und machte mich auf den Weg in die Ukraine. Inzwischen habe ich zwei Koffer, drei Länder, meine Heimat und einen Krieg hinter mir gelassen.

Das Erstaunliche ist, dass ich meinen Beruf, den Journalismus, nicht aufgegeben habe. Wie ein Mensch mit Phantomschmerz verfolge ich heute, was sich auf den „Nachrichtenportalen“ tut, die aus einem Land berichten, in dem anstelle des Journalismus nur ein verbranntes Feld übrig geblieben ist.

„Die Propaganda ist nicht mehr so primitiv wie zu Zeiten der UdSSR“

Überraschenderweise schreiben wir Journalistinnen und Journalisten, die wir das Land verlassen haben, und die verbliebenen „Medienschaffenden“ in meiner Heimat oft über ähnliche Themen: über Wirtschaft, Politik, Gehälter, Verbrechen, Währungen oder sogar Krieg. Doch die Propagandisten können keine zwei Perspektiven aufzeigen oder Informationen verbreiten, die von der offiziellen Linie abweichen.

Gewisse Fakten darf man nicht ansprechen. Es ist, als würde man schreiben, dass der Kronleuchter wackelt und das Geschirr im Haus klappert, aber man kann nicht sagen: „Es gibt ein Erdbeben, rette sich, wer kann!“ Die Propaganda ist nicht mehr so primitiv wie zu Zeiten der UdSSR.

Belarussen erfahren zum Beispiel aus dem staatlichen Fernsehen (es gibt kein anderes), dass die Menschen in Deutschland frieren. Und meine Eltern schreiben mir dann besorgt: „Geht es dir gut? Ist dir warm genug?“

Die Manipulation ist subtiler als früher. Den Unterschied erkennt man oft auch nicht an dem, was sie schreiben, sondern worüber sie schweigen.  

„Belarussen erfahren aus dem staatlichen Fernsehen, dass die Menschen in Deutschland frieren“

Man kann das Wort „Politik“ schreiben, aber es gibt keine Politik. Es gibt nur Lukaschenko. Die staatlichen Medien nennen ihn „Der Präsident“, immer mit großem Anfangsbuchstaben im Artikel (die deutschen Medien nennen ihn nicht so, danke!).

Man hat „Freunde“ – Russland und Putin – und „Feinde“ – die USA und die anderen Länder der westlichen Welt. Letztere versuchen angeblich, alle moralischen Grundlagen außer Kraft zu setzen und zu zerstören („Bei ihnen finden Schwulenparaden statt!“).

Über vieles dürfen die Propagandisten gar nicht schreiben. Zum Beispiel darüber, dass im Ukrainekrieg Raketen von Belarus aus abgeschossen wurden. Oder dass Russland Atomwaffen in unserem Land stationiert hat.

Darüber, dass unklar ist, woher Lukaschenkos viele Millionen kommen und wofür sie verwendet werden, dürfen sie ebenfalls keine Zeile verlieren – und darüber, dass niemand so genau weiß, wer die Mutter von Lukaschenkos drittem Sohn ist, erst recht nicht. Die Frau, mit der er verheiratet ist, zeigt sich seit Jahrzehnten nicht mehr an seiner Seite.

„Man darf nicht darüber schreiben, woher Lukaschenkos Millionen kommen – oder dass Russland Atomwaffen in Belarus stationiert hat“

Ein Schweigen liegt auch über der Tatsache, dass Dutzende Unternehmen immer mehr Büros und Angestellte ins Ausland verlegen. Stattdessen muss man schreiben, dass die Wirtschaft boomt und sich die Sanktionen des Westens als Vorteil erweisen. Man darf nicht erwähnen, dass dieser „Vorteil“ die Preise in die Höhe treibt und importierte Waren, sogar Medikamente, verschwinden lässt.

Man kann über Kulturelles informieren. Man kann „die besten Songs des Jahres“ preisen, die in Wirklichkeit niemand hört. Unabhängige Journalisten fanden heraus, dass es sich bei der laut staatlichen Medien „besten Liedermacherin des Landes“ um Lukaschenkos Schwiegertochter handelt.

Wo sind meine Lieblingskünstler, die gegen Gewalt und Wahlbetrug protestierten? Sie sind weder in den Medien noch auf der Bühne zu sehen.

„Nur wir Journalistinnen und Journalisten im Ausland können momentan über die Realität schreiben“

Auch der Sport verliert an Bedeutung. Belarussische Athletinnen und Athleten konkurrieren jetzt hauptsächlich mit russischen in einer Art bilateralem Wettbewerb. Es ist sehr zu bezweifeln, dass Belarus zu den Olympischen Spielen in Paris zugelassen wird. Und warum? Alles Machenschaften von Feinden aus dem Westen, erklärt die Propaganda.

Ich könnte schreiben, dass in Belarus erstklassige medizinische Operationen durchgeführt werden. Das ist wahr. Nicht erwähnen darf ich allerdings, dass Dutzende Ärztinnen und Ärzte verhaftet wurden und Hunderte das Land verlassen haben und nun als Pflegerinnen und Pfleger im Westen arbeiten, bis ihre Diplome als Chirurgen oder Kardiologinnen anerkannt werden. Medizinstudierende melden sich massenhaft für Deutsch- oder Polnisch-Sprachkurse an.

„In unserer Heimat brandmarkt man uns als Radikale“

Es ist unmöglich, in Belarus darüber zu berichten, wie das Jahr 2020 das Land erschüttert und verändert hat. Erst seitdem ich meine Heimat verlassen habe, kann ich mich offen zu den Repressionen äußern und zu der Tatsache, dass mein Heimatland zum Ausgestoßenen wird, von Russland abhängig und in seiner Autonomie bedroht.

Nur wir Journalistinnen und Journalisten im Ausland können momentan über die Realität schreiben. Doch in unserer Heimat brandmarkt man uns als Radikale. Ebenso wie ausländische Medien, die über Belarus informieren –  selbst die „Deutsche Welle“ wurde als „extremistisch“ eingestuft.

Ebenso diejenigen, die nach alternativen, unabhängigen Informationsquellen suchen. Wer in Belarus bei der Lektüre solcher Medien oder bei der Weitergabe entsprechender Inhalte erwischt wird, kommt ins Gefängnis. Doch ohne Publikum sind wir nichts.

Aus dem Russischen von Alexander Filyuta


 

Летом 2020 года в Беларуси произошло историческое событие: после президентских выборов вспыхнули самые массовые протесты за последние тридцать лет. Летом 2020 года мы вышли на демонстрацию против диктатора Александра Лукашенко, который в шестой (!) раз объявил себя президентом. Мы вышли, протестуя против огромной волны насилия, которую Лукашенко развязал после выборов.

Тысячи людей были арестованы, многие были избиты и подвергнуты пыткам, многочисленные НКО были запрещены, почти все независимые СМИ были уничтожены или подавлены. На конец 2023 года в Беларусских тюрьмах находились 34 журналиста.

Волна арестов после переизбрания Лукашенко не прекращалась, поэтому я собрала чемодан - всего один, так как хотела уехать только на короткое время – и отправилась в Украину. За это время я оставила позади два чемодана, три страны, свой дом и войну.

Самое удивительное, что я не бросила свою профессию – журналистику. Как человек, испытывающий фантомные боли, я слежу за происходящим на «новостных порталах», которые ведут репортажи из страны, где вместо журналистики осталось лишь выжженное поле.

«Пропаганда уже не так примитивна, как во времена СССР»

Удивительно, но мы часто пишем на схожие темы – журналисты, которые, как и я, уехали из страны, и оставшиеся на родине «медиапрофессионалы»: об экономике, политике, зарплатах, преступности, валютах и даже войне. Но пропагандисты не могут представлять альтернативные точки зрения или распространять информацию, противоречащую официальной линии.

Некоторые факты не подлежат обсуждению. Можно написать, что в доме качается люстра и гремит посуда, но сказать: «Случилось землетрясение, спасайся, кто может!» – нельзя. Пропаганда уже не так примитивна, как во времена СССР.

Белорусы, например, узнают с экранов государственного телевидения (другого нет), что люди в Германии замерзают. А потом мои родители пишут мне тревожные письма: «С тобой все в порядке? У тебя тепло в квартире?»

Манипуляция стала более тонкой, чем раньше. Зачастую разницу можно отличить не по тому, что пишут, а по тому, о чем молчат.  

«Белорусы узнают с экранов государственного телевидения, что люди в Германии замерзают»

Вы можете написать слово «политика», но никакой политики нет. Есть только Лукашенко. Государственные СМИ называют его «Президент» – всегда с заглавной буквы (немецкие СМИ его так не называют, спасибо!).

Есть «друзья» – Россия и Путин – и «враги» – США и другие страны западного мира. Последние якобы пытаются подорвать и уничтожить все моральные устои («У них проходят гей-парады!»).

Есть много вещей, о которых пропагандистам писать запрещено. Например, о том, что во время войны на Украине из Беларуси также запускали ракеты. Или о том, что Россия разместила в нашей стране ядерное оружие.

Им также нельзя рассуждать о том, откуда берутся и на что тратятся миллионы Лукашенко, и уж тем более о том, что никто точно не знает, кто является матерью третьего сына Лукашенко. Женщина, на которой он женат, не появлялась рядом с ним десятилетиями.

«Нельзя рассуждать о том, откуда берутся и на что тратятся миллионы Лукашенко, или о том, что Россия разместила в нашей стране ядерное оружие»

Умалчивается и о том, что десятки компаний переводят все больше офисов и сотрудников за границу. Вместо этого приходится писать о том, что экономика процветает и что санкции, введенные Западом, являются преимуществом. Излишне говорить, что это «преимущество» приводит к росту цен и исчезновению импортных товаров, даже лекарств.

Вы можете писать о культуре. Вы можете расхваливать «лучшие песни года», которые на самом деле никто не слушает. Независимые журналисты выяснили, что «лучшая исполнительница песен в стране», по мнению государственных СМИ, — невестка Лукашенко.

Где мои любимые артисты, которые протестовали против насилия и фальсификации выборов? Их нельзя увидеть ни в СМИ, ни на сцене.

«Только мы, журналисты, находящиеся за рубежом, можем писать о белорусской реальности»

Спорт также теряет свое значение. Белорусские спортсмены теперь соревнуются в основном с российскими спортсменами, так сказать «на двоих». Крайне сомнительно, что Беларусь будет допущена к Олимпийским играм в Париже. И почему? Все это происки врагов с Запада, объясняет пропаганда.

Я могла бы написать, что в Беларуси проводятся первоклассные медицинские операции. Это правда. Однако я не могу упомянуть о том, что десятки врачей были арестованы, сотни покинули страну и теперь работают санитарами на Западе в ожидании того, когда будут признаны их дипломы хирургов или кардиологов. Студенты-медики массово записываются на курсы немецкого или польского языков.

«Но у себя на родине нас клеймят как радикалов»

В Беларуси невозможно рассказывать о том, как 2020 год потряс и изменил страну. Только после того, как я покинула свою родину, я смогла открыто говорить о репрессиях и о том, что моя родина становится зависимым от России изгоем, и о том, что независимость страны находится под угрозой.

В настоящее время только мы, журналисты, находящиеся за рубежом, можем писать о белорусской реальности. Но у себя на родине нас клеймят как радикалов, так же, как и иностранные СМИ, которые представляют информацию о Беларуси: даже Deutsche Welle была причислена к «экстремистским организациям».

То же самое касается и тех, кто ищет альтернативные, независимые источники информации. Любой, кто будет уличен в чтении подобных СМИ или распространении такого контента в Беларуси, попадет в тюрьму. Но без аудитории мы ничто.