Pressefreiheit | Kenia

Weil man der Regierung nicht behagt

In Kenia werden immer wieder kritische Medienschaffende ermordet. Auch Robert Wanjala schreibt über Korruption und politische Gewalt – bis er ins Visier krimineller Netzwerke gerät
Dekorative illustration mit halb verborgenen Zeitungstexten und dem Schriftzug „EXIL“

In der neuen Serie „Aus dem Exil“ schreiben Journalisten und Autorinnen, die ihre Heimat verlassen mussten, weil sie dort nicht mehr sicher arbeiten können. Wozu können sie erst jetzt Stellung beziehen, und wie verändert das Leben im Ausland ihre Arbeit?

Um diese Fragen geht es in den Texten, die einmal im Monat sowohl in der Muttersprache der Mitwirkenden als auch in deutscher Übersetzung veröffentlicht werden. Das Format entstand in Zusammenarbeit mit der Organisation JX Fund, die Medienschaffende nach der Flucht aus Kriegs- und Krisenregionen unterstützt.

Ein harter Schlag seitlich gegen den Kopf kann in manchen Gegenden der Welt einen Journalisten und mit ihm eine ganze Zeitung zum Verstummen bringen.  Zum Beispiel in meiner Heimat Kenia, in der Journalisten immer wieder ins Visier genommen, bedroht, eingeschüchtert und in extremen Fällen sogar getötet werden, einfach nur weil sie die Wahrheit sagen.

John Kituyi, der mutige und hartnäckige Herausgeber der kenianischen Lokalzeitung „Weekly Mirror“, wurde im April 2015 wegen der „Verfehlungen“ seiner Zeitung Opfer solch eines tödlichen Schlages auf den Kopf. Wenige Monate später wurde die Zeitung eingestellt. Sein Team  floh in alle Himmelsrichtungen, weil die Redakteurinnen und Redakteure um ihre Sicherheit fürchteten. 

Mehr als acht Jahre später verfolgen die Schatten derer, die Kituyi zu Tode geprügelt haben, noch immer diejenigen, die mit ihm zusammengearbeitet haben. Selbst in einem so fernen Land wie dem Vereinigten Königreich, wo ich im Exil lebe, ist das so.

„Meine Familie ist nicht bei mir. Ich bin nicht in der Lage, für sie zu sorgen, weil ich hier nicht arbeiten darf“

Es heißt, man könne auch inmitten einer Menschenmenge einsam sein, und so fühle ich mich, seit ich hier bin. Meine Familie ist nicht bei mir. Jeden Tag denke ich an meine Frau, meine zwei Töchter und meinen Sohn.

Ich vermisse sie, aber ich kann es mir nicht leisten, sie herzuholen. Ich bin nicht in der Lage, für sie zu sorgen, weil ich hier nicht arbeiten darf. Ihre Zukunft hängt in der Schwebe.

Kituyi und ich hatten etwa fünf Jahre lang zusammengearbeitet, bevor sein Leben und seine Karriere jäh beendet wurden. Drei Jahre zuvor, Ende Dezember 2007, hatte ich die schlimmste Form politischer Gewalt aus erster Hand erlebt, während ich noch aufs College ging. Ein umstrittenes Ergebnis bei der Präsidentschaftswahl hatte zu Unruhen geführt, die das Land beinahe zerrissen.

Es kam zu einem zweimonatigen Gemetzel, das über 1.300 Todesopfer forderte.  Mehr als 600.000 weitere Menschen wurden aus ihren Häusern vertrieben und mussten in heruntergekommenen Lagern für Binnenvertriebene hausen. Die Menschen, die Opfer dieser furchtbaren ethnisch motivierten Gewalttaten wurden, waren gezeichnet von Brandverletzungen, schweren Pfeil- oder Schusswunden und tiefen Verletzungen durch Macheten. „Unmenschlich” ist noch ein zu schwaches Wort für den Anblick, der sich mir bot.

„Ich hatte die schlimmste Form politischer Gewalt erlebt. Ich begann, über die Opfer dieses Blutvergießens zu berichten“

Ich hatte gerade erst mein Examen gemacht, aber meine journalistische Leidenschaft trieb mich an. So begann ich, das Leben und die Lebensbedingungen der Menschen in der Stadt Eldoret und den umliegenden Regionen zu dokumentieren und darüber zu berichten.

Eldoret liegt etwa 194 Meilen westlich von Nairobi und galt als der Ausgangspunkt des ethnisch motivierten Blutvergießens. Vor diesen Ereignissen war die Stadt vor allem als „Heimat der Champions“ bekannt. Denn von hier stammen viele gefeierte kenianische Sieger der Marathons von New York, London und Berlin, unter ihnen auch Eliud Kipchoge.

Infolge der beschriebenen Gräueltaten von 2007 wurden sechs hohe Regierungsmitglieder, darunter der Sohn des Gründungspräsidenten von Kenia, Jomo Kenyatta, zwei Kabinettsminister, der Leiter des öffentlichen Dienstes, ein ehemaliger Polizeichef, ein Politiker und ein Radiojournalist vom Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) offiziell wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt.

Im Vorfeld der Parlamentswahlen im März 2013 übten zwei der Angeklagten scharfe Kritik an der Intervention des IStGH in Kenia. Sie spielten die Opferkarte und schürten Angst, um daraus politischen Profit zu schlagen. Ihr anschließender Wahlsieg machte es für Journalisten noch schwieriger, über den IStGH zu berichten, da viele ihrer Unterstützer extrem feindselig auf kritische Berichte reagierten. 

Dessen ungeachtet stellte Kituyi ein kleines Team zusammen, das sich auf die Berichterstattung über den IStGH konzentrieren sollte. Ich hatte den Auftrag, dieses Team zu koordinieren, während der Internationale Gerichtshof in Den Haag das Verfahren gegen drei der sechs Verdächtigen begann. In Ermangelung an Beweisen, die zur  Fortsetzung des Prozesses erforderlich gewesen wären, hatte das Gericht es abgelehnt, die Vorwürfe gegen drei weitere Angeklagte zu bestätigen.

Währenddessen erfuhren wir aus zuverlässiger Quelle, dass einige Personen, die ihre Aussagen gegen Dr. William Ruto (den derzeitigen Präsidenten Kenias) und seinen Mitangeklagten, den Radiojournalisten Joshua Sang, einige Monate zuvor zurückgezogen hatten, äußerst verärgert waren und damit drohten, an die Öffentlichkeit zu gehen.

Wie wir später herausfanden, waren diese Personen mit dem Versprechen von „Bargeld, erstklassigen Grundstücken und schicken Autos" dazu gebracht worden, sich aus dem Verfahren zurückzuziehen.  Als Belohnung hatten sie in der Folge jedoch nur eine kleine Geldsumme erhalten, wie mir einer von ihnen anvertraute.

Unser Team kam in der Folge einem Netzwerk aus einflussreichen Personen auf die Spur, die hinter der Beeinflussung von Zeugen im Juli 2013 steckten. Paul Gicheru, ein Anwalt, war der Kopf dieses mutmaßlichen Netzwerks. Leider wurde er am 26. September 2022 tot in seiner Wohnung aufgefunden, woraufhin ich selbst in Kenia meines Lebens nicht mehr sicher war.

In jenem Juli hatte er meine vorsichtigen Nachfragen in seinem Büro über seine angebliche Rolle als Ansprechpartner für mutmaßliche Zeugen der Anklage zurückgewiesen. Unsere Gewährsperson hatte diese Zeugen in seinem Büro in der Oloo-Straße in Eldoret dabei beobachtet, wie sie Gicheru um ein Gespräch ersuchten.

„,Die Mächtigen hassen es, wenn man ihnen auf die Finger schaut‘, sagte Kituyi oft. Wir kicherten zustimmend, während wir unsere Artikel schrieben“

Drei Jahre später, am 10. September 2015, erließ das Gericht Haftbefehle gegen Gicheru und Philip Kipkoech Bett und bestätigte damit meine ersten Recherchen und meine exklusive Berichterstattung , die ich trotz schwerer Drohungen und Einschüchterungen gegen mein Leben und mein Team fortgeführt hatte. Den beiden wurde vorgeworfen, Zeugen durch Bestechung beeinflusst zu haben, um die Rechtsprechung zu behindern.

Zu diesem Zeitpunkt war die Atmosphäre rund um Eldoret für mich und mein Team noch bedrohlicher geworden. Und ein Exklusivinterview mit einem weiteren mutmaßlichen Zeugen der Anklage, Meshack Yebei, der angeblich die Seiten gewechselt hatte und Zeuge der Verteidigung geworden war, sollte unsere Sicherheitslage noch verschärfen. 

Während des Interviews hatte Yebei behauptet, das Netzwerk dabei unterstützt zu haben, Zeugen ausfindig zu machen und sie dazu zu bewegen, aus dem Verfahren gegen Ruto und den mitangeklagten Journalisten Sang auszusteigen.  Vier Tage nach dem Interview löste sich Yebei jedoch in Luft auf, als er in eine Apotheke ging, um Medikamente für sein krankes Kind zu kaufen. Seine entstellte und verwesende Leiche wurde am 9. März 2015, mehr als 395 Meilen entfernt, im Herzen des kenianischen Tsavo-Nationalparks entdeckt.

„Die Mächtigen hassen es, wenn man ihnen auf die Finger schaut“, sagte Kituyi oft, während wir unsere Artikel für die nächste Ausgabe der Zeitung schrieben. Wir kicherten und nickten zustimmend, während wir an unseren kleinen, mit Papier übersäten Schreibtischen in der Redaktion in Eldoret saßen. Als wir Kituyis sterbliche Überreste in seinem vergleichsweise unbekannten Dorf im Bezirk Bungoma beerdigten, feierten seine Mörder mit Champagner ihren Sieg, weil sie einen weiteren mutigen Journalisten zum Schweigen gebracht hatten. Eine furchtbare und abschreckende Warnung an sein Team und viele andere Journalisten in diesem Land, das auch schon ohne all die Bösewichte, die von Korruption und Menschenrechtsverletzungen profitieren, genug Probleme hat.

Einige Ereignisse nach Kituyis Tod, die mit Yebeis mysteriösem Tod knapp zwei Monate zuvor  zusammenhingen, sollten mein Leben, meine Karriere und meine Beziehungen zu den Menschen für immer verändern. Es begann damit, dass schattenhafte Gestalten in Geschäfte huschten oder sich hinter Häuserecken versteckten, wenn ich mich näherte. Später bemerkte ich ungewöhnliche Klickgeräusche in meinem Telefon.

Ich fragte mich: Bin ich übermäßig paranoid oder verfolgt mich wirklich jemand und hört meine Telefonate ab? Bald darauf waren alle Zweifel beseitigt, als diese Gestalten schließlich aus dem Schatten traten und mich in einem Hotel in Eldoret zweimal direkt und auf einschüchternde Weise ansprachen, während ich  zu Mittag aß. Sie grinsten vielsagend und sagten mir rundheraus, sie wüssten, wo ich wohne und wo meine Kinder zur Schule gehen. Das klingt wie eine Szene  aus einem Spionageroman aus der Zeit des Kalten Kriegs, aber es spielte sich tatsächlich genauso ab.

„Die Schatten derer, die Kituyi zu Tode geprügelt haben, verfolgen uns noch immer, selbst in einem so fernen Land wie dem Vereinigten Königreich“

Ich werde gejagt und lebe wie ein entflohener Sträfling.  Ich bin jetzt seit fast neun Monaten im Vereinigten Königreich, nachdem ich nach Gicherus plötzlichem Tod am 26. September 2022 ernsthaft  bedroht wurde. Die Ungewissheit über seine Todesursache erhärtet den Verdacht, dass es in der Vergangenheit mehrere ähnliche Todesfälle im Zusammenhang mit dem Prozess vor dem Internationalen Strafgerichtshof gab, deren genauen Umstände bis heute nicht geklärt sind.

Ich bin aus meinem Land geflohen, um nicht zu einem weiteren Einschnitt auf dem Kerbholz derjenigen zu werden, die versuchen, kritische Stimmen zu unterdrücken. Heute geht es mir besser, denn ich kann auf den Straßen Londons spazieren gehen, ohne den Drang zu verspüren, nach Verfolgern Ausschau zu halten. Das ist eines der schönen Gefühle.

Aus dem Englischen von Caroline Härdter


In some parts of the world, a hard blow to the side of the head can silence a journalist and, with that single blow, an entire newspaper.  Take my home country of Kenya, for example, where journalists are repeatedly targeted, threatened, intimidated and in extreme cases even killed -simply for telling the truth.

John Kituyi, the courageous and tenacious editor of the Kenyan local newspaper Weekly Mirror, was the victim of such a fatal blow to the head in April 2015 because of his newspaper’s “misdemeanours”. A few months later, the newspaper was shut down completely. His team fled in all directions as editors feared for their safety.  More than eight years later, the shadows of those who beat Kituyi to death still haunt those who worked with him. Even in a country as far away as the UK, where I live in exile, it stays with me.

They say you can be lonely in the middle of a crowd, and that's how I’ve felt since I’ve been here. My family is not with me. Every day I think about my wife, my two daughters and my son.

I miss them, but I can’t afford to bring them here. I’m not in a position to look after them because I’m not allowed to work here. Their future hangs in the balance.

“My family is not with me. I miss them, but I can't afford to bring them here”

Kituyi and I had worked together for about five years before his life and career came to an abrupt end. Three years earlier, in late December 2007, I had witnessed the worst form of political violence first-hand while I was still in college. A disputed presidential election result led to riots that affected much of the country. Two months of carnage ensued, resulting in over 1,300 deaths. 

More than 600,000 other people were driven from their homes and forced to live in run-down camps for internally displaced persons. The people who fell victim to these terrible ethnically motivated acts of violence were marked by burns, severe arrow or gunshot wounds and deep wounds from machetes. “Inhumane” is too weak a word for what I saw.

I had only recently graduated, but my passion for journalism drove me on. I began to document and report on the lives and living conditions of the people in the town of Eldoret and the surrounding regions. Edloret is about 194 miles west of Nairobi and was considered the starting point of the ethnically motivated bloodshed. Before these events, the town was known primarily as the “home of champions”.  Many celebrated Kenyan winners of the New York, London and Berlin marathons come from here, including Eliud Kipchoge.

“I had witnessed the worst form of political violence. I began to report on the lives of the victims of these atrocities“

As a result of the 2007 atrocities, six senior members of the government, including the son of Kenya’s founding president, Jomo Kenyatta, two cabinet ministers, the head of the civil service, a former police chief, a politician and a radio journalist were officially charged with crimes against humanity by the International Criminal Court (ICC).

In the run-up to the general elections in March 2013, two of the defendants sharply criticised the ICC’s intervention in Kenya. They played the victim card and fanned fears to profit politically. Their subsequent election victory made it even more difficult for journalists to report on the ICC, as many of their supporters reacted with extreme hostility to critical reports.

Despite the risks, Kituyi put together a small team to focus on reporting on the ICC. I was tasked with coordinating this team while the International Criminal Court in The Hague began proceedings against three of the six suspects. In the absence of evidence needed to continue the trial, the court had refused to confirm the charges against three other defendants.

Meanwhile, we learnt from a reliable source that some people who had retracted their statements against Dr William Ruto (the current President of Kenya) and his co-accused, radio journalist Joshua Sang, a few months earlier, were extremely angry and threatened to go public. As we later found out, these individuals had been persuaded to withdraw from the case with promises of “cash, prime real estate and fancy cars”.  However, they had only received a small sum of money as a reward, as one of them confided to me.

“The shadows of those who beat Kituyi to death still haunt those who worked with him – even in a country as far away as the UK”

Our team subsequently uncovered a network of influential people who were behind the influencing of witnesses in July 2013. Paul Gicheru, a lawyer, was the head of this alleged network. Unfortunately, he was found dead in his home on 26 September 2022, after which I was no longer sure of my personal safety in Kenya. That July, he had rebuffed my cautious enquiries in his office about his alleged role as a contact for alleged prosecution witnesses. Our informant had observed these witnesses in his office on Oloo Street in Eldoret requesting to speak to Gicheru.

Three years later, on 10 September 2015, the court issued arrest warrants for Gicheru and Philip Kipkoech Bett, confirming my initial research and exclusive reporting that I had continued despite severe threats to my life and that of my team. The two were accused of influencing witnesses through bribery in order to obstruct justice.

At this point, the atmosphere around Eldoret had become even more threatening for me and my team. And an exclusive interview with another alleged prosecution witness, Meshack Yebei, who had allegedly switched sides and become a witness for the defence, opened us up to further risk.

During the interview, Yebei claimed to have assisted the network in locating witnesses and persuading them to drop out of the case against Ruto and co-accused journalist Sang.  Four days after the interview, however, Yebei vanished into thin air when he went to a pharmacy to buy medicine for his sick child. His disfigured and decomposing body was discovered on 9 March 2015, more than 395 miles away, in the heart of Kenya’s Tsavo National Park.

“The powerful hate being watched,” Kituyi often said as we wrote our articles for the next issue of the newspaper. We laughed and nodded in agreement as we sat at our small, paper-strewn desks in the newsroom in Eldoret. As we went to bury Kituyi's remains in his comparatively unknown village in Bungoma district, his killers celebrated their victory with champagne for silencing another brave journalist. This sent a terrible and chilling warning to his team and journalists in a country that already has enough problems without all the villains profiting from corruption and human rights abuses.

Some events after Kituyi’s death, related to Yebei's mysterious death almost two months earlier, were to change my life, career and relationships with people forever. It started with shadowy figures darting into shops or hiding behind the corners of houses when I approached. Later, I noticed unusual clicking noises in my phone. I asked myself: Am I being overly paranoid or is someone really following me and listening to my phone calls?

“‘The powerful hate being watched,’ Kituyi often said. We laughed in agreement as we wrote our articles”

Soon after, all doubts were dispelled when these figures finally stepped out of the shadows and approached me directly and intimidatingly twice in a hotel in Eldoret while I was eating lunch. They grinned meaningfully or told me flatly that they knew where I lived and where my children went to school. It sounds like a scene from a Cold War spy novel, but that was exactly what happened.

These days I’m living like an escaped convict. I’ve been in the UK for almost nine months now, after being seriously threatened following Gicheru’s sudden death on 26 September 2022. The uncertainty about how he died fuels suspicions of several similar deaths in the past in connection with the trial at the International Criminal Court, but the evidence of these have not been clarified.

I fled my country to avoid becoming another name on the list of those who try to suppress critical voices. Today at least I can walk the streets of London without looking over my shoulder for persecutors. That’s a positive.