Die Stimme der Frauen
Musik ist seit der Rückkehr der Taliban verboten, singende Frauen werden nicht toleriert. Doch manche afghanische Musikerinnen setzen ihre Karriere im Exil fort. Eine Auswahl berühmter Sängerinnen – und ihrer Songs
1. Khumari: „Beltoon vs. Khumari“
„Ich sehe dich aus der Ferne kommen, lachend kommst du mir entgegen. So schön, wie du aussiehst, möchte ich dich an die Wand zeichnen …“ (1980er-Jahre, in Dari)
Die Sängerin Khumari hat in einem sogenannten Tanzhaus gearbeitet, bevor sie mit ihren Liebesballaden berühmt wurde. Oft trat sie bei Hochzeiten und großen Partys auf – traditionell eine wichtige Bühne für afghanische Sängerinnen und Sänger. In konservativen Kreisen ist sie eher als die „Tänzerin“ bekannt – zahlreiche Gerüchte rankten sich um sie, viele Affären schrieb man ihr zu. Doch bis heute wird sie für ihre unkonventionelle Art zu singen und zu tanzen bewundert.
2. Elaha Soroor: „Charsi“ („Kiffer“)
„Hey, du fremder Junge, wie schön sind deine Augen. Oh du Kiffer-Junge, du hast schöne Augen. Du hast gekifft und Shisha geraucht, wie schön sind deine Augen.“ (2019, in Dari)
Die Sängerin Elaha Soroor wurde im Jahr 2009 durch die Castingshow „Afghan Star“ berühmt, das Pendant zu „Deutschland sucht den Superstar“. Mittlerweile lebt sie in London, wo sie mit der Band „Kefaya“ im Jahr 2019 das Album „Songs Of Our Mothers“ aufgenommen hat. Das Lied „Charsi“ darauf wurde zum Skandal in der afghanischen Internetgemeinde: Darin singt sie offen über Drogenkonsum, im Video dazu sieht man sie kiffen.
3. Ustad Farida Mahwash: „Awaaze Man“ („Meine Stimme“)
„Er soll sich nur für eine Sekunde ihre Stimme anhören, dann wird er die Stärke ihrer Liebe im Klang und in der Melodie erkennen.“ (Anfang der 1980er-Jahre, in Dari)
Farida Mahwash wurde 1947 in Kabul geboren. Sie erhielt den Titel „Ustad“, also „Meisterin“ – im indopersischen Sprachraum ein Ehrentitel für angesehene Musiker. Vermutlich ist Mahwash die einzige Frau, die ihn trägt. 1991 floh sie nach Pakistan. Nach Morddrohungen ging sie ins kalifornische Exil. Heute ist Mahwash Sängerin beim Musikprojekt „Voices of Afghanistan“.
4. Naghma: „Nawi Engilay Yom“ („Ich bin das neue Mädchen“)
„Ich bin das neue Mädchen, wir müssen die alten Gewohnheiten überwinden! Aus Ärger zerbreche ich meine Armreife, die mich halten.“ (1980er-Jahre, in Paschto)
Naghma Shaperai gilt als das Gesicht der traditionellen paschtunischen Musik. 1977 heiratete sie den zu dieser Zeit bereits sehr berühmten Sänger Mangal. Von den 1970er-Jahren bis Anfang der 1990er-Jahre traten beide oftmals gemeinsam auf. Später ließ Naghma sich in Pakistan nieder, wo sie weitere Erfolge feierte und mit dem Verdienstorden des Landes, dem Tamgha-e-Imtiaz, ausgezeichnet wurde. Mittlerweile lebt sie in den USA.
5. Aryana Sayeed: „Zan Astam“ („Ich bin eine Frau“)
„Wo wären euer Mohammed, Rustam und Suhrab? Ich bin diejenige, die eure Helden, eure Propheten auf die Welt gebracht hat. Eine Frau!“ (2018, in Dari)
Beschäftigt man sich mit aktueller Musik aus Afghanistan, so kommt man an Aryana Sayeed nicht vorbei. Mit acht Jahren verließ sie mit ihren Eltern ihre Heimat und lebte in Pakistan, der Schweiz und in England. Im Jahr 2010 kehrte sie nach Afghanistan zurück, wo sie zum erfolgreichsten weiblichen Popstar des Landes wurde.
Sie trat in zahlreichen Fernsehshows auf und war Jurymitglied bei der elften Staffel von „Afghan Star“. Sayeed engagiert sich für Frauenrechte und bricht in ihren Songs mit Tabus. So wurde sie zur Zielscheibe von Hardlinern, die eine „Fatwa“, ein Todesurteil, gegen sie erließen. Im Jahr 2021, als die Taliban die Macht im Land ergriffen, musste die Sängerin aus Afghanistan fliehen.
6. Salma Jahani: „Ma Bararand Ke Chon Roye Tost“ („Dein Gesicht ist so schön wie der Mond“)
„Dein Gesicht ist so schön wie der Mond.“ (Männer im Chor:) „Nein, nein, das stimmt nicht. Deine Haare duften schön“ (Ende der 1970er-Jahre, in Dari)
Salma Jahani wurde mit dem Lied „Bia Ke Borem Ba Mazar“ („Komm, lass uns nach Masar gehen“) berühmt, das zu Nouruz, dem persischen Neujahrs- und Frühlingsfest gesungen wird. Bis heute wird das Lied in indo-persischen Communitys nachgesungen. Heute lebt sie in den USA. In ihrem Lied „Ma Bararand Ke Chon Roye Tost“ geht es um Poesie, in der ein Mann von einer verliebten Frau gepriesen wird.
7. Shuhra Wakili: „Tu Bigu“ („Du sagst“)
„Der Mondschein der Nächte meines Herzens, die Sonne meiner Ziele. Wenn du das Meer bist, bin ich die Küste. Oh du Stimme meines Herzens. Sag, du liebst mich, damit ich erwidere, ich liebe dich …“ (2021, in Dari)
Shuhra Wakili kombiniert afghanische Musik mit einem Folk-Touch. Sie lebt in Tadschikistan und ist dort bei einer Produktionsfirma unter Vertrag. Zwischen Tadschikistan und Afghanistan gibt es viele kulturelle Überschneidungen, in beiden Ländern wird Dari gesprochen. Das Lied „Tu Bigu“ ist ursprünglich von der tadschikischen Sängerin Nigina Amonkulova.
8. Khanom Zhila: „Oh Bacha“ („Hey, Junge“)
„Die Augen voller Träume sollst du haben (wörtlich: „die Augen voll benebelt mit Drogen“), frech mit prächtigem Haar sollst du sein, hey, Junge.“ (1977, in Dari)
Khanom Zhila wurde im Alter von 14 Jahren in der afghanischen Musikszene aktiv. Über vierzig Jahre lang war sie als Sängerin sehr angesehen. Seit 1982 lebt Zhila im kalifornischen Exil. In ihrem Lied „Oh Bacha“ besingt sie einen Mann, der sie nicht zu beachten scheint.
9. Mermon Parwin: „Azadi“ („Freiheit“)
„Meine Lieben, es ist die afghanische Feier, komm, mein Kind, iss Trauben [...], mein Herz feiert und lacht, komm, mein Kind, iss Trauben.“ (1951, in Dari)
Mermon Parwin ist die erste Sängerin, deren Stimme 1951 im afghanischen Rundfunk ausgestrahlt wurde. Damit ebnete sie anderen Sängerinnen, Moderatorinnen und Nachrichtensprecherinnen den Weg. In „Azadi“ spricht sie die Kinder Afghanistans an. Sie sollen die Freiheit genießen und ihr Land voranbringen. Das Lied bezieht sich auf den Nationalfeiertag, der an Afghanistans Unabhängigkeit vom British Empire im Jahr 1919 erinnert.
10. Seeta Qasemie: „Afghani Sada Kon“ („Nenn mich Afghanin“)
„Du kannst mich mit dem Namen Bamiyani rufen. Du kannst mich auch Laghmani rufen. […] Ich bin die Stadt der Dämmerung, der Liebe und der Existenz […], nenn mich Afghanin.“ (2018, in Dari)
Seeta Qasemie, 1983 in Kabul geboren, zählt zu den bekanntesten afghanischen Sängerinnen. Im Alter von 15 Jahren zog sie nach Deutschland, wo sie heute mit ihrer Familie lebt. In „Afghani Sada Kon“ personifiziert Qasemie Afghanistan. Das Lied ruft Afghaninnen und Afghanen auf, stolz auf ihr Land zu sein.
Musikauswahl von Farhot. Der Produzent und Gründer von Kabul Fire Records wurde 1982 in Afghanistan geboren.
Mitarbeit: Atifa Qazi