Klimawandel | Senegal

Insel der Übriggebliebenen

Mitten im Flussdelta des Saloum in Senegal liegt die Insel Diamniadio. Hier leben die Menschen von dem, was das Meer ihnen bietet. Doch jedes Jahr sind die Netze etwas leerer

Ein Mann in Shorts und T-Shirt wirft von einem kleinen Boot den Anker aus.

Die Insel Diamniadio liegt im verzweigten Flussdelta des Saloum im Westen Senegals. Die Auswirkungen des Klimawandels machen sich hier deutlich bemerkbar

Über den sich kräuselnden Wellen des senegalesischen Flusses Saloum glitzert die silberne Kuppel einer Moschee. Graue Wände von einstöckigen Gebäuden scheinen direkt aus der Wasseroberfläche aufzusteigen. Auf dem blau-weiß gekachelten Tor am Ende eines Bootsanlegers heißen verblichene Buchstaben diejenigen willkommen, die hier, auf der Insel Diamniadio mitten in diesem verzweigten Flussdelta im Westen Senegals, an Land gehen: „Soyez Les Bienvenus“.

Im Schatten eines Unterstands flicken ein paar Männer ein großes Netz, eine Frau breitet frisch gekochte Krabben auf einer Holzplanke aus. Daneben schwappt das Wasser an den flachen weißen Strand.

„Genau hier, auf Diamniadio, verläuft eine der Frontlinien des Klimawandels“

Doch so malerisch die Szenerie sein mag, so klar ist auch, dass genau hier, auf Diamniadio, eine der Frontlinien des Klimawandels verläuft. Nur wenige Meter liegt die Insel über dem Wasserspiegel. Kommt die Flut, dann dringt das salzige Wasser des Atlantiks tief in die verzweigten Arme des Saloum ein und frisst sich in die Strände der Insel. „Jedes Jahr steigt das Wasser etwas höher“, erzählt Diamé Sarr, der Bürgermeister von Diamniadio. Immer wieder überspült es dabei sogar die Türschwellen der grauen Zementhäuser auf der Insel.

Im seichten Wasser nahe des Ufers liegen Pirogen vertäut, bunt bemalte schmale Holzboote, mit denen die Männer der Insel jeden Tag hinausfahren und auf reichen Fang hoffen. Die Boote haben dem Land einst seinen Namen gegeben: „Sunu gaal“ bedeutet auf Wolof, der meistverbreiteten Sprache, „unsere Piroge“. Kein Wunder, denn vor der 718 Kilometer langen senegalesischen Küste befand sich bis vor Kurzem eines der fischreichsten Gewässer der Erde.

Für die Ernährung im Land liefert Fisch 75 Prozent des tierischen Eiweißes. Und er schafft Arbeitsplätze: Beinahe jede fünfte Person fängt Fisch, sammelt Muscheln und Krabben oder verarbeitet diese weiter. Auch auf Diamniadio leben die Menschen seit Generationen von dem, was das Flussdelta ihnen bietet. Doch jedes Jahr sind die Netze etwas leerer. „Früher konnte man die Fische vom Strand aus fangen, jetzt nicht mehr“, erzählt Bürgermeister Diamé Sarr. Die Zeiten, in denen in einer Stunde bis zu zehn Kilogramm frischen Fisch aus dem Wasser gezogen wurden, seien lange vorbei. Wenn es gut läuft, dann ergattere man fünf Kilogramm pro Tag.

„Dass der Fang in diesem artenreichen Gebiet immer dürftiger ausfällt, liegt auch an dem unstillbaren Hunger nach Fisch in anderen Teilen der Erde“

Dass der Fang in diesem artenreichen Gebiet immer dürftiger ausfällt, liegt nicht nur an den Folgen des Klimawandels, sondern auch an dem unstillbaren Hunger nach Fisch in anderen Teilen der Erde. Als erstes afrikanisches Land schloss Senegal im Jahr 1979 ein Fischereiabkommen mit der Europäischen Union. Was kurzfristig nach einem guten Geschäft klang, zementierte auf längere Sicht den Kampf um die Ressource Fisch: In großem Stil fangen seitdem industriell arbeitende Hochseetrawler den Fisch weg.

Dazu kommen mittlerweile häufig chinesische Trawler, die wie ihre europäischen Konkurrenten oft illegal unter senegalesischer Flagge fahren. In den küstennäheren Gebieten bleibt so weniger Fang für die einheimischen Fischer in ihren Pirogen übrig.

400.000 Tonnen Fisch werden offiziellen Zahlen zufolge Jahr für Jahr in Senegal aus dem Meer gezogen. Doch laut Aussage von Diène Faye, dem Direktor des senegalesischen Fischereiministeriums, dürften die tatsächlichen Zahlen deutlich höher liegen. In seinem Ministerium ist man sich der illegalen Fischerei in den heimischen Gewässern sehr bewusst. Doch die Kontrolle ist schwierig, das Budget knapp. „Biologische Pausen“, in denen eine bestimmte Art nicht gefischt werden darf, sollen nun dafür sorgen, dass sich die Bestände regenerieren.

„400.000 Tonnen Fisch werden offiziellen Zahlen zufolge Jahr für Jahr in Senegal aus dem Meer gezogen“

Jedes Jahr werden deshalb neue Fangobergrenzen ausgehandelt, insbesondere für die sogenannten Edelfische wie beispielsweise den Zackenbarsch, in Senegal „Thiof“ genannt. Früher spielte der Thiof die Hauptrolle im senegalesischen Nationalgericht Thieboudienne – würziger Reis mit Gemüse und Fisch. Heute wird Thieboudienne jedoch oft mit den deutlich günstigeren Sardinen zubereitet, denn einen Thiof können sich nur noch die wenigsten Menschen leisten.

Auf Diamniadio bekommt man von den politischen Aushandlungsprozessen in Dakar wenig mit. Doch deren Auswirkungen sind hier umso deutlicher spürbar, wie die Muschelsammlerin Adjaratou Guéye erzählt: „Wir leben vom Meer. Wir können nichts anderes als Fischen.“ Guéye ist um die sechzig Jahre alt, ihr genaues Alter kennt sie nicht. Mit dem Erlös aus ihren getrockneten Muscheln kam sie lange über die Runden, doch nun reicht es nicht mehr.

Wie die meisten Frauen des Dorfes watete sie jeden Morgen während der siebenmonatigen Muschelsaison bis zur Hüfte in das schlammige Wasser zwischen den Mangrovenwurzeln. Mit ihren Füßen und einem Stock ertastete sie Austern und andere heimische Muscheln, denn im braun-schlammigen Wasser sieht man keine Handbreit in die Tiefe. Dann landeten ihre Funde in einem Sack oder Eimer, den sie sich an die Hüfte gebunden hatte. Bis zu hundert Kilogramm sammelte sie so, bevor Guéye ihren Fang an Land hievte. Die Arbeit ist hart – und forderte ihren Tribut: Dort, wo eigentlich der vierte ihrer fünf Zehen sein sollte, klafft an ihrem linken Fuß eine Lücke.

Welche Flusskreatur den Zeh abgebissen hat, weiß sie nicht. Seitdem geht Guéye seltener selbst hinaus in die Mangroven. Meistens verarbeitet sie nun den Fang der anderen Frauen an Land weiter.

Muscheln, Krabben und Fisch verderben schnell, wenn sie nicht konserviert werden. Auf der Insel Niodior, gut zwei Bootsstunden von Diamniadio entfernt, ist genau das möglich: unterstützt durch die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) wurde dort eine kleine Fischfabrik gebaut, in der ausschließlich Frauen arbeiten. Sie räuchern, trocknen und verpacken den täglichen Fang und verkaufen ihn mit Profit am Festland weiter.

„Kein Strom und kaum Perspektiven: Beinahe jeder Mann der Insel hat Diamniadio schon einmal verlassen“

Doch auf Diamniadio gibt es keinen Strom. „Wenn wir Kühlmöglichkeiten hätten, dann könnten auch wir größere Fangmengen verarbeiten“, betont Muschelfischerin Adjaratou Guéye. „Wir sind völlig abgeschnitten. Oft fühlt es sich so an, als würden wir gar nicht zum Senegal gehören.“

Kein Strom und kaum Perspektiven: Beinahe jeder Mann der Insel hat Diamniadio schon einmal verlassen. Auch Sama Sarr, 51 Jahre alt und Fischer, wollte nicht länger auf ein besseres Leben verzichten. Im Jahr 2006 ist er mit einer Piroge in See gestochen. Immer der Küste entlang nach Norden, parallel zum mauretanischen Ufer und schließlich, darauf hoffend, nicht von der marokkanischen Küstenwache gestoppt zu werden, zu den Kanarischen Inseln.

Irgendwann wurde das Essen knapp, doch seine Piroge überwand die 1.500 Kilometer über den Atlantik. Sarr gelangte nach Spanien – um dort nach nur sechswöchigem Aufenthalt aus einem Geflüchtetenlager abgeschoben zu werden. Umgerechnet 1.000 Euro hatte er für die Überfahrt zusammenkratzen müssen.

Was geschehen müsse, um auf Diamniadio bleiben zu wollen? Die Antwort erfolgt prompt: Strom, ein eigenes Boot mit Motor, eine Mauer, die vor dem steigenden Wasserspiegel schütze. Doch Sama Sarr hat die Hoffnung aufgegeben, dass sich auf seiner Insel etwas ändert. „Sobald ich genug Geld zusammenhabe, versuche ich es wieder“, sagt er entschlossen.

Dieser Text entstand im Rahmen einer Recherchereise mit der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen e.V.