Popkultur | Türkei

„Die Musik ist voller Klage“

Das Projekt „Die Vertrautheit der Sehnsucht“ erzählt die Geschichten türkischer Migrantinnen mithilfe von Interviews und Mixtapes. Über die Verbindung zwischen Musik und Heimat

Das Bild zeigt eine blonde Frau im roten Kleid von der Seite. Sie steht vor einem Plattenregal mit Schallplattenspieler. Sie hält eine Schallplatte in den Händen und schaut sich deren Hülle an.

Kornelia Binicewicz mit ihrer Plattensammlung

Frau Binicewicz, Ihr Projekt „Die Vertrautheit der Sehnsucht“ beleuchtet die Erfahrungen türkischer Gastarbeiterinnen. Wie kamen Sie auf dieses Thema?
Arbeitsmigration, und auch gerade Migration aus der Türkei nach Deutschland, wird sehr oft aus männlicher Perspektive erzählt. Frauen kommen darin meist als unterdrückte Ehefrauen vor. Ein Drittel der ersten Generation der Arbeitsmigranten waren jedoch unverheiretete, gebildete Frauen. Ihre Geschichten wurden bisher außer Acht gelassen.

Sie wollen das ändern und nutzen dafür das Thema Musik. Wie passt das zusammen?
Ich fange meine Projekte immer mit Musik an. Denn die Musikwahl verrät uns immer etwas über Menschen. Also habe ich Bekannte in Deutschland kontaktiert, die mich wiederum mit Frauen aus der ersten, zweiten und dritten Generation von Arbeitsmigrantinnen in Verbindung gesetzt haben. Diese Menschen habe ich dann interviewt, sie über ihr Leben und über ihre Verbindung zur Musik ausgefragt. So sind mehrere sehr emotionale und biografische Interviews und zwei Mixtapes entstanden.

„Die meisten der Frauen haben aus der anfänglichen Einsamkeit und Sehnsucht neue Kraft geschöpft – und sich ein Leben aufgebaut, das sonst wohl nie möglich gewesen wäre“

Was erzählt uns die Musik auf diesen Mixtapes?
Eine Künstlerin, die von vielen der Frauen gehört wird, ist Yüksel Özkasap. Sie war selbst eine der ersten türkischen Frauen, die 1966 nach Köln kamen. Ihre Musik ist voller Kummer, voller Klage über das unerwartet harte Leben in Deutschland – und behandelt die Einsamkeit und die Sehnsucht, also »Gurbet«, der Auswanderer. Das trifft einen Nerv.

Ein Song trägt den Titel „Almanya’da Ölenler“, auf Deutsch „Die, die in Deutschland starben“. Was hat es damit auf sich?
Das ist zum einen symbolisch zu verstehen: Man hat das Gefühl zu sterben, weil man so weit weg von dem ist, was einem am Herzen liegt. Gleichzeitig spiegeln Lieder wie diese aber auch die körperlichen Entbehrungen vieler Migranten wider, etwa jener, die durch die harte Arbeit im Kohlebergbau schwer krank wurden oder gar starben.

Was hat Sie an dem Projekt am meisten bewegt?
Die Tatsache, dass die meisten der Frauen ihre Entscheidung, nach Deutschland zu kommen, rückblickend nicht bereuen. Sie haben aus der anfänglichen Einsamkeit und der tiefen Sehnsucht, von der auch ihre liebsten Musikerinnen und Musiker singen, neue Kraft geschöpft – und sich hier ein Leben aufgebaut, das sonst wohl nie möglich gewesen wäre.

 

Auf Soundcloud finden Sie das Mixtape „Vertrautheit der Sehnsucht“, das von Kornelia Binicewicz basierend auf Schallplatten aus der damaligen Zeit gemixt wurde. Gemeinsam mit den interviewten Frauen stellte sie auf Spotify zusätzlich die Playlist „Vertrautheit der Sehnsucht“ zusammen. 

Das Interview führte Atifa Qazi