Künstler mit zwei Talenten
Kaum wurde Angola im Jahr 1975 unabhängig, da brach der Bürgerkrieg aus. Ich wurde 1978 geboren, als er gerade heftiger zu toben begann. Meine Eltern hatten vier Kinder, und wir lebten in Benguela, einer Stadt im Westen des Landes. So seltsam es klingen mag: Krieg wird irgendwann zum Normalzustand. Von klein auf wusste ich deshalb zum Beispiel, dass ich auf der Straße keine Gegenstände aufheben durfte. Immerhin konnte es sich ja um eine Bombe handeln. In gewisser Weise trug diese Situation dazu bei, dass ich Schriftsteller wurde. Meine Sinne für meine Umwelt wurden früh geschärft.
„Krieg wird irgendwann zum Normalzustand. Von klein auf wusste ich, dass ich auf der Straße keine Gegenstände aufheben durfte“
Für den Großteil der 1980er-Jahre war Angola ein Schauplatz des Kalten Krieges. Die USA und die Sowjetunion lagen im Clinch, und südafrikanische Truppen marschierten in das Land ein. Dieser Konflikt lehrte mich, dass es auf der Welt verschiedene Machtzentren gibt und Allianzen schnell wechseln können. 1990, als Mandela aus dem Gefängnis freikam, gab es dann eine kurze Feuerpause. Die südafrikanischen und kubanischen Truppen verließen Angola.
Doch der Waffenstillstand hielt nur ein paar Monate. Ich erinnere mich immer noch an den Ausdruck tiefster Enttäuschung auf den Gesichtern meiner Eltern und Großeltern, als alles von Neuem begann.
1995, als Teenager, kam ich dann nach Portugal. Meine Mutter war der Ansicht, wir würden nie unser volles Potenzial ausschöpfen, wenn wir umgeben von Krieg aufwachsen müssten. In Europa fand ich viele neue Dinge heraus. Zum Beispiel, dass man mit einem Interrailticket recht preiswert in andere Länder reisen konnte. Ich besuchte Konzerte in Spanien und Ausstellungen in Paris. Es war nicht zu fassen! In Afrika hatten wir nicht einfach so in einen Zug steigen und nach Botswana oder Mosambik reisen können.
Meine Lust, die europäische Kultur kennenzulernen und auch etwas zurückzugeben, war riesig. Ich erzählte den Leuten von Afrika und von den Auswirkungen des Neokolonialismus. Ich fing auch an, Gedichte zu schreiben, um einen Austausch zwischen Mitgliedern der afrikanischen Diaspora in Europa anzustoßen.
Auch die Musik war damals schon ein großer Teil meines Lebens. In Portugal gab es viele afrikanische Einflüsse und ich bewunderte Musiker wie Miriam Makeba und Fela Kuti, die damals noch nicht so bekannt waren. Ich dachte, wir könnten das, was die junge Generation beschäftigte, mittels Rap, Hip-Hop und Pop zum Ausdruck bringen.
Nachdem ich eine Zeit lang Texte für andere geschrieben hatte, bekam ich das Angebot, meine Gedichte mit einer Trip-Hop-Begleitung, also elektronischer Musik mit Einflüssen aus dem Hip-Hop, vorzutragen. 1999 startete ich dann eine Solokarriere und nahm zwei Trip-Hop-Alben auf.
Um diese Zeit war in England Dance Music aus der ganzen Welt populär. So fanden beispielsweise puerto-ricanische Perkussionsmuster in der House-Musik Verwendung. Da kam mir die Idee, dass man das auch mit angolanischer Musik machen könnte. Ich war immer ein Fan von Kizomba gewesen, einem Sound mit einem langsamen, sinnlichen Rhythmus, der gerade bei portugiesischsprachigen Afrikanerinnen und Afrikanern beliebt ist.
„Niemand in Portugal kannte Kuduro, einen schnellen, tanzbaren Musikstil aus Angola. Wir gründeten die Band ,Buraka Som Sistema‘, und unsere von Kuduro inspirierte Musik trat ihren Siegeszug an“
Kuduro, den schnelleren Ableger, kannte in Portugal jedoch niemand. Um 2005 herum hatte ich dann das Glück, die richtigen Leute zu treffen. Wir gründeten die Band Buraka Som Sistema, und unsere von Kuduro inspirierte Musik trat ihren Siegeszug an. Wenn afrikanische Künstlerinnen und Künstler heute ausverkaufte Konzerte in Arenen mit 10.000 Plätzen geben, kommen sie meist aus der Kizomba-Szene.
Mit Buraka Som Sistema gelang das auch erstmals einem Kuduro-Act. Wir hatten damals ein klares Ziel: Wir wollten unsere Musik außerhalb der portugiesischsprachigen Welt bekannt machen und Menschen rund um den Globus begeistern.
„Ich habe oft die Erfahrung gemacht, wie schwierig es ist, Grenzen zu überwinden – gerade dann, wenn ich mit meinem angolanischen Pass unterwegs war“
Bei meinen internationalen Shows fiel mir auf, dass die Leute überall auf denselben Anreiz reagieren: Wenn man „Jump!“ ruft, springen sie in die Luft! Vielleicht sind die Menschen aus Kolumbien dabei ein bisschen enthemmter als Menschen aus Japan, aber eins haben sie alle gemein: Sie wollen Spaß haben.
Aufgehört zu schreiben habe ich derweil nie. Nach meiner Spoken-Word-Poetry-Phase begann ich, eine Kolumne für die portugiesische Zeitung „Publico“ zu verfassen. Im Jahr 2009 zog ich dann mit meiner Frau, die Deutsche ist, von Lissabon nach Berlin, und als wir 2015 mit Buraka Som Sistema eine Pause einlegten, hatte ich Zeit, mich konzentriert einer Aufgabe zu widmen.
Also schrieb ich mein Buch „Também os brancos sabem dançar“ („Auch Weiße können tanzen“). Darin erzähle ich von der Schwierigkeit, Grenzen zu überwinden. Denn selbst als Mitglied einer portugiesischen Band habe ich diese Erfahrung oft gemacht, gerade dann, wenn ich mit meinem angolanischen Pass unterwegs war. Obwohl ich in Europa lebe, weiß ich, dass ich im Kern Afrikaner bin.