Therapie mit Hüftschwung
Seit Jahrhunderten, vielleicht sogar Jahrtausenden, spielte das Vibrieren mit dem Gesäß eine wichtige Rolle in vielen traditionellen afrikanischen Tänzen. Es war Teil von Trance-Ritualen zur Anrufung von Fruchtbarkeitsgöttinnen. Aber in meiner Familie, die nach einer königlichen Dynastie in Mali benannt ist, gilt ein solcher Tanz als erniedrigend und wird mit Gebräuchen assoziiert, wie sie die unteren Kasten unserer Gesellschaft praktizieren.
Twerk wird übrigens von allen Seiten kritisiert, sogar von Feministinnen, das bin ich gewohnt. Sie denken vielleicht an Auftritte wie jenen der Sängerin Miley Cyrus, die damit bei den MTV Awards 2013 Aufsehen erregte. Das ist allerdings eher ein Beispiel dafür, wie sich der Blick verändert, wenn sich eine weiße Person eine Praxis aus einer anderen Kultur aneignet. Was die Kritikerinnen und Kritiker nicht wissen, ist, dass wir die Hüften nicht schwingen, um männliches Verlangen zu wecken, sondern um mit den Emotionen zu arbeiten, die in diesem Teil des Körpers wohnen.
Tanzen gegen das Trauma sexueller Gewalt
Bei der Booty Therapie, die ich anbiete, geht es darum, durch die Verbindung von Beckenbewegungen und Schreien Traumata anders als durch Worte auszudrücken und zu verarbeiten. Vielen Frauen hilft das Ganze auch einfach, ihren Körper anzunehmen und zu ihm zu stehen. Mir persönlich hat dieser Tanz den Weg zur Resilienz eröffnet, mit ihm gelang es mir, die Geister auszutreiben, die mich verfolgten, nachdem ich seit meiner Kindheit wiederholt Sexismus und sexuelle Gewalt erlitten hatte. Ich wurde im Alter von drei Jahren während einer Reise nach Mali genital verstümmelt und als Kind und junge Erwachsene mehrmals vergewaltigt.
Meine Liebe zum Tanz entdeckte ich, als ich vier Jahre alt war. Ich sprach damals kein Französisch, sondern Soninké, da wir gerade von einem längeren Aufenthalt aus Mali zurückgekehrt waren. Weil ich die Menschen in Frankreich nicht verstand, beobachtete ich sie umso intensiver und achtete auf ihr Aussehen und ihre Bewegungen.
Ein besonderes Ereignis ist mir in Erinnerung geblieben. Einmal lief im Fernsehen eine Show mit Claude François, einem damals berühmten Sänger. In dem Moment, in dem ich auf dem Bildschirm in unserem Wohnzimmer den Mann mit den blonden Haaren und den „Clodettes“, den überaus leicht bekleideten Tänzerinnen, die ihn begleiteten, sah, begannen meine muslimischen Eltern zu beten.
„Wir schwingen die Hüften nicht, um männliches Verlangen zu wecken, sondern um mit den Emotionen zu arbeiten, die in diesem Teil des Körpers wohnen“
Die Gleichzeitigkeit der beiden Szenen, die Glitzerkostüme und nackten Beine der jungen Frauen auf der einen Seite, und das religiöse Ritual meiner Eltern auf der anderen, faszinierte mich. Für meinen Vater und meine Mutter war es unvorstellbar, dass ich Tanzunterricht nehmen würde. Ihnen fehlten die finanziellen Mittel dafür, vor allem aber galt Tanzen in unserer Kaste als unwürdig. In unserer Kultur können nur Griots, die Dichter und Geschichtenerzähler, die traditionelles Wissen in mündlicher Form weiterreichen, Anerkennung als Künstler bekommen.
Doch als ich 13 Jahre alt war, gaben meine Eltern meinem Bitten schließlich nach. Sie meldeten mich für einen Kurs in Jazzdance an, der von der Stadt angeboten wurde. Ich war ein sehr wütender, aufbrausender Teenager, und meine Eltern hofften, dass dieses Hobby eine beruhigende Wirkung auf mich haben würde. Es funktionierte.
Aber es dauerte noch einige Jahre, bis ich die Kraft entdeckte, die im Becken liegt. Schließlich war es ein kongolesischer Lehrer, der mir 1993 beibrachte, meinen Hintern zu bewegen. Am Anfang war er ziemlich verzweifelt über meine ungeschickten Hüftschwünge. Eines Abends machte es dann Klick: Wir führten in einem Jugendzentrum in Grigny, einer Kleinstadt nahe Paris, eine Tanzshow auf, der Saal wurde von zwei kleinen Scheinwerfern beleuchtet. Sogar mein Freund war da.
Im Vergleich zu den anderen Mädchen, die mir sehr schön schienen und weiblichere Formen als ich hatten, kam ich mir ungelenk vor. Doch als die Musik erklang, fuhr mir unerwartet eine völlig neue Energie ins Becken, und endlich wagte ich es, mich aufzuschwingen. Es war, als würde ich fliegen – und mir diesen so oft missbrauchten Teil meines Körpers zurückerobern.
„Mir hat der Tanz den Weg zur Resilienz eröffnet. Mit ihm gelang es mir, die Geister auszutreiben, die mich verfolgten, nachdem ich wiederholt sexuelle Gewalt erlitten hatte“
Seitdem sind die „Spiralen“, so nenne ich die Vibrationen meines Beckens, ein wichtiger Bestandteil meines Lebens. Ab 1996 begann ich, Kurse in Ndombolo und traditionellen afrikanische Tänzen, aber auch das Tanzen zu Ragga und Dancehall in verschiedenen Gemeindezentren in Pariser Vororten zu unterrichten. Davon inspiriert, arbeitete ich, nach einer Reise nach Mali, an meiner Booty Therapy.
Schwangerschaft und die Geburt meiner Kinder waren ebenfalls wichtige Erfahrungen, die in meine Arbeit einflossen. Mir wurde klar, dass man als Frau mit seiner Vagina außergewöhnliche, intensive Dinge erleben kann, ohne dass es sich dabei um Ekstase oder Gewalt handeln muss. Meine erste Tochter war noch kein Jahr alt, als ich 2002 meine Tanzkompanie Les Ambianceuses gründete.
Nachdem meine zweite Tochter 2010 zur Welt kam, legte ich die Grundzüge der Booty Therapy fest, wie ich sie heute unterrichte, auch wenn ich sie ständig weiterentwickle: Es ist eine Mischung aus verschiedenen Elementen, aus afrikanischen Tänzen – neben dem erwähnten kongolesischen Ndombolo etwa Coupé Decalé aus der Elfenbeinküste –, ein wenig Fitness und Psychologie. Dazu kommen meine Kenntnisse aus dem Theater und über afrikanische Philosophien.
Zu dieser Zeit wurde ich mit meinen Tanzkursen bereits über die Grenzen von Frankreich hinaus bekannt. 2006 begann ich, Tanzkurse in Deutschland zu geben. 2008 folgten Einladungen in die USA und nach Schweden, 2009 nach England. Es war ein aufregendes Leben mit all den Reisen, inspirierenden Begegnungen und wunderbaren Aufführungen.
Die „Schwester des Terroristen“
Doch dann erschütterte im Januar 2015 eine Welle von Attentaten Frankreich. Als ich am 7. Januar 2015 – es war ein Mittwochmorgen – von dem Anschlag auf die Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ erfuhr, bekam ich sofort Angst, dass mein kleiner Bruder, der bereits mehrfach im Gefängnis gesessen hatte, in die Sache verwickelt sein könnte. Ich hatte ihn einige Tage zuvor gesehen, er hatte angespannt gewirkt und mir seltsame Fragen über die Anzahl der Stunden, die ich ohne Schlaf verbringen konnte, gestellt.
Dann las ich, dass es sich bei den beiden Tätern um die Brüder Chérif und Saïd Kouachi handelte. Doch am nächsten Tag passierte es. Mein Bruder erschoss eine schwarze Polizistin. Ich hätte den Schuss hören können, ich wohnte fünfzig Meter vom Tatort entfernt. Mein Wecker war ausgefallen. Am nächsten Tag, dem Freitag, brauchte ich sehr lange, um zu begreifen, dass mein Bruder in den Terroranschlag im „Hyper Cacher“, dem jüdischen Supermarkt, verwickelt war.
Meine Schwestern riefen mich mehrmals an, sie sprachen alle gleichzeitig, und ich brauchte mehrere Stunden, um zu realisieren, was passiert war. Dann klingelte mein Telefon ununterbrochen: die Presse, Kolleginnen, Bekannte, Freunde, auch solche, von denen ich schon länger nichts mehr gehört hatte, riefen mich an, um mich zu befragen, mir Hilfe anzubieten oder mich zur Rede zu stellen. Es fühlte sich an, als ob die ganze Welt über mir einstürzen würde.
Journalisten versuchten, sich in meinen Unterricht einzuschmuggeln, indem sie sich als Schüler ausgaben, oder sie belagerten den Eingang des Tanzstudios. Diese Erfahrungen haben mein Verhältnis zu fremden Menschen völlig verändert. Ob ich es wollte oder nicht, ich war zur „Schwester von“ geworden. Ich fühlte mich verloren und war wütend. In den darauffolgenden Monaten nahm ich zwanzig Kilo zu. Die ganze Geschichte mit meinem Bruder, seine Taten und sein Tod, blieben in mir stecken, ich fand keinen Weg, meine Gefühle auszudrücken. Der einzige Ort, an den ich flüchten konnte, waren meine Tanzstunden.
Booty Therapy für mehr Resilienz
Erst auf einer Reise von Mississippi nach Kalifornien im August 2017 begann ich, das, was mit meinem Bruder passiert war, zu erfassen. Mein Kummer konnte endlich herauskommen, meine Tränen flossen ununterbrochen während des gesamten Fluges. Ich hatte vor allem das Bedürfnis zu schreiben, über mich und meinen Tanz zu erzählen, ich wollte nicht mehr ständig auf meinen Bruder zurückgeführt werden. Paradoxerweise wurde mein Manuskript dank Camille Emmanuelle veröffentlicht, der Ehefrau des Karikaturisten „Luz“, der für „Charlie Hebdo“ arbeitet und das Attentat überlebt hat. Ich hatte die Verlegerin 2014 kennengelernt, als sie zu einem meiner Tanzkurse kam, und sie sagte mir sofort zu, meine Geschichte zu publizieren.
„Um meine Kurse bekannt zu machen, organisierte ich Flashmobs an öffentlichen Orten: am Alexanderplatz oder auf U-Bahnsteigen“
Doch zu Ende bringen konnte ich das Buch erst, als ich nicht mehr in Frankreich lebte. Im September 2018, ein Jahr nachdem ich in Los Angeles einen Deutschen kennengelernt hatte, kam ich mit meinen beiden Töchtern nach Berlin. Um meine Tanzkurse bekannt zu machen, organisierte ich Flashmobs an verschiedenen öffentlichen Orten: am Alexanderplatz, auf den Bahnsteigen der U-Bahn oder S-Bahn. Die Mundpropaganda funktionierte, und ich konnte schnell einen neuen Kundenstamm für meine Kurse aufbauen.
Ich war überrascht, wie wenige schwarze Menschen es in Berlin gibt. Und im Vergleich zu Paris wird der Rassismus hier viel direkter zum Ausdruck gebracht. Aber es öffneten sich auch neue Türen: Ich konnte mehrere Solovorstellungen geben, lernte Leute aus der Burlesque-Szene kennen und aus LGBTQ+-Kreisen. In Frankreich muss man sich auf ein Netzwerk stützen, um etwas zu erreichen. Hier ist mein kultureller Background zweifellos ein Vorteil und ermöglicht es mir, auch in meiner Arbeit immer wieder Neues zu schaffen.
Protokolliert von Cécile Calla