Literatur | Simbabwe

„Englisch ist für mich keine Sprache der Intimität“

Mit viel Humor und im Takt ihrer Muttersprache Ndebele schreibt NoViolet Bulawayo über Simbabwe – und das obwohl sie selbst längst in den USA lebt. Ein Gespräch über die gesunde literarische Distanz, moderne afrikanische Erzählkunst und Sprache als Heimat
No Violet Bulawayo schaut links an der Kamera vorbei. Sie trägt eine pink und grün gemusterte Bluse.

NoViolet Bulawayo ist Autorin und Trägerin des Caine Prize for African Writing

Interview von Jess Smee

Frau Bulawayo, in unseren Vorgesprächen zitierten Sie den nigerianischen Schriftsteller Chinua Achebe: „Niemand lasse sich von der Tatsache täuschen, dass wir oberflächlich gesehen auf Englisch schreiben, denn wir neigen dazu, unerhörte Dinge damit anzustellen“. Was spricht Sie an diesem Zitat an?

Ich lebe zwischen mehreren Sprachen, und mein Verhältnis zum Englischen ist natürlich nicht vergleichbar mit dem eines Muttersprachlers. Der Ausdruck „unerhörte Dinge damit anstellen“ bezieht sich darauf, dass ich das Englische verdrehe und verbiege, damit es flexibel genug wird, um meiner eigenen Muttersprache und meiner kulturellen Erfahrung Ausdruck zu verleihen.

Und wie manifestiert sich das in Ihrer Arbeit als Schriftstellerin?

Ich kann sehr gut auf Regeln verzichten, wenn es mir dadurch möglich wird, das zu sagen, was ich meine. Es ist mir beispielsweise wichtiger, dass ein Satz einen interessanten Klang hat, als dass er grammatikalisch korrekt ist. Manchmal übersetze ich direkt aus meiner Muttersprache Ndebele, die in Simbabwe, Botswana und Teilen Südafrikas gesprochen wird, ins Englische. Dabei breche ich dann natürlich auch mal eine Regel.

In meinem jüngsten Roman „Glory“ zum Beispiel verwende ich häufig Wiederholungen — ein Merkmal der afrikanischen Tradition der mündlichen Erzählkunst, die der Sprache des Roman zugrunde liegt. Interessanterweise hat dieses erzählerische Mittel einige Leser scheinbar verärgert. Aber ich muss zugeben, dass dieser Ärger mich sogar ein bisschen gefreut hat. 

Sind Sie selbst mit mündlichen Erzählungen aufgewachsen?

Als ich ein Kind war, gab es in meinem Heimatdorf, wo ich meine Sommer verbrachte, keinen Fernseher — dafür hätten wir auch gar keinen Strom dafür gehabt. Alle Generationen der Familie saßen jeden Abend um das Feuer, so wie mein Vater, der 1938 geboren wurde, mit seiner eigenen Großmutter um das Feuer saß und so wie seine Großmutter mit ihrer Großmutter um das Feuer gesessen hatte. Wir hörten den älteren Menschen zu, die uns Geschichten erzählten.

Meistens handelte es sich um Tiergeschichten, die uns unterhalten, aber auch Lehren fürs Leben vermitteln sollten. Sie wurden in einer kraftvollen Sprache vorgetragen, die fremdartige Welten mit Leben erfüllte und sie real erscheinen ließ. Und auch im täglichen Leben war ich immer von Sprachen umgeben, die sich unverfälscht und lebendig anfühlten und die so farbenfroh waren. Das hat meine eigene Art, Geschichten zu erzählen, sehr beeinflusst, auch wenn ich natürlich in einem anderen Medium arbeite — der Schrift.

„Die englische Sprache gibt es in Simbabwe seit über hundert Jahren, und unser Verhältnis zu ihr hat sich verändert“

Ist das Geschichtenerzählen eine typisch simbabwische Tradition?

Ja, das Erzählen von Geschichten war für alle Kulturen Simbabwes typisch und in verschiedenen Situationen üblich, als ich aufwuchs. Ich denke, das haben wir mit vielen Regionen des afrikanischen Kontinents gemeinsam, wo manchmal über die Grenzen hinweg dieselben Versionen bestimmter Geschichten verbreitet sind. Das spricht meiner Meinung nach auch dafür, dass die kolonialen Grenzen zwar den geografischen Raum, aber nicht immer die Kultur zerteilen konnten.

Allerdings hat der Wandel der Zeit, einschließlich der Technologie, diese Tradition verändert. Die jungen Simbabwer heute und in Zukunft werden das Geschichtenerzählen anders erleben. Meine Familie versammelt sich nicht mehr um einen Dorfältesten, um Geschichten zu hören, sondern um ein Gerät, das Zugang zu Geschichten aus der ganzen Welt bietet, und das natürlich nicht in unserer Muttersprache.

Wie fühlt es sich an, in der Sprache einer Kolonialmacht zu schreiben?

Man kann diesen Konflikt lösen, indem man sich die Sprache zu eigen macht, indem man sie zu seiner Sprache macht. Die englische Sprache gibt es in Simbabwe seit mindestens hundert Jahren, und unser Verhältnis zu ihr hat sich natürlich verändert. Um auf Achebes Zitat zurückzukommen, dass wir jetzt in der Lage sind, „unerhörte Dinge mit ihr anzustellen“ — das bedeutet, dass wir sie jetzt in Frage stellen, sie dezentrieren können, während wir mit ihr arbeiten.

Ich bin mir auch bewusst, dass nicht alle Simbabwer meine Muttersprache Ndebele sprechen, und dass diese Muttersprache außerhalb meines Landes nicht viele Sprecher hat. Außerdem wäre meine geliebte Heimat, die sich Literatur nennt, ein anderer Ort, wenn ich nicht all diese wunderbaren Schriftsteller aus der ganzen Welt lesen könnte. Das wäre mir ohne die Kenntnis der englischen Sprache nicht möglich.

Haben Sie in Ihrer Kindheit Englisch gesprochen?

Nicht sehr aktiv — ich habe es nur gesprochen, wenn es unbedingt nötig oder gerade praktisch war. Englisch war die Unterrichtssprache in der Schule, das war also ein Ort, an dem wir es benutzen mussten. Die Tatsache, dass wir es teilweise mehr schlecht als recht sprachen, zeugte jedoch davon, dass es für niemanden von uns die bevorzugte Sprache war. Wann immer wir konnten, wechselten wir zu unseren eigenen Sprachen.

Mein Vater hat uns zu Hause nicht erlaubt, Englisch zu sprechen, aber das war für mich in Ordnung. Heute, wenn ein Absatz etwas steif daherkommt, denke ich: Da fehlt ein bisschen Ndebele.

„Ich benutze Englisch manchmal, um über Themen zu sprechen, die in meiner eigenen Sprache problematisch sein könnten“

Sie leben seit zwei Jahrzehnten in den USA. Fühlen Sie sich jetzt in der englischen Sprache stärker „zu Hause“?

Englisch ist immer noch nicht die Sprache für Intimes für mich, aber ich benutze es manchmal, um über Themen zu sprechen, die in meiner eigenen Sprache problematisch sein könnten. In solchen Momenten fühlt es sich zwar nicht wie „zu Hause“ an, aber zumindest vertraut.

Ich muss auch sagen, dass mein Amerika nicht nur aus englischen Muttersprachlern besteht, sondern aus vielen Menschen aus der ganzen Welt, die alle ihr eigenes Englisch sprechen, die an dieser Sprache herumzerren, schieben und schubsen, weil es nicht nur eine Art gibt, in ihr zu existieren. Die englische Sprache ist groß und flexibel genug für uns alle.

Verändert sich dadurch das Narrativ im Westen?

Viele von uns haben ihre Heimat verlassen und sind in die westliche Welt gezogen, wodurch sich die kulturellen Landschaften dieser Länder verändert haben. Aber das hat es schon immer gegeben, die Menschheit war immer in Bewegung. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, dass wir zur Kenntnis nehmen, dass es auch Wanderungsbewegungen aus den westlichen Ländern in den globalen Süden gibt.

Es ist schön, zu sehen, dass Menschen ihre Geschichten erzählen, wo auch immer sie sind, und vielleicht ist es produktiver, von einem sich weltweit verändernden Narrativ zu sprechen.

Hat sich die Einstellung zur postkolonialen Literatur in der Literaturszene seit Beginn Ihrer Karriere verändert?

Ich habe das Gefühl, dass meine Karriere erst vor ganz kurzer Zeit begonnen hat, jedenfalls gemessen an der unglaublichen Arbeit und den vielen Aktivitäten, die zahlreiche Schriftsteller, Wissenschaftler und Denker schon vor meiner Generation auf dem Gebiet der postkolonialen Literatur geleistet haben.

Dennoch sind in der kurzen Zeitspanne, in der ich bislang aktiv war, unheimlich viele aufregende Dinge passiert, und wir haben jetzt noch viel mehr äußerst vielseitige Autoren und Kreative, die über alles und jedes schreiben, zu feiern.

„Satire schien mir das perfekte Mittel, um Themen zu behandeln, die real und aktuell waren; so konnte ich Distanz schaffen“

Darling, die Hauptfigur Ihres Romans „Wir brauchen neue Namen“, ist eine naive und zugleich kritische Beobachterin der Gesellschaft um sie herum. Sie beschreibt, wie sie nach Amerika auswandert und wie sie von den lächelnden Frauen, die alles als „schön“ bezeichnen, irritiert ist. Inwieweit spiegelt diese Figur Ihre ersten Tage in den USA wider? Wie war es für Sie, die englische Sprache in einem so anderen kulturellen und sozialen Kontext zu erleben?

Es war sehr schwierig für mich am Anfang, vielleicht, weil ich nicht gut darauf vorbereitet war. Ich habe zum Beispiel mein erstes Jahr am College nur geschwiegen, weil ich überwältigt war von dem Kulturschock, in einem fremden Land, einem neuen Seminarraum, einem anderen sozialen Umfeld. Erschwerend kam hinzu, dass ich damals den amerikanischen Akzent und die Sprachmuster nicht verstand.

Also tat ich das, was ich bei vielen Neuankömmlingen beobachtet habe: Ich zog mich in mich selbst zurück und wurde zur Beobachterin, weil ich das Gefühl hatte, an dieser neuen Kultur nicht teilhaben zu können. Aber ich war gut im Zuhören, Analysieren und Beobachten. Ich denke, das hat mich auf mein Leben als Schriftstellerin vorbereitet. Darlings Betrachtungen beruhen auf meinen eigenen Erfahrungen zu jener Zeit.

Hat Ihre Perspektive aus den USA auf Simbabwe beeinflusst, wie Sie über Simbabwe schreiben?

Seit ich hier bin, habe ich äußerst aufmerksam verfolgt, was in Simbabwe geschieht. In den ersten 13 Jahren nach meiner Auswanderung konnte ich nicht dorthin zurückkehren, aber ich war wie besessen davon zu beobachten, was dort vor sich ging.

Ich hörte genau zu, sprach mit Leuten, verfolgte die Lokalnachrichten und Blogs von dort. Gleichzeitig verschaffte mir die Distanz Klarheit — sie ermöglichte mir, ohne Sentimentalität zu schreiben; ich war in der Lage, die Dinge so zu sehen, wie sie sind.

Ihr Buch „Glory“ ist eine lebhafte Satire über die simbabwische Politik, in der Tiere die Akteure sind. Warum ausgerechnet Tiere?

George Orwells „Farm der Tiere“ war natürlich ein Vorbild, und auch — vielleicht noch wichtiger — die Erzählungen meiner Großmutter. Ich glaube nicht, dass ich dieses Buch geschrieben hätte, wäre ich nicht mit ihren Erzählungen aufgewachsen.

Satire schien mir das perfekte Mittel, um Themen zu behandeln, die real und aktuell waren und häufig noch während meiner Arbeit an dem Buch passierten; so konnte ich die nötige Distanz schaffen. Außerdem war es auf diese Weise einfacher, die erschütternde und absurde Situation darzustellen, die in Simbabwe herrschte und immer noch herrscht.

„Als ich zurück nach Simbabwe ging, habe ich verstanden, was die Menschen dort tagtäglich aushalten müssen“

Was finden Sie besonders erschütternd und absurd?

Das politische System in Simbabwe ist zusammengebrochen. Die Politiker haben keine Ahnung, wie man ein Land regiert, sie haben kein Pflichtbewusstsein, keinerlei Ethos, keine Rechtfertigung dafür, an der Macht zu sein außer ihrer eigenen Bereicherung.

Das Land zerfällt auf vorhersehbare Weise, die staatliche Gewalt nimmt zu, die Wirtschaft scheitert, die Inflation steigt und die Regierung ist korrupt. Der demokratische Raum schrumpft und die Bevölkerung verelendet.

Währenddessen werden die Führungseliten von Tag zu Tag reicher und zeigen sich völlig unberührt vom Verfall des Landes, vielleicht, weil sie ihn verursacht haben. Sie sind abgehoben und gefühllos. Zugleich verlangen diese Eliten von der Bevölkerung, dass sie sich so verhält, als sei alles in Ordnung.

Fällt es Ihnen schwer, diese Entwicklung aus der Ferne zu verfolgen?

In erster Linie macht sie mich wütend, weil es nicht so sein muss. Mit einer fähigen Regierung könnte das Land funktionieren und sogar überaus erfolgreich sein. Ich kann jetzt ziemlich oft in meine Heimat reisen und bin 2018 für eine Weile dorthin zurückgezogen, um „Glory“ zu schreiben. Dort zu leben bedeutete, dass ich den dortigen Lebensrhythmus neu erlernen und das Land aus der Nähe sehen musste. Das war eine große Umstellung für mich.

Inwiefern?

Ich habe verstanden, was die Menschen dort tagtäglich aushalten müssen. Es ist schwer, dort ein normales Leben zu führen, weil es in vielerlei Hinsicht keine Normalität gibt. Ich erinnere mich, wie ich 2018 zum ersten Mal in einer Schlange an der Tankstelle stand. Ich stand etwa vier Stunden an, und als ich endlich an der Reihe war, war das Benzin gerade ausgegangen.

In den Banken der Stadt standen die Menschen endlos an, um Bargeld abzuheben — einige von ihnen mussten die Nacht in der Schlange verbringen, um ihre Plätze nicht zu verlieren. In einer funktionierenden Gesellschaft nimmt man so vieles als selbstverständlich hin. Man kann die aufrechte Haltung und den Humor, mit denen die Menschen in Simbabwe diesen tagtäglichen Zumutungen begegnen, nur bewundern.

Ist Humor eine Form von Abwehr?

Manchmal macht Humor einfach das Unaushaltbare erträglich.
 

„Ich hoffe, dass irgendwo jemand sagt: Das ist doch eigentlich furchtbar tragisch, warum lache ich bloß darüber?“


Ihr Schreiben hat auch ein starkes komisches Element — kommt das daher?

Durch meinen Humor kann ich Dinge komisch erscheinen lassen, die eigentlich nicht komisch sind, und so die Leser dazu bringen, harte Realitäten anders zu betrachten. Ich hoffe, dass irgendwo jemand sagt: Das ist doch eigentlich furchtbar tragisch, warum lache ich bloß darüber?

Und wie reagieren die Menschen auf diese schwierigen Themen?

Zur Buchvorstellung von „Wir brauchen neue Namen“ bin ich nach Südafrika gereist. Dort gibt es viele illegale Einwanderer aus anderen afrikanischen Ländern. Eine Frau war von der Geschichte buchstäblich zu Tränen gerührt. Sie war ebenfalls illegal eingewandert und sagte, sie sei sehr bewegt von diesem Buch, weil es so viele ihrer Erfahrungen enthält. Ihre Reaktion hat mich überrascht, denn bis dahin war mir nicht klar gewesen, welche Macht dieses Buch hat.

War diese Frau überrascht, dass eine Geschichte wie ihre Eingang in die Literatur gefunden hat?

Wir haben in Simbabwe eigentlich eine sehr starke literarische Tradition, aber das hat sich geändert als das Land infolge der Krise von 2008 zusammenbrach. Dieser Zusammenbruch hat auch das Verlagswesen und die Verfügbarkeit von Büchern massiv beeinträchtigt. Es kann also gut sein, dass diese Frau so etwas wie ihre eigene Geschichte bis zu dem Zeitpunkt noch nie in einem Buch gelesen hatte. 

Aus dem Englischen von Caroline Härdter