Spätzle to go

von Carmen Eller

Das Deutsche in der Welt (Ausgabe IV/2010)


Mitten in Manhattan riecht es nach Schweinebraten. Dort, wo unter einer New Yorker Feuerleiter die bayerische Fahne flattert: beim „Schneider“. Himmelblaue Sonnenschirme spannen sich vor der Tür über Besucher und Bierkrüge. Gelbe Taxis hupen. Aus den Lautsprechern des Lokals dudelt der „Schneewalzer“. Es ist Sonntag.

An einem der Holztische sitzt vor Schweinebraten und Weißbier Max Neuberger. Schwarze Baseballkappe, braungebranntes Gesicht, bedrucktes Shirt. Ein Bilderbuchamerikaner. „Seit George W. Bush unser Präsident war, ist es für uns schwieriger geworden, in Europa Sex zu haben“, sagt Max grinsend und hebt wie zur Bekräftigung sein bayerisches Bier. „Ich bin in Brooklyn geboren, aber meine ersten Worte waren deutsch.“

Fast jeden Sonntag verbringt der 53-Jährige, der deutsche Eltern hat, aber einen amerikanischen Pass, ein paar Stunden im „Schneider“. Das Lokal ist eine Mischung aus Restaurant, Biergarten und Kultkneipe. An der Wand vor der Bar blickt Ludwig der Zweite aus einem goldenen Rahmen. Unter dem kinnbärtigen bayerischen König stehen Kerzenständer aus Messing. Ein kleiner Hausaltar. Das „Schneider“ liegt in Alphabet City. Jenem Teil des East Village, der noch in den Neunzigern wegen Crack und Gewalt gefürchtet war. Die Straßen heißen hier nach Buchstaben. Die deutsche Kneipe liegt auf der -Avenue C/Ecke siebte Straße. Nur zwanzig Minuten entfernt von „Katz´s Delicatessen“, das bekannt ist für unterarmdicke Pastrami-Sandwiches und den vorgespielten Orgasmus aus „Harry und Sally“.

Max ist in einer deutschen Neighbourhood New Yorks aufgewachsen. „Als ich zweieinhalb war und wir nach Long Island zogen, verstand ich die Kinder auf der Straße nicht mehr.“ Später sprachen seine Eltern nur noch Englisch mit ihm. Er sollte in der Schule keine Nachteile haben.

New Yorker, Expats, Touristen – das Publikum im „Schneider“ ist so bunt wie das Leben im Big Apple. Nur, dass die Menschen hier nicht der amerikanische Traum vereint, sondern das deutsche Bier. In einem Monat fließen rund 9.000 Liter. Unter der Woche trinken die Manhattaner im „Schneider“, am Wochenende feiert hier die „Bridge and Tunnel Crowd“. So nennt man in New York die Pendler, die eigens für Würste und Wiener Schnitzel aus Brooklyn, Long Island und New Jersey anreisen.

Ein Mann betritt mit einem kleinen Jungen das Lokal und bestellt „Spätzle to go“. „Im Schneider fühle ich mich zu Hause“, sagt Max, legt sein Besteck ab und wischt sich das Fett von den Lippen. „Ich komme hierher, um deutsch zu sein. Die Leute im Lokal sind wie eine Familie.“ Natürlich kennt Max, der Stammgast, auch Schneider, den Inhaber. Heute ist der Bayer allerdings nicht im Haus. „Er verbringt das Wochenende auf Long Island“, erklärt die dunkelblonde Kellnerin auf Nachfrage. Sie trägt einen braven Zopf zum paulchenpantherpinken Hut.

2010 ist für das „Schneider“ ein besonderes Jahr. Im August feierte man das zehnte Jubiläum. Jede Jahreszeit bringt hier neue Feste. Im Frühling den Karneval mit Cabaret-Shows an sechs Abenden, für die das Schneider-Team zwei Monate probte. Zu Ostern rockte die Hausband „JaJaJa´s“. Schneider persönlich schlug die große Trommel, vor der Tür grillte man ein Schwein. Im Sommer feierte die Kneipe WM, im Herbst das Oktoberfest. Zum Jahresende werden an jedem Dezembersonntag Adventslieder gesungen. Dazu spielt Schneider Hackbrett. Und dann gibt es noch die hauseigene Fußballmannschaft, den „Zum Schneider FC“.

Mittwoch, früher Nachmittag. Noch hat das Lokal geschlossen. In der Küche läuft Salsa, im Gastraum steht Gamze. Die türkischstämmige Kellnerin aus Berlin, die es in New York als Schauspielerin schaffen will, faltet Servietten. Draußen vor der Tür klappert ein hagerer Mann mit einem Einkaufswagen vorbei. „Servus!“, ruft es plötzlich, die Holztür schwingt auf und Schneider betritt die Kneipe wie ein Westernheld den Saloon. Er ist drahtig. Sein Kinnbart macht dem bayerischen König im Goldrahmen Konkurrenz. Schneider gibt einen festen Händedruck und ruft in breitem Amerikanisch eine Anweisung in die Küche.

„Immer wenn ich weg war und zurückkomme, spüre ich sofort die Energie dieser Stadt“, sagt Schneider. Sein Blick schweift über die Rosenranken aus Plastik und die weiß getünchten Baumstämme. „Wobei: Je älter ich werde, umso schwerer ist diese Energie zu nehmen. Gott sei Dank“, Schneider klopft dreimal auf den Holztisch, habe er ja zum „Durchatmen“ sein Häuschen auf Long Island. „Es ist ein hartes Business, sehr demanding. Du bist jeden Tag mit einem Haufen Leute konfrontiert, deren Geschichten und Problemen.“

Schneider wechselt mühelos zwischen Hochdeutsch, Bayerisch und New Yorker Slang. Doch Integration hin oder her – in zwei Punkten wehrt er sich gegen amerikanische Kultur: Fernsehen und Fast Food. Ein Burger käme bei ihm nie auf den Holztisch. „Nur über meine Leiche“, sagt Schneider und lacht heiser. „Schlimm genug, dass wir Fritten haben.“ Auch Fernsehen gibt es nur zur Fußball-EM und -WM. „Ein Bildschirm hat in einer gemütlichen Kneipe nichts verloren“, meint der Bayer. „Furchtbar, wie es in New York überall flimmert. Der totale Gesellschaftskiller.“

Samstagabend. In Alphabet City ist die Sonne längst untergegangen. Junge Gäste scharen sich um die bunte Batterie der Zapfhähne. Opus singt „Live is Life“. Gejohle und Gläserklingen füllen den Raum. Am Tresen bestellt ein junger Mann mit Sonnenbrille ein Bier und tippt in sein iPhone. Dann studiert er die Speisekarte. Schupfnudeln, Spätzle, Schweinshaxen. Am Ende steht: „Your Zum Schneider Family“.

„Wenn ich an die Deutschen denke, fallen mir zwei Sachen ein“, sagt Daniel. „BMW und Nazis.“ Der jüdische Finanzberater will seinen wahren Namen nicht nennen. „Meine Oma ist in Auschwitz umgebracht worden“, sagt er. Trotzdem geht er gerne zum „Schneider“. „Ich mag das Bier und die Atmosphäre.“ Sein Freund neben ihm nickt. „Mein Kumpel hier kann 20 Trinksprüche aus aller Welt aufsagen.“ Daniel stößt Thomas in die Seite. „Come on!“ Der Freund zögert einen Moment und rattert los: „Prostskolcheerssastrowije...“

Wenn man Schneider fragt, wie es zur Gründung des Lokals kam, antwortet er mit einem Wort: „Heimweh“. Es war der Wunsch nach deutscher Gemütlichkeit, es war die Sehnsucht nach dem Gefühl, „in einer bayerischen Beiz zu sitzen und gutes Bier zu trinken“, die den Ausschlag gab. Schneiders Geschichte klingt nach einem dieser New-York-Märchen: vom Tellerwäscher zum Tresenkönig. Geboren wurde Schneider im oberbayerischen Weßling. Mit 27 ging er in die Staaten, heute ist er 46 Jahre alt. „In Deutschland habe ich alle Zelte abgebrochen“, sagt er. „Ich bin kein Beziehungswarmhalter.“

Zunächst studierte Schneider Musik in L.A. „War geil“, schwärmt der Wirt. „Mit Palmen und Beach.“ Eigentlich wollte er nie nach New York. Rockstar in L.A., das war „sein Thema“. Als der Bayer in Boston am Berkeley College of Music ein Stipendium bekommt, zieht er an die Ostküste und ein halbes Jahr später weiter nach New York. Dort lebte seine schottische Freundin. Heute nennt er sie „die Mutter meiner Kinder“.

Die ersten Jahre als Musiker waren schwer. „Ich kannte niemanden“, sagt Schneider und streicht über seinen Kinnbart. „New York ist ein hartes Pflaster.“ Er arbeitete auf dem Bau, für zehn Dollar die Stunde. Dann wurde er Tellerwäscher und hatte irgendwann die Idee, aus der später sein Kultlokal entstand. „Statt wieder nach Hause zu gehen, holte ich mir die Heimat hierher.“

„Schneider ist ein cooler Typ“, sagt der Stammgast Ben O´Sickey. „Manchmal trägt er sogar Lederhosen.“ Der 48-jährige Immobilienmanager aus Brooklyn ist momentan arbeitslos. Er steht mit seinem zweiten Bier in der Menge. Über das Stimmengewirr singt Nena „99 Luftballons“. „Ich habe im Schneider Deutsch gelernt“, erklärt O´Sickey, „mit Gästen und Kellnern“. Ben liebt die Opern von Richard Wagner und einen deutschen Roman aus dem 18. Jahrhundert: „Lucinde“ von Friedrich Schlegel. Ab und zu schaut er aber auch auf YouTube Videos mit Charlotte Roche. „Feucht-geb-iete“, sagt er langsam auf Deutsch und kichert. „Sehr interessant. Ich habe das nicht gelesen, aber weiß, was es ist.“ Ben blickt nachdenklich auf den Bierschaum, als sei darin die passende Vokabel versteckt. „Die Frau duscht nicht“, sagt er dann und kichert wieder. „Sie wissen ja, wir Amerikaner duschen am liebsten dreimal am Tag.“



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