Geschichte | Taiwan

Der lange Schatten der taiwanischen Diktatur

Unter dem Regime des Diktators Chiang Kai-Shek wurden in Taiwan Zehntausende Menschen umgebracht. Der Fotograf H.C. Kwok gibt den Opfern eine Stimme
Frau Tu ist eine Dame mittleren Alters. Sie lehnt an der Wand eines Fahrstuhls und stützt sich mit einer Hand ab.

Die KMT regierte Taiwan ab 1948 mit eiserner Hand und rief auf der Insel das Kriegsrecht aus, um vermeintliche Spione und Kommunisten zu verfolgen und einzusperren. Unter den Opfern war auch Xu Daidé, der damals als gerade einmal Zwanzigjähriger zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt wurde, weil er an einem Buchclub teilgenommen hatte. Nach seiner Freilassung waren nur noch wenige seiner Freunde bereit, den Kontakt zu ihm aufrechtzuerhalten. Tu Guimei (oben im Bild) lernte ihn erst nach seiner Inhaftierung kennen und heiratete ihn. Nachdem die Alleinherrschaft der KMT im Jahr 1987 mit der Aufhebung des Kriegsrechts endete, wurden Menschen wie Xu Daidé zwar finanziell entschädigt. Die Täter kamen jedoch nie vor Gericht. Auch deswegen setzt sich die gesellschaftliche Stigmatisierung der Opfer fort. Die KMT ist bis heute eine der zwei großen Volksparteien in Taiwan.

Herr Chen ist ein älterer Herr mit grauem Haar und Brille. Er sitzt auf einem Stuhl, hinter ihm an der Wand hängen verschiedene Fotocollagen. Im Vordergrund sieht man Stufen einer Treppe.

Chen Chin-Sheng hat sein Leben der Aufarbeitung des Weißen Terrors gewidmet. Als Zeitzeuge arbeitet der Siebzigjährige in einem Dokumentationszentrum, das sich mit den Taten des Regimes von Chiang Kai-shek beschäftigt. Chen Chin-Sheng selbst wurde damals wegen der angeblichen Beteiligung an einem Bombenanschlag zur Todesstrafe verurteilt. Diese wurde jedoch durch das Einschreiten der Menschenrechtsorganisation Amnesty International auf eine zwölfjährige Gefängnisstrafe reduziert. Als sich der ehemalige Häftling Jahre später gegen den Abriss des Gefängnisses einsetzte, in dem er einst eingesessen hatte, wurde er dafür von Sympathisanten der KMT scharf kritisiert. Man solle den Weißen Terror nicht nutzen, um gegen die KMT Politik zu machen, meinten sie.

Zwei Männer stehen am Absatz eines Vorsprungs in einer Lagerhalle. Der eine hat gerade den Kopf der Statue von Kai-Shrek Chiang hinabgeworfen. Man sieht den Kopf fallen.

Arbeiter räumen das Studio eines ehemaligen KMT-Mitglieds aus und entfernen dabei auch mehrere Statuen von Parteiveteranen und Ex-Diktator Chiang Kai-Shek. Bevor sie die Figuren in ihre Einzelteile zerlegen, beten sie. Geht es nach ihnen, dann bedeutet es großes Unheil, die Statuen zu zerstören.

Frau Lan sitzt auf dem Sofa vor dem Fernseher. Über ihr an der Wand hängt ein Bild. Das Foto wurde durch eine Fensterscheibe gemacht, man erkennt die Spiegelung von Bäumen.

Lan Yuruo gehört zur zweiten Generation politischer Opfer der KMT. Ihr Vater wurde von dem Regime hingerichtet, als sie gerade einmal ein Jahr alt war. Außerdem wurde ihre Mutter verhaftet, weil sie sich nicht dazu zwingen ließ, ihren Mann als „Kommunisten“ bei den Behörden anzuzeigen. In seinen traumartigen Fotos will H. C. Kwok die verborgenen Traumata ergründen, die in Taiwan durch die Gewaltherrschaft der Kuomintang entstanden sind und sich bis heute durch die taiwanische Gesellschaft ziehen.

Herr Tsai ist ein älterer Herr mit grauen Haaren und Brille. Er sitzt auf einem Stuhl und schaut direkt in die Kamera. Der Raum un ihn herum ist dunkel.

Der heute 88-Jährige Tsai Kuan-Yu verbrachte unter dem Regime von Chiang Kai-Shek zehn Jahre in Haft. Festgehalten wurde er auf Lü Dao, einer kleinen Insel im Südosten Taiwans, die auch als „grüne Insel“ bekannt ist. Die KMT nutzte den Ort dafür, politische Gefangene und andere Straftäter fernab von Taipeh unterzubringen und ihnen die Flucht unmöglich zu machen. Heute ist Tsai Kuan-Yu als Generalsekretär der taiwanischen „Vereinigung für die Betreuung der Opfer politischer Verfolgung“ tätig.

Ein alter Mann steht vor einem silbernen Auto und verstreut Futter für eine Schar Hühner vor ihm. Im Hintergrund sieht man eine in blau-weiße Plane verpackte Statue auf einem Sockel.

Nach dem Tod von Chiang Kai-Shek im Jahr 1975 ließ die KMT Zehntausende Statuen ihres Parteiführers anfertigen und im ganzen Land verteilen. Gleichzeitig wurde die Bevölkerung dazu aufgefordert, für den Bau weiterer Chiang-Denkmäler zu spenden. Auf dem Höhepunkt des Statuenkults wurden sogar Schülerinnen und Schüler in die Produktion miteinbezogen. So wurde Taiwan in kürzester Zeit mit rund 45.000 Diktatorendenkmälern ausgestattet. 

Ein sehr großer Park. Um eine Statue in der Mitte sind jeweils etwa zehn Statuen kreisförmig angeordnet. Man sieht einen Teich, im Hintergrund zwei Häuser und danach eine bewaldete Berglandschaft.

Chen Shui-Bian, der erste von der Demokratischen Fortschrittspartei (DFP) gestellte Präsident, ließ nach seinem Amtsantritt im Jahr 2000 fast alle der 45.000 Statuen des ehemaligen Diktators entfernen und veranlasste ihre Verlegung in die Stadt Taoyuan. Dort verzieren sie heute den Cihu-Park, unweit des Mausoleums Chiang Kai-Sheks.