Es ist kurz vor 17 Uhr, Freitagnachmittag. Anspannung im Sendezentrum von Al-Aqsa TV in Gaza Stadt. Betrieben wird der Sender von der Hamas, der islamistischen Widerstandsbewegung, die seit ihrem gewaltsamen Sieg über die palästinensische Fatah Mitte Juni 2007 im Gazastreifen die Kontrolle hat. Punkt 17 Uhr erscheint dann in großen arabischen Lettern „Rawad Al Gad“ („Die Pioniere von morgen“) auf unzähligen Mattscheiben im gesamten Nahen Osten. Es folgen 50 Minuten islamistische Erziehungs-Unterhaltung.
In akzentfreiem Hocharabisch begrüßt die elfjährige Sara ihr Publikum. Brav schwört sie zu Beginn der Sendung: „Ich möchte denselben Weg wie meine großen Vorbilder Abdel-Aziz Rantisi und Scheich Jassin gehen.“ Die Vordenker der Hamas wurden 2004 von der israelischen Armee gezielt getötet. Neben Sara steht ein Kollege im Kostüm einer Biene, Nahul. Mit piepsiger Stimme und Kopfnicken bestätigt er ihren Aufruf. In dem etwas unförmigen Kostüm, dick und gelb mit schwarzen Streifen, ähnelt Nahul der Biene Maja.
International bekannt wurde die Kindersendung im April 2007, als die israelische Organisation „Palestinian Media Watch“ (PMW) Ausschnitte des Programms auf der Internet-Plattform „YouTube“ veröffentlichte. Damals war Nahuls Moderationsvorgänger Farfur zu sehen. Im Kostüm einer Maus erinnerte er deutlich an Disneys Mickey Mouse. Inhaltlich war Farfur allerdings keinesfalls harmlos, er propagierte in der Kindersendung die Vorherrschaft des Islam. Damit löste die Kindershow heftigen internationalen Protest aus. Unter anderem drängte die Tochter des Mickey Mouse Erfinders Walt Disney auf die Absetzung der Sendung.
Der Druck zeigte kurzzeitig Wirkung. Farfur wurde vom Sender genommen, indem die Redaktion ihn sterben ließ. In seiner letzten Sendung überreicht ihm sein Großvater Papiere und Schlüssel für das Land seiner Vorväter. „Das Land heißt Tel Al-Rabi. Leider haben die Juden es, nachdem sie es besetzten, Tel Aviv genannt. Ich will, dass du es beschützt.“ In der nächsten Szene sitzt Farfur vor einem Schreibtisch. Ihm gegenüber, offensichtlich, ein Jude mit schwarzer Sonnenbrille. Dieser möchte das Land für viel Geld kaufen. Farfur verweigert das Geschäft und wird von dem Mann zu Tode geprügelt. Aus dem Studio kommentiert Sara: „Liebe Kinder, wir haben unseren liebsten Freund Farfur verloren. Er ist als Märtyrer gestorben, als er das Land seiner Vorväter verteidigte.“
Nach kurzer Zeit wurde Nahul sein Nachfolger. Auch die Biene ist im Internet zu sehen. In einer Szene werden Nahul und Sara, von „Palestinian Media Watch“ in englischer Sprache untertitelt, zitiert. „Wir werden Al Aqsa (gemeint ist Jerusalem, Anm. d. Red.) von den verbrecherischen Juden befreien, die meinen Großvater und Farfur getötet haben.“
Auf Gazas Straßen kennt fast jeder die TV-Biene. Moatas, elf Jahre alt, ist begeistert: „Ich schaue das Programm jede Woche.“ Allerdings fand er die Maus besser. „Die war viel lustiger, wurde ja aber getötet.“ Wer Farfur warum umbrachte, weiß Moatas noch genau. Ein Jude habe ihn wegen seines Landes ermordet. Farfur sei jetzt ein Märtyrer.
Die Zielgruppe der Sendung mit der Biene sind Heranwachsende. „Wir wollen Kinder von fünf bis zwölf Jahren erreichen und über die Zustände unter der israelischen Besatzung aufklären“, meint Mohammed Saed, Produktionsleiter bei Al-Aqsa TV. Vom Vorwurf, den Kindern das Gehirn zu waschen, will er nichts wissen. „Mit der Sendung vermitteln wir nur die guten Werte des Islams und des normalen Miteinanders“, entgegnet Saed. In der Show lernten Kinder wichtige Grundwerte. So riefe Nahul beispielsweise dazu auf, nicht zu stehlen. Nachdem ein kurzer Einspielfilm die tapsige Biene zeigt, wie sie nach einem Picknick im Park die leeren Chips-Tüten liegen lässt, rufen hunderte Kinder kritisierend an. Sara fragt: „Was hat Nahul falsch gemacht?“ Die erste Antwort kommt von Nu’a aus Gaza: „Nahul hat den Müll nicht weggeworfen.“ Applaus von Sara, Nahul hält aus Scham über sein Missgeschick die Hände vor die Augen. Amru, zehn Jahre, aus Nablus bekräftigt die Aussage ihrer Vorgängerin. Dann zitiert sie einen Teil des Koran aus dem Gedächtnis. „Toll hast du das gemacht“, klatscht Sara in die Hände. An anderer Stelle ruft Jenin aus Gaza an und singt ein Lied. „Wir wollen noch mehr Kassam-Raketen werfen und Palästina befreien“, trällert das Mädchen. Sara und Nahul wippen im Takt.
Wie die Anrufer ausgewählt werden, bleibt unklar. Ebenso unklar ist, wem der rund um die Uhr sendende Privatkanal gehört. Dazu möchte bei Al-Aqsa TV niemand genaue Angaben machen. Die Eigner kämen aus dem Ausland und seien Sympathisanten der islamistischen Politik. Unter den Einwohnern Gazas gilt der Sender als Parteiorgan der Hamas und wird als solcher akzeptiert. Wie viele Kinder die Show jede Woche sehen, ist nicht genau zu ermitteln. Fast jeder Haushalt im Gazastreifen hat ein Fernsehgerät. „In Gaza schauen über 50 Prozent der Einwohner das Programm von Al-Aqsa TV“, ist sich Produktionsleiter Saed sicher. Nicht schwer, seitdem die Hamas den einzigen anderen palästinensischen Fernsehsender PBC (Palestinian Broadcasting Corporation) in Gaza geschlossen hat. Auch gibt es nur noch einen örtlichen Radiosender: Al-Aqsa Radio.
Für Familie Dschana aus dem Flüchtlingslager Chan Junis ist das begrenzte Medienangebot kein Problem. Fünf der sechs Kinder sehen die „Pioniere“ jede Woche. Lana ist fünf Jahre alt. Auf die Frage nach ihrem Berufswunsch ist sie noch nicht ganz sicher: „Entweder werde ich Kinderärztin oder Märtyrerin“, sagt sie. Dschihadistin ist für sie weder ein Fremdwort noch eine hohle Phrase. Sie erklärt sofort, man komme dann ins Paradies zu Allah. „Dort sind überall wunderschöne Blumen und es gibt leckeres Essen.“ Woher sie das weiß? Sie zeigt auf das grüne Hamas-Basecap ihres Vaters. Lanas Mutter ist über die Antwort ihrer Tochter nicht erstaunt. „Natürlich will ich, dass meine Kinder leben und auf eine gute Schule gehen. Damit sie dann studieren können“, sagt sie. Doch selbst für studierte Doktoren gebe es keine Arbeit im Gazastreifen. „Die Kinder haben hier einfach keine Zukunft – wegen der Israelis“, fügt sie verbittert hinzu. Als Märtyrerin könne sie wenigstens der Gemeinschaft dienen und versuchen, das Land von der israelischen Besatzung zu befreien. „Außerdem kommt sie dann ins Paradies zu Allah.“
Fausi Barhom, Sprecher der Hamas, erklärt die Intention der Sendung. „Unser Volk leidet. Deshalb gibt es so viele Märtyrer, die im Kampf mit den Israelis sterben“, erklärt der 46-jährige Vater von sechs Kindern. Mit Kindersendungen wie „Pioniere von morgen“ wollen sie der Welt ihr Schicksal näherbringen und den Brüdern in anderen muslimischen Ländern die Lebensumstände beschreiben. Hamed Abu Harbid, Journalist des erst im November 2006 gegründeten Senders Al-Aqsa TV und nebenbei im Erziehungsministerium tätig, sind Zweifel am Programm mit der Biene Nahul unverständlich. Der Vater von drei Kindern ist überzeugt, dass die Sendung den Kampf gegen Israel hervorragend vermittelt. Politik im Kinderzimmer ist für ihn kein Widerspruch. Die Kinder würden sowieso jeden Tag mit der politischen Realität konfrontiert.
Allerdings verdeutlicht die Sendung auch, wie uneins die Palästinenser sind. Zu den prominentesten Kritikern zählt der palästinensische Informationsminister und Menschenrechtler Dr. Mustafa Barghuti. Er hatte bereits im Mai versucht, das Programm abzusetzen. Ein klärendes Gespräch mit dem Al-Aqsa TV Produktionsleiter Mohammed Saed sollte das Ende der Kindershow besiegeln, blieb aber erfolglos. Zwar wurde die Sendung mit der Maus kurzzeitig abgesetzt, aber wenig später kam Nahul, die Biene.
Die Sendung ist zu Ende, ungefähr 20 Kinder haben angerufen. Sara verabschiedet sich von ihrem Publikum, auch Nahul winkt zum Abschluss. Die Kameras gehen aus und Sara atmet durch. Neben all den Männern im Studio wirkt sie ein wenig verloren. Sie ist ein ganz normales elfjähriges Mädchen, fast schüchtern. Ihr Hocharabisch hat sie von ihrem Vater gelernt, der an der islamischen Universität in Gaza Arabisch unterrichtet. Diese Sendung zu moderieren bereite ihr auf jeden Fall großen Spaß, weil sie „von Allahs Botschaft erzählen“ könne. Dann muss sie schnell weg – zum Gebet.