„Schneller als die großen Medien“

ein Interview mit Katie Dowd

e-volution. Wie uns die digitale Welt verändert (Ausgabe III/2010)


Präsident Barack Obama konnte in seinem Wahlkampf die Bürger besonders gut über das Internet mobilisieren. Werden Wahlen künftig durch den erfolgreichen Einsatz neuer Medien entschieden?

Ja, ganz sicher. Als Al Gore für das Amt kandidierte, konnte er einen von 100 Wählern durch neue Medien erreichen, bei John Kerry war es bereits einer von zehn. Barack Obama gelang es, einen von vier Wählern anzusprechen. Er konnte die Dinge persönlicher gestalten, weil wir heute Nachrichten- und Kommunikationskanäle haben, die früher nicht einmal existierten. John Kerry schaffte es im Präsidentschaftswahlkampf, 85 Millionen Dollar über das Internet einzutreiben, bei Barack Obama war es bereits eine halbe Milliarde. Das ist eine enorme Steigerung in nur vier Jahren. Wir können uns noch nicht einmal vorstellen, wie das bei der nächsten Wahl aussehen wird. 
 
Ihre Aufgabe ist es, über soziale Netzwerke im Internet amerikanische Außenpolitik zu vermitteln. Wie hat sich Ihr eigener Arbeitsalltag durch die neuen Medien verändert?

Das kann ich Ihnen am besten an einem ganz persönlichen Beispiel erklären. Früher habe ich jeden Morgen nach dem Aufstehen die Washington Post und die New York Times auf Papier gelesen. Dann habe ich irgendwann damit angefangen, nur noch die Online-Ausgaben dieser Zeitungen anzuschauen. Heute mache ich keines von beidem. Ich stehe auf, gehe zu Twitter und lese die Tweets – als Follower von Washington Post und New York Times. So erfahre ich, was die Story des Tages sein wird und in welche Richtung sie sich entwickelt. Als Kandidat muss man dafür sorgen, dass die eigenen Ideen, etwa zum Gesundheitswesen oder zur Einwanderung, den Trend auf Twitter diktieren.
 
Und wie erreicht man das?

Man muss in der Lage sein, mit seinen Followern interessante Twitter-Gespräche zu führen. Diese müssen dann immer mehr Menschen dazu motivieren, sich ebenfalls anzuschließen. Es ist wichtig, interessant und innovativ aufzutreten. Politiker sind traditionell daran gewöhnt, lange und förmliche Reden zu halten. Heute aber sieht die Kommunikation mit den Wählern ganz anders aus als früher. Präsident Obama ist sehr locker und er hat eine tolle Aura, die Menschen sehr anspricht. Das hat auch viel damit zu tun, dass er keine Monologe hält, sondern eine Unterhaltung mit dir führt. Während der Debatte um die Gesundheitsreform zum Beispiel ermöglichte er Bürgern aus aller Welt, über YouTube und einen Google-Moderator Fragen zu stellen, die er dann auf YouTube beantwortete. Menschen aus verschiedenen Ländern konnten auf diese Art miteinander über Gesundheitsfürsorge diskutieren. So wie Obama hat es vorher niemand verstanden, Menschen miteinander ins Gespräch zu bringen.
 
Wie hält es Außenministerin Hillary Clinton mit der Kommunikation über soziale Medien?

Es gibt eine Initiative mit dem Namen „Simsen Sie der Außenministerin“. Wenn Hillary auf Reisen ist, etwa in China oder in Europa, richten wir spezielle Nummern ein für Bürger in den USA und im Ausland. Dorthin können die Leute uns ihre Fragen simsen. Wir sammeln sie und stellen die Antworten online. Wir haben auch eine Google-Karte, auf der man Hillarys Reiseroute verfolgen kann. Zu jeder Station posten wir Fotos und Videos. In Zukunft wollen wir die Karte interaktiv gestalten. Dann können Menschen, die selbst vor Ort waren, eigene Fotos hochladen. Die Außenministerin gibt auch sogenannte „Townterviews“, eine Kombination aus „Townhall“ und „Interview“. Während eines solchen Auftritts können die Bürger ihr über Skype und andere soziale Medien live Fragen stellen. Die Außenministerin erlaubt uns, mit den neuen Medien zu experimentieren. Sie nennt es „Smart Power“, mit jedem zur Verfügung stehenden Werkzeug zu kommunizieren. 
 
2010 startete das amerikanische Außenministerium die Plattform „Opinion Space“. Was wollen Sie damit erreichen?

„Opinion Space“ läuft als Gemeinschaftsprojekt des amerikanischen Außenministeriums mit der Universität in Berkeley, die mit dieser Idee auf uns zugekommen ist. Diese Online-Plattform dient als Werkzeug, das Meinungen zur amerikanischen Außenpolitik visualisiert. Jeder kann sich registrieren und seine Meinung zu bestimmten Themen abgeben. Eine Grafik mit Kreisen veranschaulicht die geäußerten Meinungen. Nutzer, die ähnliche Gedanken haben wie man selbst, erscheinen in der Nähe der eigenen Position, die anderen rücken in die Ferne. Eine Frage, die wir auf „Opinion Space“ stellen, lautet zum Beispiel: Was würden Sie Hillary Clinton fragen, wenn Sie die Außenministerin einmal persönlich treffen könnten? Mit welchem Thema sollte sie sich beschäftigen? Wir wollen erreichen, dass sich Leute bei „Opinion Space“ über Außenpolitik austauschen – und zwar global. Denn die Plattform richtet sich nicht nur an Bürger der Vereinigten Staaten, sondern an alle Interessierten. 
 
Und wie ist es mit den heißen Eisen? Könnte ich auf „Opinion Space“ auch posten, dass Obama seine Truppen aus Afghanistan zurückziehen muss?

Ja. Wir sind offen dafür, dass die Bürger dort die unterschiedlichsten Standpunkte vertreten, die wir selbst aber nicht kommentieren. Wir glauben an Meinungsfreiheit. 
 
Wie kommt es aber, dass die Kommentare auf der Seite durchweg wohlformuliert sind? Es gibt volle Sätze und keine harsche Kritik. Zensieren Sie solche Beiträge?

Wir entfernen keine Kommentare, es sei denn, sie gefährden Leben oder die nationale Sicherheit. Oder sie enthalten Flüche und Beleidigungen. Auf unserer Facebook-Seite zum Beispiel haben wir etwa 50.000 Leute. Wir moderieren das nicht, jeder kann dort alles sagen. Letztendlich reguliert sich die Gemeinschaft selbst. Die Menschen kommen nicht auf die Seite, um böswillig die Ideen anderer niederzumachen. Sie wollen eine sinnvolle Diskussion führen.

Aber einmal angenommen, die Stimmen gegen Obamas Afghanistan-Politik wären bei „Opinion Space“ plötzlich in der Mehrheit – würde das nicht Ihren Interessen entgegenwirken?

Das System kann nicht von einer Gruppe überschwemmt werden. Es gibt eingebaute technische Mechanismen, die das verhindern. Wenn man also Tausenden von Leuten schreiben würde: Geht auf die Seite des amerikanischen Außenministeriums und sagt, dass ihr mit der Afghanistan-Politik nicht einverstanden seid, dann würde das nicht funktionieren. So etwas ist bislang aber noch nicht vorgekommen. Wenn sich herausstellen sollte, dass die Mehrheit unsere Ideen nicht teilt, müssten wir uns fragen: Wie könnenwir unsere politischen Inhalte effektiver kommunizieren? 
 
Die Plattform „Opinion Space“ ist also gewissermaßen eine neue Spielart der PR.

Ja, das ist PR. Aber auch die Öffentlichkeitsarbeit hat sich dramatisch verändert. Früher bestand meine Aufgabe vor allem darin, einen E-Mail-Verteiler zu vergrößern und darüber Pressemitteilungen zu verschicken. Das ist kein probates Mittel mehr. Wer liest noch Pressemitteilungen über E-Mail? Heute muss ich darüber nachdenken, wie ich meine Botschaft in 140 Zeichen packe und dann schicke ich das über Twitter. 
 
Wie kann man politische Inhalte derart verkürzen, ohne das Thema zu verflachen?

Genau deshalb gibt es ja nach wie vor die anderen Medien. Fernsehen, das ist heute YouTube, und Radio, das sind die Podcasts. Twitter ist nur eines unserer Werkzeuge. Wenn wir etwa eine neue Strategie zur Nichtverbreitung von Atomwaffen vermitteln wollen und das nicht in 140 Zeichen zu schaffen ist, dann gehört so etwas vielleicht auch nicht auf Twitter.

Was dagegen würden Sie twittern?

Da habe ich ein gutes Beispiel. Während der Unruhen in Madagaskar letztes Jahr gab es zum Beispiel dieses Gerücht, Präsident Marc Ravalomanana verstecke sich in der Amerikanischen Botschaft. Vor zehn Jahren hätten wir in so einer Situation einen Reporter angerufen, um das Gerücht zu widerlegen. Als Nächstes hätten wir eine E-Mail vorbereitet und diese herumgeschickt. Im 21. Jahrhundert haben wir es anders gemacht: Wir twitterten. Auf diesem Weg teilten wir mit: Der Präsident versteckt sich nicht in der Amerikanischen Botschaft. Es hat funktioniert. Das Gerücht war erledigt, bevor die großen Medien es überhaupt mitbekommen hatten. 



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