Kommentar | Literatur

Mit Respekt

Wie man über Dinge schreibt, die man nie selbst erlebt hat

Ein schwarz weißes Porträtfoto der Schriftstellerin und Dozentin Maaza Mengiste. Sie hat kinnlanges gelocktes dunkles Haar und lächelt in die Kamera.

Die Schriftstellerin und Dozentin Maaza Mengiste

Manche sagen, man solle nur über das schreiben, was man kennt, über eigene Erfahrungen. Aber als Autorin von Romanen, in denen ich historische Stoffe verarbeite, interessiere ich mich auch für alles, was ich nicht kenne. Neugierde ist eine riesige Motivation für meine Arbeit. Ich unterrichte Kreatives Schreiben. Dabei ermutige ich meine Studierenden, sich von der Neugierde leiten zu lassen. Selbst, wenn sie über das schreiben, was sie genau kennen – etwa ihre Nachbarschaft –, müssen sie davon ausgehen, dass sie nicht alles wissen können. Ich bitte sie, unbekannte Facetten ihrer Straße oder Stadt zu recherchieren. Mit Sicherheit werden sie dabei auf etwas stoßen, was sie noch nicht wussten. Und das macht ihre Texte besser.

In meinen Kursen sage ich den Studierenden immer: Ihr könnt schreiben, was ihr wollt und worüber ihr wollt. Aber ihr müsst in der Lage sein, die Kritik zu akzeptieren, die auf euch zukommt. Es kann ein transformativer Akt sein, wenn man sich als Autorin oder Autor in Protagonisten hineinversetzt, die ganz anders sind als man selbst; wenn es einem gelingt, sich vorzustellen, wie diese Person fühlt und reagiert. Und zwar nicht nur durch die Unterschiede zu einem selbst, sondern insbesondere auch durch die Gemeinsamkeiten. Wir alle haben manchmal Angst, sind unsicher oder brauchen Schutz. Ich denke, wenn es uns gelingt, Charaktere zu erschaffen, die Tiefe haben und komplex sind, dann müssen sie nicht auf unseren eigenen Erfahrungen beruhen. Aber wenn man über jemanden schreibt, der beispielsweise trans ist, nur weil man das für ein cooles Thema hält, aber man dann keine Ahnung hat, was es bedeutet, als Transperson in dieser Welt zu existieren – dann wird es gefährlich. Bevor man mit dem Schreiben beginnen kann, muss der Respekt da sein.

Protokolliert von Gundula Haage