Im März 2008 wurde in Bhutan mit der offiziellen Einführung der konstitutionellen Monarchie der Übergang zur parlamentarischen Demokratie besiegelt. Für diese Veränderung der Herrschaftsform nach hundert Jahren, in denen die Dynastie der Wangchuck das Land regierte, ist der vierte König verantwortlich, der den Wechsel initiierte und bis 2006 das Land regierte. Sein Sohn Jigme Khesar Namgyel Wangchuck wurde sein Nachfolger und damit fünfter König von Bhutan. Er führte die Demokratiebestrebungen seines Vaters fort.Die Wahlen sind eine originär bhutanische Angelegenheit. Ihnen gingen umfassende Informationskampagnen im ganzen Land voraus, man schuf die für eine gute Regierungsarbeit nötigen Institutionen, Testwahlen wurden abgehalten und parteienübergreifende Gespräche geführt, in denen man sich auf die wichtigsten Ziele einer Regierung einigte.Wie haben die internationalen Medien über dieses Ereignis berichtet? Die beste Berichterstattung darüber, wie Bhutan den Übergang zur Demokratie gemeistert hat, war in den bhutanischen Medien selbst zu finden.
Eine Ausnahme bildet, was die Anzahl der Artikel betrifft, die indische Presse, die sich teils aus den gemeinsamen Grenzen und den historischen Verbindungen erklärt.Als Dasho Kunzang Wangdi, der Leiter der Wahlkommission, am 25. März 2008 die Wahlergebnisse verkündete beziehungsweise offiziell bestätigte, dankte er auch dem vierten König. Wie ihm dabei vor Rührung über seinen Monarchen die Stimme versagte und die Tränen in die Augen traten, das dürften Politiker anderer Länder wohl eher selten erleben. In den internationalen Medien fand dies jedoch keine Erwähnung. Ihre Berichterstattung orientierte sich eher an der „bewährten“ Formel, die sich aus der Checkliste mit den üblicherweise über Bhutan zu erwähnenden Punkten ergibt: das geheimnisvolle Shangri-La, die vier Frauen des vierten Königs, das „abgeschottete“ Königreich, der Begriff des „Bruttonationalglücks“ – ein vom König geprägter Begriff, der den Versuch darstellt, den Lebensstandard ganzheitlich zu definieren –die späte Einführung von Computer und Internet und die ethnischen Probleme in Südbhutan.
Zwischen Shangri-La und den Problemen im Süden bleibt wenig Platz für ergiebige Diskussionen um die Demokratisierung Bhutans. Einen Tag nach den Wahlen schreibt Chris Morris auf BBC Online: „Der Status einer unsicheren Minderheit bleibt ein ungelöstes Problem für die neue Regierung ... [und] ein unerforschtes Gebiet.“ Unsicher, ungelöst, unerforscht – eine solche Wortwahl in den Kommentaren zur neuen, frisch gewählten Regierung deutet nicht gerade auf Optimismus hin! Morris meint auch, „das Land konzentriert sich schon auf das nächste große Ereignis in diesem Jahr der Veränderungen – die offizielle Krönung des jungen Königs. Dabei wird man – falls dies überhaupt noch nötig wäre – daran erinnert, dass das Königshaus selbst in diesen neuen demokratischen Zeiten weiterhin die zentrale Rolle im Leben der Bhutaner spielen wird.“ Würde man um ein vergleichbares Ereignis, bei dem es etwa um die britische Königsfamilie geht, ähnlich viel Aufhebens machen? Am selben Tag lief ein BBC-Fernsehbeitrag über die Wahlen in Bhutan, der beim „ethnischen Problem“ mit den Nepalesen ansetzt und beim Thema Monarchie endet. Hätte man nicht vielleicht auch die ehrenwerte Entscheidung der DPT („Bhutanische Partei für Frieden und Wohlstand“) erwähnen können? Sie war neben der PDP (Volksdemokratische Partei) die zweite Partei, die kandidierte, und verzichtete nach dem Wahlgewinn aus Rücksicht auf den politischen Gegner auf die Siegesfeiern – ein Beispiel dafür, wie wenig man in Bhutan auf öffentliche Konfrontation aus ist.
In der „Nepali Times“ schreibt Line Wolf Nielsen: „Nach fünf Generationen königlicher Herrschaft ist Bhutan am Montag jüngste Demokratie der Welt geworden, doch an der misslichen Lage von 110.000 bhutanischen Flüchtlingen, die seit 17 Jahren in Nepal leben, wird dies wohl kaum etwas ändern.“ Auch dieser Artikel ist deutlich ideo-logisch gefärbt. Die einzigen zwei zitierten bhutanischen Politiker gehören selbst einer Flüchtlingsgruppe an – den Lhothsampa, die aus Nepal stammen und heute in Südbhutan und Nepal leben.Am 24. März 2008 berichtet Saeed Ahmed von CNN.com/Asia, die Wahlen in diesem „abgeschotteten“ Königreich hätten „eine mehr als hundertjährige Königsherrschaft beendet“, und spricht von einer „Wahlbeteiligung, die überraschend hoch ausgefallen ist, wenn man bedenkt, dass die Bevölkerung mehrheitlich gesagt hatte, sie wolle lieber weiterhin von ihrem verehrten König regiert werden“. Hier sollte man anmerken, dass die Herrschaft des Königs nicht beendet wurde und dass man nicht überrascht sein muss, wenn das Volk die demokratische Verantwortung übernimmt, mit der es betraut wird. Weiterhin heißt es in dem Beitrag: „... doch nicht überall in Shangri-La herrscht Harmonie.“
Es scheint wenig angebracht, ein Land mit dem Namen „Shangri-La“ zu assoziieren, der einer orientalistischen Fantasie entsprungen ist, und es dann auch noch nach entsprechend imaginären Standards zu beurteilen. Die „International Herald Tribune“ vom 25. März 2008 spricht dem bhutanischen Volk sogar sein Urteilsvermögen bei der Wahl ab, wenn es heißt: „Auf Anweisung aus dem Palast stürmte das Volk Bhutans am Montag an die Urnen der ersten nationalen Wahlen, und so öffnete das einstmals abgeschottete Land des Donnerdrachens seine Tore noch ein Stück weiter, um zu den demokratischen Staaten dazuzustoßen.“ Es waren nicht die ersten nationalen Wahlen, sondern die ersten Wahlen für eine Nationalversammlung. Die westlichen Medien benutzen Begriffe wie „Abschottung“ oder aber „Öffnung der Tore“ beinahe obsessiv. Es stellt sich die Frage, ob man wirklich alle Länder künstlich in einem Ranking platzieren muss, das zwischen den beiden Koordinaten primitiv beziehungsweise traditionell und modern verläuft? So gesehen wird alles, was der Außenstehende in Sachen Bhutan nicht begreift, zum Mysterium, und umgekehrt erscheint jede Modernisierung ausschließlich als teleologisch begründeter Schritt auf einem allgemein gültigen Weg des Erfolgs.
Diese Art von zweck- und zielgerichtetem Denken wird augenfällig, wenn man die Wahlen immer wieder als „Schritt“ in die richtige Richtung bezeichnet findet. Wer entscheidet, was die richtige Richtung ist? Die Demokratie wird nicht unbedingt dadurch gestärkt, dass man jede aktuelle politische Entwicklung darauf reduziert, nur eine Art Vorstufe, ein Schritt hin zu einer „idealtypischen“ Demokratie der Zukunft zu sein. In der Politik wie im Leben sind viele Ideale möglich – die Gemeinsamkeiten aufweisen, und doch auch einige Unterschiede. All die Formulierungen mit dem „Schritt“ implizieren die erwähnten Einschätzungen – Bhutan, so die Annahme, bewegt sich weiter in der Richtung, die mit den Wahlen zum National Council eingeschlagen wurde, was heißt, dass man zuvor schon einige Schritte gemacht hat, aber auch, dass der Übergangsprozess noch nicht abgeschlossen ist und folglich noch mehrere Schritte gemacht werden müssen, wenn man sich nach dem universell gültigen Plan zur Etablierung einer Demokratie richten will. Etwas positiver war der Tenor im Leitartikel des Wall Street Journal vom 27. März 2008: „Diese Nation am Himalaja“, hieß es da, „ist ein Leuchtfeuer der Freiheit.“ Zu Recht wurde darauf hingewiesen, dass weder das Land noch die Wahlen vollkommen sind, dass Bhutan aber „ein leuchtendes Vorbild dafür ist, mit wie viel Umsicht sich eine Staatsführung für mehr Freiheit einsetzen kann.“
Dass die Wahlkommission Bhutans den Kandidaten Äußerungen über Angelegenheiten der nationalen Sicherheit oder Staatsbürgerschaft untersagte, war allerdings kein „Hinweis auf die historisch begründeten Spannungen zwischen ethnischen Nepalesen und Bhutanern“, wie dies im Leitartikel behauptet wird. Vielmehr wollte man Manipulationen vorbeugen, die zu einer auf ethnischer Zugehörigkeit basierten Wahlentscheidung führen könnten und die in Zeiten, in denen die Demokratie Wurzeln schlagen soll, schädlich wären.Am 25. März 2008 erschien ein Artikel der Associated Press in der „International Herald Tribune“, in dem dem bhutanischen Königshaus merkwürdige Statements zugeschrieben werden. So heißt es etwa: „Das Königshaus sagt auch, als die 100.000 ethnischen Nepalesen – eine Minderheit, die vor allem in Südbhutan lebt – in den frühen 1990er Jahren vertrieben wurden, sei dies nur zum Schutz der bhutanischen Kultur geschehen.“ Wann hat der König das gesagt? Ist dem Autor bekannt, dass die königliche Regierung von Bhutan in den 1980er Jahren finanzielle Anreize zur Förderung von Ehen zwischen Nord- und Südbhutanern bot?
Hier der Auszug aus einer Rede, die der vierte König am 17. Dezember 1978, dem Nationalfeiertag, in Gelephu im Süden Bhutans hielt: „Ihr Bewohner Südbhutans seid keine Nepalesen und ihr seid auch keine Inder aus Kalimpong oder Darjeeling ... Ihr alle seid Menschen aus Palden Drukpa. Wir sind eine Familie.“Insgesamt sind die Reaktionen auf Bhutans Reise in Richtung einer selbst gewählten Demokratie von einer Mischung aus Anteilnahme und Unwissen geprägt. Wirklich interessant werden die Reaktionen erst dann werden, wenn sie sich als eine bessere Zeugenschaft hinsichtlich des großen Ereignisses der Geburt der Demokratie erweisen – einer Demokratie, die nicht nur rechtmäßig ist, sondern die auch beinhaltet, dass man das Richtige tut, weil eine große Verantwortung darin liegt.
Aus dem Englischen von Loel Zwecker