Über 800 Millionen internationale Touristen verzeichnet heute die Welttourismusorganisation. Die Deutschen als „Reiseweltmeister“ tragen dazu kräftig bei: Etwa zwei Drittel der Bevölkerung unternehmen jährlich mindestens eine Urlaubsreise von fünf Tagen oder länger. Traditionelle Feriengebiete wie Österreich und der Mittelmeerraum sind immer noch beliebt, aber die höchsten Wachstumsraten liegen im Bereich der Fernreisen: Fluglinien bauen ihre Streckennetze aus, Reiseveranstalter erweitern ihre Angebotspalette und Billigflieger florieren nicht nur im Kurzstrecken-, sondern zunehmend auch im Langstreckenmarkt. Wird die Rechnung ohne das Klima gemacht? Der Tourismus hat sich in der Vergangenheit als bemerkenswert widerstandsfähig erwiesen. Es scheint einen unerschöpflichen Reisehunger zu geben. Urlaub ist nicht nur ein Luxusgut, sondern wird zunehmend als „existentielles“ Bedürfnis interpretiert. Es stellt sich die Frage, ob und wie der Tourismus auf den Klimawandel vorbereitet ist.
Wir haben uns daran gewöhnt, hochmobil zu sein. Fliegen ist zu einer Alltagsaktivität geworden. Wochenendtrips zum Mittelmeer, ein Junggesellenabend in Prag oder ein Konzert in London sind nicht ungewöhnlich. Fliegen war nie billiger, doch wie verträgt sich diese Flugbereitschaft mit Europas – und speziell Deutschlands – Vorreiterrolle in der internationalen Klimapolitik? Die Europäische Union plant, die Emission von Treibhausgasen um 20 Prozent bis 2020 zu reduzieren. Bisher haben die meisten EU-Länder gute Fortschritte gemacht, bis auf einen Bereich: Transport. Um die stark zunehmenden Emissionen durch den Flugverkehr entgegenzuwirken, hat das Europäische Parlament vorgeschlagen, diesen in den europäischen Emissionshandel zu integrieren – nicht nur innereuropäische Flüge (ab 2011), sondern auch interkontinentale Flüge, die an einem europäischen Flughafen landen oder abfliegen (ab 2012). Je nach Verteilungsmechanismus der „Emissionsrechte“ wird diese Maßnahme die Ticketpreise erhöhen.
Bisher orientierte sich das Reiseverhalten hauptsächlich am Geldbeutel. Doch seitdem sich die Klimadebatte sprichwörtlich aufgeheizt hat, kommt ein moralisches Dilemma ins Spiel. Länder wie Neuseeland, die sich als Naturparadies vermarkten, haben das zunehmende Umweltbewusstsein der Reisenden als Gefahr erkannt und ergreifen vor Ort schadensreduzierende Maßnahmen zur Imagesicherung – etwa die Müllbeseitigung. Die eigentliche Umweltverschmutzung findet aber auf dem Flug hin und zurück statt: Pro Person von und nach Deutschland werden fünf Tonnen Kohlendioxid produziert.
Diese fünf Tonnen sind das Doppelte der jährlichen Kohlendioxid-Emissionen eines Bewohners in einem Entwicklungsland – damit ist man bei einer ethischen Diskussion über globale Gerechtigkeit. Die Antwort zu diesem Dilemma ist gegenwärtig die „Klimakompensation“: Bei Anbietern wie Atmosfair kann man sich in Projekte einkaufen, die zur Emissionsreduzierung dienen, zum Beispiel die Aufforstung in Regenwaldgebieten oder die Unterstützung von indischen Dörfern bei der Nutzung erneuerbarer Energien. Kompensation trägt nicht zu langfristigen Verhaltensveränderungen oder zum Technologiewandel bei und wird aus diesem Grund von grünen Lobbygruppen kritisiert. Dennoch: Kurzfristig kann Kompensation zu einer Umwerteilung an Geldern führen.
Der Weltklimarat berichtet, dass elf der letzten zwölf Jahre die heißesten seit Beginn der Messungen 1850 waren. Die Urlaubsgebiete der Erde, die mit höheren Klimarisiken rechnen müssen, büßen an Wettbewerbsfähigkeit ein. Wer fährt schon gerne in die Karibik, wenn das Risiko eines Hurrikans zu hoch wird oder wenn man sich Malaria einfängt? In Krisengebieten verschärft der Tourismus sogar die Probleme vor Ort. In Trockengebieten herrschen schon heute oft Konflikte zwischen der lokalen Bevölkerung und den Touristen. Der Durchschnittsurlauber in Tunesien verbraucht 550 Liter Wasser pro Tag, ein Einheimischer nur 25 Liter. Anstelle eines Nord-Süd-Stroms wird sich ein Süd-Nord-Strom einstellen. Schon jetzt ziehen es viele Italiener vor, die Sommerferien in den kühleren Bergregionen im Norden zu verbringen. Die Ostsee hat in den letzten Jahren eine Wiederbelebung des Tourismus erfahren, und der Klimawandel wird diesen Trend verstärken. Er wird Gewinner und Verlierer produzieren.
Klimawandel wirkt sich auch auf die Naturschönheiten aus, derentwegen Touristen um die Welt reisen. Die UNESCO veröffentlichte kürzlich einen Bericht über die Effekte des Klimawandels auf Weltkulturerbe-Stätten. Besonders gefährdet sind Korallenriffe, alpine Ökosysteme, Gletscher und bedrohte Arten in ökologischen Nischen. Das australische Great Barrier Reef ist vom Aussterben bedroht. Korallen können nur unterhalb bestimmter Wassertemperaturen überleben (um 29 Grad, je nach Art), und wissenschaftliche Studien zeigen, dass die maximalen Temperaturen mit zunehmender Häufigkeit in den nächsten 20 Jahren überschritten werden. Auch Reiseziele wie der Mount Everest in Nepal sind bedroht. Die Hauptgefahr besteht in katastrophalen Flutwellen, wenn Gletscherseen plötzlich Endmoränen durchbrechen. Langfristig steht die Wasserversorgung von Milliarden von Menschen in Frage. Die einzigartige Kapflora in Südafrika besteht aus seltenen Arten mit sehr geringer Verbreitung und hoher Klimaanfälligkeit. Vor Kurzem wurde dieses Gebiet von der IUCN (World Conservation Union) als einem der wichtigsten Orte für Artenvielfalt erklärt. Mehrere Millionen Touristen besuchen jährlich die Nationalparks am Kap der Guten Hoffnung. Naturwunder wie diese stehen unter enormem Druck, zum einen wegen der Nutzung durch Touristen selbst, aber auch seitens der lokalen Bevölkerung. Die sich verändernden Klimabedingungen sind das Zünglein an der Waage, das zu einem vollständigen Kollaps dieser empfindlichen Gebiete führen kann. Wird das Klima heißer und trockener, wird die Kapflora 2050 um 65 Prozent geschrumpft sein.
Abgesehen von dem hohen ökologischen und kulturellen Wert dieser Naturschönheiten sind sie auch die Hauptdevisenbringer für viele Entwicklungsländer. Was wäre Peru ohne Machu Picchu oder Tansania ohne den Kilimandscharo? Viele Nationalparks existieren überhaupt nur dank des Tourismus und werden vollständig von Eintrittsgeldern finanziert, wie zum Beispiel die Gorillaparks in Uganda. Wenn tourismusabhängige Länder politisch instabil werden, bleiben die Touristenströme aus – wie die gegenwärtige Entwicklung in Kenia zeigt. Die Folgen des Klimawandels werden die Situation weiter verschärfen.
Das Reiseverhalten wird sich durch den Klimawandel ändern. In Zukunft werden wir nicht mehr so weit und nicht mehr so oft reisen. Die vielen Kurzurlaube werden wieder durch einen Jahresurlaub ersetzt, und zwar nicht mehr mit dem Flugzeug, sondern mit dem Zug. Eine neue Erscheinung ist das „langsame Reisen“. Doch im Moment erscheint es eher als ein Privileg derer, die es sich leisten können und vielleicht schon viele Destinationen auf früheren Reisen „abgehakt“ haben. Es gibt schon heute Anbieter klimafreundlicher Reisen: Im Sortiment sind die Anreise mit Bahn und Rad, der Wandertourismus oder verlängerte Aufenthalte. Die Nachfrage ist allerdings noch gering.
In der Zukunft wird Reisen wieder etwas Besonderes sein. Wir werden unseren Kindern von den Zeiten erzählen, als man für einen Euro nach Rom fliegen konnte. Und sicher ist: Die reichen Länder werden sich anpassen. Die Reiseziele werden in der Zukunft so gewählt, dass sie der Größe des jeweiligen Geldbeutels entsprechen. Urlaub wird mit der individuellen Risikobereitschaft übereinstimmen und den moralischen Ansprüchen gerecht werden. Die Deutschen werden wieder verstärkt im eigenen Land Urlaub machen und Reisen nach Südeuropa werden in die Nebensaison verlegt. Fernreisen werden seltener unternommen und der Aufenthalt wird länger sein. Doch solange die Welt sich dreht, werden die Deutschen Möglichkeiten finden, Urlaub zu machen.
Wie sich der Tourismus in der Zukunft entfaltet, hängt vor allem davon ab, wie sich Wachstumsländer wie China und Indien entwickeln. China hat schon jetzt mehrere tausend neue Flugzeuge bestellt, um die erwartete Nachfrage der nächsten 20 Jahre zu befriedigen. Viele Reiseländer bauen auf vermehrte Nachfrage aus China, unter anderem die europäischen Staaten, aber auch Länder wie Australien, die Südpazifik-Länder und Nordamerika. Es könnte allerdings sein, dass der Klimawandel diesen Trends ein vorzeitiges Ende bereitet. Zum einen sind Chinesen bisher als ‚Billigtouristen‘ bekannt und erhöhte Flugkosten werden zumindest einen Dämpfer bedeuten. Zum anderen ist China auch eines der Länder, das erheblich vom Klimawandel betroffen sein wird, etwa durch akuten Wassermangel. Das würde zu einer allgemeinen Drosselung des Wirtschaftswachstums führen.
Doch was wird aus den Reisedestinationen? Was passiert mit den Entwicklungsländern, die sich bisher auf den Tourismus verlassen haben? Arbeitsplätze werden gefährdet sein, Investitionen zum Ausbau des Tourismus werden sich vielerorts nicht amortisieren. Für entfernt gelegene Länder und solche, die mit erheblichen Klimafolgen rechnen müssen, ist es wichtig zu verstehen, wie sich der Tourismus in der Zukunft entwickeln wird. Lohnt es sich für Inseln im Südpazifik, weiterhin in den Tourismus zu investieren? Und wie können sie sich gegen die negativen Auswirkungen des Klimawandels schützen? Diese Länder benötigen Marktforschung und Prognosen über zukünftiges Reiseverhalten. Klimamodelle müssen auf den Tourismus angewendet werden, um Risiken wie Meeresspiegelanstieg (Wie nah an der Küste kann man bauen? Wie hoch müssen die Brücken sein?) und Wirbelstürme (wie oft und wie stark?) zu quantifizieren.Manche Länder werden sich darauf einstellen müssen, dass der Tourismus nicht die goldene Gans ist, auf die sie gewartet haben.