Herr Bürgermeister Siegele, wie trotzt Ihr 3.600-Seelen-Dorf Mäder im Vorarlberger Rheintal dem Klimawandel?
Gar nicht. Aber wir können das uns Möglichste dazu tun, dass der Klimawandel nicht zu stark wird. Ich habe bereits 1989 für die Gemeinde eine CO2-Bilanz erstellt. Damals trugen alle kommunalen Einrichtungen ein Prozent zum CO2-Ausstoß in Mäder bei, heute liegen wir bei 0,4 Prozent.
Wie haben Sie das erreicht?
Ein Gemeinderatsbeschluss besagt, dass wir bei Sanierungen die bestmögliche Technik verwenden müssen, etwa eine Dreischeibenverglasung für eine optimale Isolierung. Ein anderer Beschluss lautet: Neubauten sind als Passivhäuser zu bauen, die fast keine Energie zum Heizen oder Kühlen benötigen. Wir haben auch eine Schule saniert, die nun statt 24 Liter Heizöl pro Quadratmeter im Jahr nur noch 5 Liter benötigt. Und wir haben unsere Straßenbeleuchtung von Quecksilberlampen auf Natriumdampflampen umgestellt und sie mit Nachtschaltern ausgestattet, sodass wir knapp 50 Prozent Energie bei der Straßenbeleuchtung einsparen, ohne Qualitätsverlust. Seit vergangenem Winter bieten wir privaten Hausbesitzern eine sehr kostengünstige Thermografie-Analyse ihres Gebäudes an. Danach können sie sehen, ob eine Dämmung oder eine zusätzliche Isolierung der Außenhaut nötig ist.
Denken alle Menschen in Mäder so klimafreundlich?
Wir versuchen, die Bevölkerung mit Öffentlichkeitsarbeit und Aktionen zu beeinflussen. Zum Beispiel werden alle Dorfbewohner, die in unsere gemeinschaftliche Solaranlage investiert haben, jedes Jahr, heuer schon zum zwölften Mal, zum „Sonnenfest“ eingeladen. Energiesparen und Energieproduktion muss genussvoll und freudvoll erfolgen, wenn wir wirklich die Masse erreichen wollen.
Wovon leben die Menschen in Mäder?
Da die Gemeinde insgesamt auf 414 Metern liegt, sind Schnee und Skitourismus kein Thema. Landwirtschaft gibt es in Mäder nicht mehr wir haben nur noch drei Vollerwerbslandwirte. Die Bürgerinnen und Bürger arbeiten in Handel, Gewerbe und Industrie, relativ viele im benachbarten Ausland, in der Schweiz und in Liechtenstein.
Welche konkreten Umweltveränderungen erlebt Mäder bereits?
Wenn der Klimawandel die Leute aus den Gebirgstälern vertreibt, ziehen sie in die größeren Täler und diese werden noch dichter besiedelt. Durch den starken Zuzug – die Bevölkerung in Mäder stieg in den letzten drei Jahren um jeweils drei Prozent – werden die Lebensräume dichter, die Anonymisierung beginnt. Wir haben 1992 festgelegt: Wir wollen ein Dorf bleiben. Dorf bedeutet Sozialzusammengehörigkeit. In einigen Gemeinden in den Südwestalpen leben vielleicht noch 17 Einwohner und ein Kind, das 20 Kilometer zur Schule fahren muss. Solche Gemeinden sind tot, sie können sich nicht mehr halten.
Daher müssen die kleinen Gemeinden zusammenhalten.
Ja, Mäder ist Mitglied eines Netzwerks mit mittlerweile über 260 Gemeinden alpenweit, das sind etwa fünf Prozent aller Alpengemeinden. Wir tauschen uns intensiv aus. Wir haben eine Resolution verabschiedet, die von den Regionalregierungen eine Grundversorgung für die Berggemeinden verlangt: Schulen, Wasser- und Abwasserversorgung und öffentlichen Personennahverkehr. Wir möchten den Lebensraum nicht auf Kosten der nächsten Generationen ausbeuten, weil es die Alpen in den nächsten 100.000 Jahren noch geben wird, sondern zeigen, dass es andere Wege gibt, in den Alpen zu wohnen und zu wirtschaften, im Einklang mit der Natur. Aber wir sind erst am Anfang.
Viele Alpenregionen, die auf Skitourismus setzen, versuchen, den fehlenden Schnee mit Schneekanonen zu kompensieren.
Ischgl plant angeblich die Überdachung einer kompletten Abfahrt.
Warum?
Die Gewinnmaximierung ist nach wie vor das Ziel sehr vieler Menschen. Der Tourismus ist sicherlich ein wesentlicher Erwerbszweig in den Alpen, aber die meisten Menschen in den Alpen leben in den Tälern. Dort sind das Gewerbe und die Industrie viel stärker am Wirtschaftswachstum beteiligt. Der Tourismus in den Alpen wird sich ändern, wenn die Klimaprognosen eintreffen. Man muss klimaverträgliche Angebote machen: Schneeschuhwandern im Winter oder Erlebniswandern im Sommer mit Kindern. Wenn die Temperaturen um ein oder zwei Grad steigen, wird es in den Alpen immer noch angenehmer sein als in den italienischen Tiefebenen mit 40 Grad. Meine Generation ist verdorben durch 30 Jahre Waschmittel- und Autowerbung. Umweltwerbung gibt es seit etwa zehn Jahren. Die nächste Generation sollte mit einem anderen Verständnis als wir aufwachsen.
Drohen auch den Dörfern in tiefer gelegenen Tälern, wie Mäder, Überschwemmungen durch Gletscherschmelze oder Hochwasser?
Es gibt natürlich immer wieder diese Zeitungsmeldungen „Felssturz in Südtirol“ – weil der Permafrostboden aufgetaut ist. In unserer Gemeinde bemerkt man noch nichts, aber wir wissen aus der Vergangenheit, was hier im Rheintal passieren kann. Im angehenden 18. Jahrhundert erlebte der Oberlauf des Rheins eine natürliche Klimaerwärmung und eine Nutzungsänderung. Unsere Gemeinde wurde siebenmal überschwemmt, weil die hoch gelegenen Wälder, die im Sommer als Wasserspeicher für den Regen dienten, abgeholzt worden waren. Die Wahrscheinlichkeit, dass dies wieder passiert, ist hoch. Unsere Bemühungen sind purer Überlebenskampf. Nur sehen das die Leute nicht. Sie fühlen sich sicher, weil die Dämme acht Meter hoch sind. Wenn aber ein Damm überschwemmt wird, dann kommt nicht nur ein bisschen Wasser, sondern der ganze Rhein fließt durch das Dorf.
Davor könnten Sie sich gar nicht schützen.
Wir können beispielhaft vorausgehen. Wir können predigen. Je mehr Leute mitmachen, desto besser.
Warum sind gerade die Menschen in Mäder so fortschrittlich?
Wir haben in Mäder ein neues Selbstbewusstsein geschaffen. Unsere Gemeinde war sehr arm. In den 1950er-Jahren hat man sich für seine Herkunft aus Mäder geschämt. Jetzt haben wir eine Hauptschule mit Schwerpunkt Ökologie, die sehr gut ausgestattet und auch architektonisch hervorragend ist. Die Schüler dort haben mehrfach landesweit Preise vom Klimabündnis Österreich oder Auszeichnungen durch den Umweltminister bekommen. Wir sind jetzt eine Umweltmustergemeinde.
Können kleine Gemeinden wie die Ihre den Klimawandel wirklich bekämpfen?
Wir können den Klimawandel nicht stoppen, aber zeigen, dass es anders geht – und möglichst viele Nachahmer finden. Notwendig ist eine Kerosinbesteuerung für den Flugverkehr, sonst können wir unsere Klimaschutzbemühungen vergessen. Umweltkosten müssen in die Kalkuation miteinbezogen werden ein Kilogramm CO2 macht einen volkswirtschaftlichen Schaden von 35 Cent aus. Wir versuchen, die Leute zu einer sanften Mobilität zu überreden, bauen Rad- und Fußwege, die Busse auf der Hauptverkehrsstraße fahren in einem Halbstundentakt in zwei Richtungen. Dann hat niemand mehr die Ausrede, dass er das Auto braucht. Wir können nur anbieten und wie auf kranke Pferde einreden.
Ist es nicht viel einfacher, umweltbewusst zu sein, wenn man auf die Wiese und den Fluss schaut, wie in Mäder?
Gerade die, die es leichter haben, müssen vorangehen.
Das Interview führte Nikola Richter