Wie wir bleiben, was wir sind

von Mano Aghali

Heiße Zeiten. Wie uns das Klima verändert (Ausgabe II/2008)


Durch die Auswirkungen der Klimaveränderung auf Weideplätze und Viehbestand sehen die Nomadenvölker in Niger ihre traditionelle Lebensweise in ihren Grundfesten erschüttert. Über Jahrhunderte haben sie eine einzigartige Kultur entwickelt, die ein Überleben in der Wüste Sahara ermöglicht. Das Dromedar, ein an trockene Regionen und spärliches Futter angepasstes Tier, ist der wichtigste Begleiter der Nomaden. Sein Lebensraum wächst mit der zunehmenden Trockenheit – wie schon seit Beginn der christlichen Zeitrechnung, als es in der Sahara Einzug hielt.

Seit zwei Jahrzehnten beobachten wir, dass sich seine Bedeutung für die Gesellschaft ändert. Nutzten wir es früher hauptsächlich als Reit- oder Lasttier, so ist es heute für Milchproduktion und Landbestellung von größtem Nutzen. Schädlinge aus den Oasengärten und unsicherere klimatische Bedingungen scheinen die Verbreitung neuer Viehkrankheiten zu begünstigen, die zu einer erhöhten Sterblichkeit der Tiere führen. Früher variierten die Größen der Herden je nach Reichtum der Familie. Es gab Familien, die 50 bis 100 Dromedare besaßen. Heute hat die Zahl der Dromedare pro Familie deutlich abgenommen, viele Nomaden besitzen nicht mehr als fünf Tiere. Dadurch verändert sich die Lebensweise der Nomaden: Sie ziehen weniger durch die Wüste die Zahl der Karawanen hat abgenommen. Folglich gibt es weniger Einkommensmöglichkeiten für sie.

Die Viehhaltung nomadischer Hirtengesellschaften zeichnet sich durch eine extensive Nutzung der Ressourcen aus. Grasen jedoch zu viele Tiere auf zu geringem Weidegrund, so wird dieser übernutzt. Desertifikation ist die Folge. Dazu kommt die Umwandlung von großen Weidearealen in Ackerland. Die Nomaden haben nicht mehr genügend Land für ihre Tiere und müssen sesshaft werden. Die Ausweitung der Felder führt zu Konflikten zwischen Bauern und Nomaden. Konsequenzen des Klimawandels für das Leben der Nomaden sind folglich die Tendenz zur Sesshaftwerdung, die unaufhörlich steigende Viehsterblichkeit und massive Landflucht vor den immer schwieriger werdenden Lebensbedingungen.

Dennoch bleibt die Viehzucht unbestritten die wichtigste wirtschaftliche Aktivität unter den extremen klimatischen Bedingungen der Trockenheit. So können die Nomadenvölker in geografischen Randzonen leben – in denen die ökonomischen Möglichkeiten oft begrenzt sind. Dies zwingt sie zu einem hohen Maß an Mobilität, da sie stets den verfügbaren Futter- und Wasserquellen folgen müssen.

Dieser Stand der Dinge sollte zu einer Erforschung und Förderung von Viehhaltungspraktiken anregen, die ihre Impulse vom Wissen der indigenen Bevölkerung erhalten und die Umwelt bewahren.

Als Tuareg stelle ich mir die Frage, ob wir uns an diese Veränderungen anpassen können, ohne unsere kulturelle Identität zu verlieren. Wesentliche Elemente unserer Kultur übernehmen wir von unseren Eltern. Ich selbst bin in der Nähe einer Oase geboren und aufgewachsen, wo die Einwohner Viehzucht und Gemüseanbau betreiben. Als Kind ging ich zur Schule, half meinen Eltern im Garten und bei der Aufzucht der Ziegen und Dromedare. Das Leben war einfach, und wir Kinder mussten hart arbeiten. Nach meinem Grundschulabschluss ging ich auf eine weiterführende Schule in der Stadt. Das war eine große Veränderung für mich, denn es handelte sich um eine Uranabbaustadt. Das Zusammentreffen mit der modernen Welt war ein harter Schock. Die Entdeckung von Leitungswasser, Elektrizität, Kino und Fernsehen hat mich stark geprägt. Glücklicherweise waren da andere Nomadenkinder aus meiner Heimatregion. Wir haben uns zu einer Gemeinschaft zusammengeschlossen, um den Veränderungen und dem neuen Alltag gemeinsam die Stirn bieten zu können. Ich bin heute, nach einem Hochschulstudium, ein moderner Tuareg, der seine Sprache, Kleidung und Lebensweise bewahrt hat.

Das Leben meiner Eltern war bescheiden. Die Familien lebten in Zelten. Heute bauen wir Häuser aus Lehm – wir lassen uns also dauerhaft nieder. Ein Teil der Familie kann dennoch mit den Tieren zu Weideflächen ziehen. Auch das ist eine Form des Nomadentums. Was mir am meisten fehlt, ist die Weite, die eine wesentliche Dimension für die geistige Entfaltung des Tuareg ist. Was die Modernität betrifft, so ist der Zugang zu sauberem Wasser zu begrüßen und die Schule, die es den Kindern ermöglicht, Wissen in allen Bereichen zu erlangen, sowie die Demokratie.

Wenn ein Tuareg sich außerhalb seiner Heimat aufhält, ist er gezwungen, sich an die neue Situation anzupassen. Er kann dabei ein paar seiner Gepflogenheiten verändern, das Wesentliche seiner Kultur – seine Sprache, seine Kleidung und seine Erziehung – behält er bei.

Aus dem Französischen von Annalena Heber



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