Durststrecke

von Konstantin Parshin

Heiße Zeiten. Wie uns das Klima verändert (Ausgabe II/2008)


Im Zuge des Klimawandels hat Tadschikistan vor allem mit einer deutlichen Umweltveränderung zu kämpfen: dem Abschmelzen der Gletscher. Mehr als die Hälfte der gesamten Wasservorräte Zentralasiens stammen aus dem tadschikischen Hochland. Im Sommer steuern die Gletscher des Landes bis zu 70 Prozent zum Wasser des wichtigsten Flusses, des Amu-Darja, bei und leisten damit einen lebenswichtigen Beitrag zur Landwirtschaft und zur Wasserkrafterzeugung in Zentralasien.

In einem Bericht des Tadschikischen Hydrometeorologischen Dienstes von 2007 heißt es: „Der größte Gletscher in Zentralasien, der Fedchenko-Gletscher im Pamir-Gebirge, zieht sich jedes Jahr um 15 Meter zurück.“ Wenn sich der Gletscherrückzug in den nächsten 40 Jahren mit unvermindertem Tempo fortsetzt, werden die Gletscherflächen Tadschikistans womöglich um 15 bis 20 Prozent schrumpfen und zahlreiche kleine Gletscher und Seen unwiederbringlich verloren gehen. Die größte ökologische Gefahr besteht in der Verschlechterung der Wasserversorgung in Zentralasien, die zu sozialen und wirtschaftlichen Spannungen und zu Konflikten zwischen Tadschikistan, Afghanistan, Usbekistan, Kirgisistan und Turkmenistan führen könnte.

Durch ein Ansteigen des Schmelzwassers und durch sintflutartige Regenfälle droht die Verseuchung des Grundwassers und des Flussgebiets des Amu-Darja. Dies würde den Zugang zu sauberem Trinkwasser sowie die landwirtschaftliche Bewässerung weiter erschweren, denn Tadschikistan verfügt über marode Wasserversorgungsanlagen. Ebenso wirkt sich die Entwicklung auf die Sicherheit der Energie- und Lebensmittelversorgung in der Region aus und auch die soziale und wirtschaftliche Stabilität in den zentralasiatischen Ländern ist in Gefahr.

UN-Beamte erklären, Gesundheits- und Umweltkatastrophen und insbesondere der Ausbruch von durch Wasser übertragenen Krankheiten seien in der Zukunft sehr wahrscheinlich. Bereits seit Ende der 1990er-Jahre treten in Tadschikistan gehäuft Typhus und Malaria auf. Obwohl internationale Geber Millionen Dollar für die Wiederinstandsetzung des Wasserversorgungssystems in großen tadschikischen Städten und kleineren Gemeinden bereitgestellt haben, ist die Trinkwasserqualität im Land nach wie vor extrem schlecht. Von den eine Million Einwohner der tadschikischen Hauptstadt Duschanbe beziehen zwei Drittel ihr Wasser aus dem Fluss Varzob und erhalten in der Hochwassersaison ungeklärtes oder sogar kontaminiertes Wasser.

Zusätzlich zu den klimatischen Veränderungen hat Tadschikistan mit weiteren Problemen zu kämpfen. Der letzte Winter war der härteste seit 30 Jahren. Die extrem niedrigen Temperaturen haben eine „Kettenreaktion“ ausgelöst: Engpässe bei der Stromversorgung in Wohngebieten, eingefrorene Wasserleitungen und ausgebrannte Traforäume. Die Regierung schätzt die wetterbedingten Wirtschaftseinbußen auf 250 Millionen Dollar. Betroffen ist besonders die Agrarwirtschaft. Das Getreide erfror auf den Feldern, die Bauern mussten Verluste hinnehmen. „In privaten Haushalten und in Lebensmittelläden laufen die Dieselmotoren rund um die Uhr. Die Stadt verschwindet unter einer Schmutzkruste und die städtischen Behörden sind nicht in der Lage, irgendetwas daran zu ändern“, sagt die tadschikische Ökologin Firuza Abdurachimowa.

Die anhaltende Kälte bleibt nicht ohne Folgen. Tadschikische und internationale Gesundheitsinstitutionen äußern sich besorgt über die Zunahme von Atemwegserkrankungen vor allem in Gebieten, in denen die medizinische Versorgung mangelhaft ist. Sehr oft diagnostizieren die Ärzte „allgemeine körperliche Erschöpfung“ und eine Reihe anderer Krankheiten, die auf „permanente Kälteexposition“ zurückzuführen sind. „Wir gehen davon aus, dass sich auch die Ernährungssituation weiter verschlechtern wird. Schon jetzt haben wir es mit einer echten Notlage zu tun“, berichtet Zlatan Milisi, Leiter des UN-Welternährungsprogramms in Tadschikistan.

„Einen positiven Aspekt hat die Situation“, sagt Firuza Abdurachimowa und meint damit den neu erwachten Mut eines kleinen Teils der tadschikischen Bevölkerung, sich bei der Regierung über die herrschenden Verhältnisse und die Untätigkeit der Politiker zu beschweren. Aber viele Menschen sind auch entmutigt und apathisch. Sie haben kein Vertrauen in örtliche Behörden und die Zentralregierung. Und es gibt eine neue Tendenz in der tadschikischen Gesellschaft: Auswandern. So erwägen viele qualifizierte Lehrer und Ärzte, nach Russland zu gehen.

Was bei den anstehenden Schwierigkeiten sehr deutlich wird, ist, dass Tadschikistan die Probleme nicht allein lösen kann. Mit den zentralasiatischen Nachbarstaaten besteht aber derzeit zu wenig Einvernehmen. Nur Kirgisistan unterstützt den Vorschlag der tadschikischen Regierung, die Wasserprobleme gemeinsam anzugehen.

Aus dem Englischen von Andreas Bredenfeld



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