Die Waffen der Schönheit

Claudia Schmölders

Großbritannien (Ausgabe I/2010)


Wer sich für feministische Wissenschaft interessiert, kennt den Namen der kanadischen Rechtsprofessorin Catharine MacKinnon. Seit Jahrzehnten arbeitet sie erfolgreich an einer verschärften Anti-Pornografie-Gesetzgebung weltweit und mindestens eine ihrer einschlägigen Reden kann man im Netz auf einem Video verfolgen. Wer sie hier und auch live sieht, wird staunen über ihre Schönheit und Eleganz. Sie hat den Kampf mit dem nicht nur männlichen Vorurteil aufgenommen, wonach Feministinnen von der Natur benachteiligte Mäuschen sind, und sie hat ihn auf ihre Art gewonnen. Mode und Schönheit sind schließlich auch Waffen – ja, zwei der ältesten. Aber haben sie etwas zu tun mit Wissenschaft? 

Im Internet stößt man ausschließlich auf verächtliche Wendungen wie „modische Wissenschaft“ oder auch „Moden wissenschaftlichen Denkens“. Beides ist unerwünscht Wissenschaft soll ja gerade nicht modisch, sondern zeitlos sein. Und doch ist nichts so zeitgebunden wie die Konkurrenz in der modernen Forschung und die herrscht überall mit „unsichtbarer Hand“, wie der englische Moralphilosoph Adam Smith die Regulation im Marktgeschehen einst nannte. Aber während er sie für weise hielt, hat uns der französische Soziologe Pierre Bourdieu längst eines Schlechteren belehrt. Diese Hand ist oder war überhaupt schon immer eine geballte Faust in der harmonischen Kommunikation. Woraus folgt: Je mehr sich die Wissenschaft in Handel verwandelt, desto „faustischer“ wird sie. Je öfter sie auf den Markplatz der Tagungen und Konferenzen eilt, desto wichtiger werden für alle Teilnehmer, vor allem für Frauen, die Modefragen. Oder besser: die Wahrnehmungsfragen. Wie sieht man aus, wie tritt man auf, wie redet man, wie ist man gekleidet? Und ist man selbst der Veranstalter, wird augenblicklich zum Thema: Welchen Ort konnte man für die Teilnehmer finden? Welche Restaurants, welche Hotels und vor allem: Hatte man genügend Drittmittel in der Faust, sprich: zur Hand? 

Visibilität gibt es nicht nur auf Tagungen, sondern inzwischen noch mehr im Internet. Jeder Professor braucht und hat eine Homepage in seiner Universität mit einem Foto und je beliebter und „kultiger“ ein Dozent ist, desto mehr Videos sind über ihn im Umlauf. Von Judith Butler, der feministischen Hochphilosophin, stehen im Moment allein 60 Videoaufnahmen im Netz. Man kann sie mit ihrer ganzen Lebensgeschichte im Foto erblicken, aber auch immer wieder mit ihrer unerhörten Kunst der gestischen Performanz bei Vorträgen. Heidegger oder Hegel mit der Gestik einer indischen Tempeltänzerin rekapituliert – das hat schon etwas. Könnte es sein, dass die Frauen mit ihren ältesten Waffen in der modernsten Wissenschaft besser punkten können denn je – und müssen sie es?

Schon möglich. In der angelsächsischen Wissenschaft gibt es, im Kontext der seit Jahren boomenden Cultural Studies, längst regelrechte „Fashion Studies“ und seit 1997 auch eine eigene Zeitschrift namens Fashion Theory. The Journal of Dress, Body and Culture. Ein riesiges Feld und völlig plausibel. Das Journal und die Studien decken von der Modefotografie über die Geschichte großer Modehäuser bis hin zu den Kleidungsritualen ganzer Völkerschaften, aber auch einzelner Berufsgruppen alles ab, dazu natürlich einschlägige Öko-Perspektiven auf die Gewinnung und Bearbeitung von Stoffen, oder die stillen Aufrüstungen, sprich Computerisierungen von Design und Produktion. Die Welt aus der Sicht der Mode – dieser Ausdruck ist ganz falsch. Es geht um die Welt aus der Sicht der Bekleidung – und bekleiden muss sich der Mensch, seit er „pelzlos ist zum Ekel der Tiere“, wie der Philosoph Günther Anders feststellte.

Im großen Darwin-Jahr 2009 hat man bemerkt, dass Darwin nicht nur ein Werk über die biologische Selektion verfasst hat, „Die Entstehung der Arten“ (1859), sondern ein zweites über „Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl“ (1871). Hier führt er einen Beweis dafür, dass auch Kultur massiv über Selektion entscheidet: nämlich in der Partnerwahl. Angefangen vom Pfauenkleid bis zum Kopfschmuck der Nofretete spielt hier die Mode mit, ja sie ganz besonders. Winfried Menninghaus vom Exzellenzcluster „Languages of Emotion“ an der Freien Universität Berlin hat sich mit großem Geschick an diesen Januskopf darwinistischen Denkens herangewagt. Die Mode ist eine der faszinierendsten „Languages of Emotion“, die sich denken lässt. Zwar braucht man, um sie zu sprechen, viele Kenntnisse, Geld, Zeit und einen ausgeprägten Narzissmus, aber sie bereichert unsere sozialen Kontaktmuster ungemein. Niemals haben Wissenschaftler die Frau so umworben wie heute – aber niemals haben sie auch so viel von ihr verlangt. Bilden wir sie aus, führen wir einen „Master of Fashion“ Studiengang obligat in das Studium Generale ein!



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