Hunderttausende Studierende protestierten 2011 in Chile für gerechte Bildung – und gegen ein überkommenes System. Unsere Besetzungen und Demonstrationen waren die Höhepunkte eines lange bestehenden Widerstands. Den Studierenden folgten die Bewohner der städtischen Randbezirke und Menschen mit geringem Einkommen. Es war unmöglich für die politische Elite, diese Proteste geheim zu halten. Doch neben den sozialen Bewegungen haben auch politische Institutionen Veränderungspotenzial. Ich gehöre zu den jungen linken Abgeordneten, die 2013 ins Parlament gewählt wurden. Wir kommunistischen Parlamentarier setzen uns dafür ein, dass die alten herrschenden Eliten, die Repräsentanten der sozialen Ungleichheit, der Armut und der Korruption, weggefegt werden.
Auf den ersten Blick sticht Chile in Lateinamerika durch seine politische Stabilität und seine Wirtschaft heraus. In Wahrheit ist es weltweit eines der Länder mit der höchsten Rate sozialer Ungleichheit. Auch nach 24 Jahren Demokratie bleibt ein langer Schatten der Diktatur Pinochets sichtbar. Pinochet kam 1973 durch einen Militärputsch an die Macht, wo er sich 17 Jahre hielt und tausende Regimegegner ermorden ließ.
Besonders in Chiles Wirtschaft hat heute immer noch die Elite aus der Zeit der Diktatur das Sagen. Rund zwei Prozent der rund 17 Millionen Chilenen erwirtschaften mehr als siebzig Prozent des nationalen Einkommens. Das Finanzkapital ist in den Händen von einer Gruppe von Familien, die an den Entscheidungen großer Unternehmen teilhaben. Sie übernehmen die gesamten Wahlkampfkosten der rechten Parteien. Aufgrund der unbeschränkten Macht der Unternehmensgruppen gehören genau jene Parlamentarier zur Elite, die eine starke Verbindung zur Wirtschaft haben.
Die politische und wirtschaftliche Elite reproduziert sich im Bildungssystem, das auch ein Erbe der Militärdiktatur ist. 1981 wurde die Gründung privater Hochschulen vereinfacht, die heute über die Hälfte der chilenischen Universitäten ausmachen. Die hohen Gebühren schließen die Mehrheit der Studierenden aus. Bessere Primär-, Sekundär- und Hochschulbildung ist wohlhabenden Familien vorbehalten, da Bildung eine Ware des Marktes ist.
Auch in der Politik bestimmt weiterhin die alte Elite. Chile hält an der illegitimen Verfassung fest, die während der Diktatur verabschiedet wurde. Das Wahlsystem sichert die Überrepräsentation großer Parteien und damit die dominante Stellung der rechten Parteien ab. Akteure und Kollaborateure der Diktatur haben heute öffentliche Ämter inne. In einer Art „Handschellen-Demokratie“ stützen sich die alten Eliten gegenseitig mit dem obersten Ziel diejenigen auszuschließen, die für Reformen eintreten. Chile benötigt dringend eine Steuerreform, eine Bildungsreform und eine Verfassungsänderung. Ein konservativer Komplex aus Wirtschaft, Politikern und internationalen Zusammenschlüssen stemmt sich gegen die Erneuerung der Politik und geht gegen jeden vor, der versucht den verknöcherten Neoliberalismus zurückzudrängen.
Trotzdem ist die demokratische und fortschrittliche Bewegung Chiles stärker geworden. Die Mehrheit der Zivilgesellschaft weist heute lautstark die unternehmensfreundliche Politik zurück, reagiert mit immer großräumigeren Streiks und mit einer Ablehnung des „chilenischen Modells“ der alten Elite. Neue Reformen zugunsten der ehemals Ausgeschlossenen müssen von einer starken sozialen Bewegung begleitet werden. Die Vision von uns jungen Abgeordneten ist es, das System von innen zu verändern: mit zwei Füßen auf der Straße und mit zwei Füßen in den Institutionen der Regierung. Nur so kann die Ungerechtigkeit besiegt und die noch immer herrschende Elite der Militärdiktatur gestürzt werden.
Aus dem Spanischen von Barbara Buxbaum