Ich sehne mich nach Europa

ein Gespräch mit Salah El-Din Omar

Menschen von morgen (Ausgabe I/2009)


Wie stellst du dir die Welt in zehn Jahren vor?

Noch mehr Kriege, noch mehr Leid für die Armen, die den Preis für das moderne Leben der Reichen bezahlen müssen.

Wird die Welt nicht zusammenwachsen?

Gibt es jemanden, der wirklich so blöd ist, das zu glauben? Die Welt ist aufgeteilt zwischen den Starken und den Schwachen, das kann man tagtäglich erleben. Je stärker jemand ist, desto glücklicher ist er. Der Schwache wird verachtet, seiner Rechte beraubt und er führt ein mieses Leben. Deswegen will ich stark sein. Vielleicht kann ich durch Geld am schnellsten meine Situation ändern, vielleicht aber auch durch Erfolg und Berühmtheit. Es kommt darauf an, dass man sich vom Gefühl, schwächer zu sein als andere, befreit.
 
Interessierst du dich für Politik?

Ich interessiere mich dafür, was mit mir geschieht, aufgrund der Politik. Wenn die Lage in meiner Heimat Eritrea besser wäre, hätte ich sie nicht verlassen müssen für ein Leben in einem Land, in dem ich nicht als vollwertiger Mensch behandelt werde. Vieles, was ich mir wünsche, bleibt mir in Saudi-Arabien verwehrt, bloß weil ich nicht den richtigen Pass habe. 
 
Tust du etwas für andere?

Nein. Ich bin mit mir selbst beschäftigt. Ist dir noch nicht aufgefallen, dass die meisten Wohltätigen reiche Menschen sind? Wenn ich reich wäre und meine Wünsche verwirklicht hätte, würde ich mich auch um andere kümmern. Ich bin in ein Land ausgewandert, in dem Emigranten nicht gerecht behandelt werden, und ich muss mich mächtig anstrengen, um mich in dieser schwierigen Umgebung selbst zu verwirklichen. 
 
Wie willst du dich verwirklichen?

Ich wollte schon immer berühmt werden. Ich habe es übers Fußballspielen versucht. Seit ich klein bin, liebe ich diesen Sport und bin gut darin, das finden alle. Aber ich kann mein Geld hier nicht als Fußballspieler verdienen, denn ich besitze nicht die saudische Staatsbürgerschaft. Das ist auch der Grund, warum ich meine Ausbildung hier nicht fortsetzen kann, dabei würde ich gerne ein Studium absolvieren und in gehobener Stellung arbeiten.
 
Wie steht’s mit der Liebe?

Liebe ist ein schönes Gefühl. Aber hier wird sie erstickt. Sich mit Mädchen zu treffen, zählt in Saudi-Arabien zu den verbotenen Dingen. Dafür kann man nach dem Gesetz ins Gefängnis kommen oder aus dem Land ausgewiesen werden. Es ist nicht möglich, sich auf normalem Weg mit Mädchen zu treffen, einfach mal in der Schule oder in den Sportclubs. Das macht die Liebe äußerst schwierig, aber ich finde Mittel und Wege, für die ich den Nobelpreis im Tricksen verdient hätte. Ich danke Gott, dass ich bis jetzt noch nicht aufgeflogen bin. 
 
Wenn du die Wahl hättest, wo würdest du gerne leben?

In Europa. Ganz klar. Ich sehne mich nach dem Leben der Europäer. All meine Wünsche würde ich dort verwirklichen. Ich wäre stark, ein berühmter Star. Ich würde am liebsten nach London, Paris oder nach München ziehen, wegen der tollen Bayern-Mannschaft. 
 
Hast du ein Vorbild?

Nikolas Anelka, den französischen Nationalspieler, finde ich toll. Ich wünschte, ich wäre wie er, nicht nur auf dem Spielfeld, sondern überhaupt. Besonders gefällt mir, wie hartnäckig er für die Verwirklichung seines Traums gearbeitet und all die Schwierigkeiten, die ihm begegnet sind, überwunden hat.
 
Was machst du nach diesem Interview?

Ich warte auf die Veröffentlichung, um sie meinen Freunden zu zeigen. Ich glaube, es ist der Beginn meines Ruhms.

Das Interview führte Haji Jabir
Aus dem Arabischen von Stefanie Gsell



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