Auch nach fast 20 Jahren in Deutschland bin ich immer noch Italiener, genauer gesagt: Römer! Und wenn ich in den Urlaub fahre, dann natürlich am liebsten nach Italien. Spätestens seit Goethe die Schönheit Italiens gepriesen hat – es wachsen übrigens noch andere Früchte außer „Zitronen“ in diesem Land –, teilen viele Deutsche diese Leidenschaft mit mir. In den 1950er-Jahren machten sie sich mit dem VW-Käfer über den Brenner auf, das exotische Land hinter den Alpen zu entdecken. Und spätestens seit die sogenannte Toskana-Fraktion den Charme verfallener Steinhäuser in der sanften Hügellandschaft und die köstlichen Rotweine dort für sich entdeckte, schneiden die Deutschen Spaghetti nicht mehr mit dem Messer in mundgerechte Stückchen und wissen, dass Cappuccino mit aufgeschäumter Milch statt Sahnehaube serviert wird. Aber es gibt immer noch ein paar kulturelle Unterschiede, die mich nach wie vor zum Schmunzeln bringen – und bei meinem letzten Urlaub bin ich ihnen begegnet. Mitten in Rom, auf der Piazza del Popolo, vernahm ich den speziellen Klang des Ruhrgebiets, der mir so vertraut ist.
Ich war zu früh dran für eine Verabredung – Pünktlichkeit ist eine deutsche Tugend, die ich sehr zu schätzen gelernt habe – und suchte nach einem Plätzchen auf der weitläufigen Piazza mit dem großen Obelisken. Von Weitem sah ich eine freie Steinbank und steuerte darauf zu. Aus dem Augenwinkel nahm ich wahr, dass ich nicht der Einzige war. Ein älteres Pärchen in kurzen Hosen, weißen Turnschuhen und mit einem knallroten chinesischen Sonnenschirm aus Papier setzte zum Überholen an. Wir erreichten gleichzeitig das Objekt unserer Begierde. Nach einem unsicheren Lächeln bedeuteten wir uns gegenseitig durch Gesten, dass doch der jeweils andere Platz nehmen solle, bis wir uns irgendwie zu dritt auf die kleine Bank quetschten. Ich legte mir den dicken Corriere della Sera unter, denn jeder Römer weiß, dass sich die Steinbänke bei über 40 Grad in der Sonne auf Grilltemperatur aufheizen. Das deutsche Paar wusste dies scheinbar nicht.
„Heiß!“, rief die Frau aus, lüftete kurz ihr Hinterteil, ließ sich dann aber tapfer wieder nieder. „Meine Füße brennen noch mehr“, kommentierte der Mann treffend, „also bleiben wir sitzen!“ Zustimmung heischend nickte er mir zu. Ich hatte beschlossen, mich nicht als Deutsch sprechenden Landsmann zu outen, sondern lächelte nur kurz zurück, blickte wieder über den weiten Platz und lauschte inkognito dem nachfolgenden Gespräch.
„Wat müssen wir denn noch?“, fragte der Mann. „Vatikan“, antwortete sie. „Nee! Ich war jetzt bestimmt schon in zehn verschiedenen Kirchen. In Essen war ich seit unserer Hochzeit nich mehr inne Kirche. Mir reicht’s, Sigrid!“ Doch sie ließ nicht locker und hielt ihm den Reiseführer unter die Nase: „Aber im Petersdom wohnt doch der Papst, Klaus!“ „Quatsch, der wohnt da doch nich. Und außerdem is der Bayer! Wat hab ich mit dem zu schaffen? Lass uns lieber nach Rimini zurückfahren“, brummelte er. „Ach Klaus, da sind wir seit 20 Jahren jeden Sommer, jetzt lass uns doch mal Rom genießen.“ „Hier versteh ich aber keenen! In Rimini sprechen alle Deutsch!“ Wieder schaute ich die beiden scheinbar unbeteiligt an und nickte ihnen lächelnd zu.
„Wat ham wa denn schon allet?“, fragte Klaus schließlich etwas versöhnlicher. Sigrid blätterte durch ihren Reiseführer: „Pantheon ham wa. Engelsburg, Bocca de la Verità und Kolosseum auch. Auf der Spanischen Treppe war ich alleine oben. Dat war dir ja zu heiß!“ „Dafür hab ich uns unten diesen Schirm gekauft!“, verteidigte er sich und drehte das rote Papierschirmchen. „Aber Trevi-Brunnen müssen wir noch!“, insistierte Sigrid. Klaus winkte ab: „Da is dat doch so voll, und da klau’n se wie die Raben, hat Frau Puhde mir erzählt.“ „Ach, die Puhde! Von der lass ich mir doch nich die Ewige Stadt madig machen! Ich will ’ne Münze in den Brunnen werfen. Dat bedeutet, dat man noch mal wiederkommt.“ „Na, denn könn’ wir ja dann den Petersdom angucken“, kicherte er und Sigrid fiel in sein Lachen ein. „Gut, dann machen wir jetzt noch den Brunnen und suchen uns danach irgendwo ’ne billige Pizza. Dat is ja allet so unverschämt teuer hier.“
Im Aufstehen wandte Sigrid sich lächelnd an mich und sagte in perfektem Italienisch: „Che bella città che è Roma. Lei è veramente fortunato a vivere qui. Le auguriamo una splendida giornata. Arrivederci.“ („Was ist Rom für eine schöne Stadt. Sie sind wirklich ein Glückspilz, hier zu leben. Wir wünschen Ihnen einen herrlichen Tag. Auf Wiedersehen.“)
Mit schlechtem Gewissen und in meinem weitaus weniger perfekten Deutsch empfahl ich ihnen ein nettes kleines Lokal in Trastevere, wo sie köstliche Steinpilze mit Knoblauch und Petersilie und anschließend ein wunderbares Saltimbocca alla Romana genießen konnten. Und zwar ohne die unverschämten Touristenpreise, denn dort essen die Einheimischen.
Mitarbeit: Bibo Loebnau