Die junge Lehrerin steht vor der Tafel mit chinesischen Schriftzeichen und verrät zehn Kindern im Vorschulalter die besten Tricks, um der vier Töne der chinesischen Sprache Herr zu werden. „Am besten schlagt ihr in Gedanken mit der Faust auf dem Tisch.“ Die Kleinen sitzen im Garten des Konfuzius-Instituts an der Freien Universität Berlin, schlagen auf imaginäre Tische und treffen so den vierten Ton im chinesischen Wort „dà“ für „groß“ erstaunlich gut. Ende April lud das Berliner Konfuzius-Institut anlässlich seines einjährigen Bestehens zum Tag der offenen Tür. Eine Fotoausstellung, verschiedene Kalligrafien und die umfangreiche Bibliothek beeindrucken die Besucher. Die Teilnehmer des Chinesisch-Schnupperkurses können sich nach der ersten Stunde begrüßen und erklären, wo sie herkommen.
Im Garten des Berliner Instituts stellt sich die Frage, in welcher Art und Weise ein Land seine Kultur im Ausland präsentiert, welches Bild vermittelt werden soll und welches, basierend auf den Erwartungen im Ausland, letztlich ankommt. Jedes Kulturinstitut im Ausland agiert wohl in diesem Spannungsfeld. Dieses wird allerdings bei den chinesischen Einrichtungen sehr viel deutlicher, da hier die Diskrepanz zwischen Eigendarstellung und Fremdwahrnehmung oft deutlich größer ist als im Umgang mit anderen Kulturen. Dass die chinesische Seite ein möglichst positives und harmonisches Bild zeichnen will, ist legitim und nicht anders zu erwarten. Angesichts des kulturellen Reichtums Chinas fällt eine positive Darstellung auch nicht allzu schwer. Doch greift eine ernsthafte Auseinandersetzung – die China zu Recht verlangt – zu kurz, wenn das Reich der Mitte auf Schriftzeichen, gutes Essen und chinesische Medizin reduziert wird. So verlangt die globale chinesische Kulturoffensive auch ein Um- bzw. Weiterdenken in Europa. Wenn unsere Vorstellungen von China einerseits lediglich auf einer unreflektierten Euphorie über wirtschaftliche Entwicklungsmöglichkeiten basieren und andererseits auf ausschließlich negativen Aspekten wie der Menschenrechtslage, dem Verhältnis zu Taiwan oder Tibet, ist eine vernünftige Auseinandersetzung nur schwer möglich. Welche Rolle dabei die Konfuzius-Institute spielen können, bleibt abzuwarten.
Im November 2004 wurde das erste Konfuzius-Institut in Seoul gegründet, in den letzten drei Jahren sind über 100 dieser chinesischen Sprach- und Kulturinstitute in 53 Ländern hinzugekommen. Bis 2010 sollen es weltweit 500 sein. In Deutschland gibt es derzeit vier Institute, drei weitere sind geplant. In Europa haben bisher 54 Institutionen eine Absichtserklärung zur Gründung eines Instituts unterschrieben, der Großteil existiert bereits.
Anders als etwa die deutschen Goethe-Institute werden die Konfuzius-Institute in Kooperation mit einem lokalen Partner, meist einer Universität, gegründet. „Die Institute richten sich an ein nicht-sinologisches Publikum, das sich für Chinas Sprache und Kultur interessiert“, fasst Frau Liu Jinghui von der Chinesischen Botschaft in Berlin die Zielsetzung der Institute zusammen. Derzeit lernen weltweit etwa 30 Millionen Menschen außerhalb Chinas Chinesisch, in Deutschland sind es laut Schätzungen ungefähr 10.000. Die Nachfrage nach Sprachkursen sei in den letzten Jahren enorm gestiegen, bestätigt Liu.
Wie in der Politik gehen die Chinesen auch bei der Vermittlung ihrer Kultur eigene Wege. Zheng Yongnian, Professor für Moderne China-Studien an der Universität Nottingham, kommt zu dem Schluss, dass es „in China eben nicht nur einen Sozialismus chinesischer Prägung gibt, sondern nun auch eine Auswärtige Kulturpolitik chinesischer Prägung.“ Durch die Kooperation mit Gastinstitutionen kann die chinesische Seite deren Infrastruktur nutzen und sich den lokalen Gegebenheiten besser anpassen. „Dabei werden die Institute meist von einer ausländischen und einer chinesischen Universität gegründet, die vorher schon lange Zeit zusammengearbeitet haben“, erklärt Dagmar Yu-Dembski, Geschäftsführerin des Berliner Instituts. Diese Beziehungen ermöglichen es der chinesischen Seite, ihre Kulturinstitute in aller Welt „relativ schnell und vergleichsweise unkompliziert zu gründen“, sagt Clemens Treter, stellvertretender Leiter des Goethe-Instituts in Peking. Treter, selbst Sinologe, erkennt darin den typischen chinesischen Pragmatismus, der die aktuelle China-Nachfrage geschickt nutzt.
Im Unterschied zu den Goethe-Instituten erhalten die Konfuzius-Institute von chinesischer Seite nur eine Anschubfinanzierung von 100.000 US-Dollar jährlich für zunächst drei Jahre. Dazu schickt Peking Lehrmaterial und Sprachlehrer. Nach drei Jahren, so die Idee, sollen sich die Institute selbst finanzieren. Ob sich in Deutschland sieben Institute zukünftig selbst tragen können, scheint fraglich. Die Botschaft in Berlin hält sich bedeckt und verweist darauf, dass „wir erst am Anfang stehen und Erfahrungen sammeln.“ Die Kooperationspartner sind sich der Problematik durchaus bewusst. „Die chinesische Seite hat sich sehr schnell an den Wettbewerb gewöhnt“, so Yu-Dembski vom Berliner Institut. „Man gründet mehrere Institute und die besten bleiben übrig.“ Peter Hachenberg vom Düsseldorfer Konfuzius-Institut ist der Ansicht, dass die Institute sich auch nach den ersten drei Jahren halten können. „Natürlich ist es für ein Kulturinstitut schwierig, sich allein zu finanzieren. Aber wenn die chinesische Seite sieht, dass es läuft, wird es sicher auch weitere Unterstützungen geben. Aber eine Sicherheit gibt es dafür natürlich nicht.“
Nicht zuletzt aufgrund dieser Anschubfinanzierung bleibt abzuwarten, wie unabhängig die Institute arbeiten können. Bei den kostenpflichtigen Sprach- oder Kalligrafiekursen wird es kaum Probleme geben. Aber die Institute sollen ja nicht nur die Sprache, sondern auch die Kultur Chinas vermitteln. Bisher, so ist aus den Instituten zu erfahren, habe es keinerlei Einmischung gegeben. Grundsätzlich hat sich der Toleranzrahmen der chinesischen Seite in den letzten Jahren erkennbar vergrößert. Selbst in den Konfuzius-Instituten ist es möglich, nicht ganz unkritische Themen aufzugreifen. In Berlin lief ein Dokumentarfilm über chinesische Taxifahrerinnen, der von den Folgen der Privatisierung genauso berichtet wie von den täglichen Schwierigkeiten, eine Familie zu ernähren. Im Düsseldorfer Institut hielt Wolfgang Kubin, einer der prominentesten deutschen Sinologen, einen Vortrag.
Kubin hatte vorher in einem Interview den chinesischen Schriftstellerverband als unnütz und Romane der jungen Shanghaier Autorinnen Mian Mian und Wei Hui als Müll bezeichnet. Allerdings macht ein Blick auf den Veranstaltungskalender auch deutlich, dass bestimmte Themen in den Instituten nicht stattfinden. „Wenn man so einen Vertrag unterschreibt, weiß man, wo die Grenzen liegen“, erklärt Yu-Dembski dazu. Im Pariser Institut heißt es, man schaue, „dass keine offizielle Propaganda stattfindet.“ Themen wie die Taiwan- oder Tibetfrage allerdings werden nicht behandelt. Die Institutsmitarbeiter verweisen darauf, dass China viel mehr als diese beiden Themen zu bieten habe. Ebenso wird argumentiert, dass auch die Goethe-Institute vom Auswärtigen Amt finanziell abhängig sind. Dies ist in der Sache richtig. Allerdings macht es natürlich einen Unterschied, ob die unterstützende Behörde einen demokratischen oder autoritären Staat repräsentiert und wie unabhängig die Institute in ihrer Programmarbeit sind.
Jörg-M. Rudolph vom Ostasieninstitut der Fachhochschule Ludwigshafen fände es „eigenartig, wenn man aufgrund der Zusammenarbeit mit den Chinesen bestimmte Leute nicht einlädt oder gewisse Themen deshalb auslässt, weil man fürchtet, die Chinesen könnten dann böse werden.“ Rudolph, im Jahr 1997 Gründungspräsident der Außenhandelskammer in Peking, weiß um das Verhalten des Westens mit China. „Wirtschaft ist feige und schleimig, das ist ja legitim. Aber wenn das jetzt auch im Kulturbereich so ist, dann wäre das schon sehr bedenklich.“ Nicht zuletzt deshalb gibt es auch Institutionen, die sich gegen ein Konfuzius-Institut entschieden haben. „Wir arbeiten mit zahlreichen chinesischen Universitäten und Wissenschaftlern zusammen“, erklärt Mette Halskov Hansen, Sinologieprofessorin an der Universität Oslo. „Allerdings glauben wir nicht, dass die Gründung eines Konfuzius-Instituts der beste Weg wäre, gute akademische Beziehungen zu chinesischen Einrichtungen und Dozenten zu schaffen.“
So erscheint die Kulturoffensive aus Fernost ambivalent. Es ist legitim, dass China das Bild das die Welt vom Reich der Mitte hat, selbst mitgestalten will. In erster Linie vermitteln die Institute die chinesische Sprache und treffen damit derzeit ohne Frage einen globalen Nerv. „Was allerdings die Kulturvermittlung betrifft, bin ich zurückhaltend“, erklärt François Jullien. Der französische Sinologe und Philosoph ist der Ansicht, dass in den Instituten vor allem kulturelle Klischees dargestellt werden, die der komplexen chinesischen Zivilisation nicht gerecht werden.
In den international geltenden Bestimmungen der chinesischen Nationalen Staatlichen Leitungsgruppe für Chinesisch als Fremdsprache (Hanban) in Peking heißt es, dass die Institute in keinerlei „politische, religiöse, ethnische oder ähnliche Aktivitäten“ involviert sein sollten. Duan Yi, der bei Hanban für die europäischen Institute zuständig ist, will zwar nicht für die gesamte Einrichtung sprechen, ist aber der Ansicht, dass die Institute „Kommunikation ermöglichen sollen, die die Basis für jegliche Art von Debatte bilden sollte.“ Dafür vermitteln die Institute neben der Sprache auch Wissen über das gegenwärtige China. Und dies, so Duan, umfasse auch „die Realitäten und Perspektiven der Volksrepublik.“ Diese Aussagen verdeutlichen, dass im Umgang mit China mehr möglich ist, als oft angenommen wird. Was innerhalb der Vorgaben möglich ist und was nicht, werden die einzelnen Institute jeweils ausloten können. Dabei sollte der Westen keinesfalls in einen vorauseilenden Gehorsam verfallen, der in letzter Instanz die Glaubwürdigkeit der Institute infrage stellen dürfte.
Die Konfuzius-Institute sind Teil einer global angelegten Strategie der chinesischen Führung, die Wahrnehmung des Landes in der Welt positiv zu prägen. Seit einigen Jahren propagiert Peking den „friedlichen Aufstieg“ der Volksrepublik. Dieser wird nun unter anderem mit ersten Ansätzen einer Auswärtigen Kulturpolitik unterfüttert. Dafür wird auch der zunächst innenpolitisch konzipierte Ansatz, eine „harmonische Gesellschaft“ aufzubauen, global ausgeweitet. China setzt sich für eine „harmonische Welt“ ein. „Da das Land keine Exportschlager wie Menschenrechte oder Demokratie hat, konzentriert es sich auf die Harmonie“, erklärt Zheng Yongnian von der Universität Nottingham die Strategie, die zunehmend von einer Softpower-Politik bestimmt wird.
Diese chinesische Auswärtige Kulturpolitik kann positiv oder negativ bewertet werden – klar ist, dass China auch auf diesem Gebiet selbstbewusst und mit eigenen Vorstellungen auf der internationalen Bühne agiert. Euro- pa wird nicht umhinkommen, sich damit auseinanderzusetzen. Es ist logisch, dass sich ein vom chinesischen Staat konzipiertes Kulturinstitut nicht für die Unabhängigkeit Taiwans einsetzen wird. Ein Tabu sollten und müssen solche Themen trotz alledem nicht sein. Schließlich gibt es auch eine offizielle chinesische Meinung zu Taiwan, Tibet und den Menschenrechten.
Gelänge es, die im Westen genau beobachteten Themen unter Einbeziehung der offiziellen chinesischen Sichtweise darzustellen, könnten die Konfuzius-Institute einen beachtlichen Beitrag zur Verständigung zwischen China und der Welt leisten. Würden zum Beispiel ein Falungong-Anhänger und ein chinesischer Offizieller darüber diskutieren, ob Falungong eine Sekte ist oder nicht, würde dies zwar nicht unbedingt die Harmonie fördern, gewiss aber den Erkenntnisgewinn und den Dialog mit China. Die Auseinandersetzung ist also nicht einfach, aber durchaus lohnend.