Kunst | Afghanistan

„Ich musste meine eigenen Kunstwerke zerstören“

Die Afghanin Salwa Rahen erzählt, wie die Machtübernahme der Taliban ihre Existenz als Künstlerin bedroht. Ein Gespräch
Aus einer kalkfarbigen Masse sind Vögel und eine mit Burka verschleierte Frau in 3D geformt. Der Hintergrund ist hellbraun.

Dieses Kunstwerk existiert nicht mehr. Eine Freundin von Salwa Rahen fotografierte es während einer Ausstellung im Jahr 2021. Rahen selbst sah sich gezwungen, alle Fotos ihrer Kunstwerke zu löschen

Frau Rahen, Sie arbeiten als bildende Künstlerin in Kabul. Worum geht es in Ihrer Arbeit?

Ich stelle Skulpturen her, hauptsächlich aus Holz und Stoffen, und ich zeichne. Die meisten meiner Werke befassen sich mit Frauenrechten, denn unsere Situation in Afghanistan ist extrem schwierig, und sie wird immer schlimmer. Viele meiner Bilder zeigen Frauen, was jetzt zum Problem wurde.

Warum?

Die neue Regierung hat es auf jegliche Form von Kunst abgesehen, die Menschen abbildet, und Frauen scheinen gleich doppelt schlimm zu sein. Wenn die Taliban herausfinden, dass man weiterhin Kunst produziert oder auch Musik macht, wird man verfolgt. Es ist sehr gefährlich, im Jahr 2022 in Afghanistan Künstlerin zu sein. Deshalb musste ich meine Werke mit meinen eigenen Händen zerstören.

Wie kam es dazu?

Nach der Machtübernahme der Taliban haben befreundete Künstlerinnen und ich immer wieder von Kunstschaffenden gehört, die ermordet wurden. Das hat uns sehr verstört. Natürlich wollte ich nicht erwischt werden. Und ich wollte kein Risiko für meine Familie sein. Eines Tages erfuhr ich über die sozialen Medien, dass die Taliban Häuser in unserer Nachbarschaft durchsuchten. So schnell, wie wir konnten, haben mein Bruder und ich daraufhin alles vernichtet: alle Bilder und Skulpturen, die sich in unserem Haus befanden, haben wir zerrissen und zerstört. Die Reste haben wir unter dem Hausmüll versteckt. Wir mussten uns so sehr beeilen, dass ich nicht einmal mehr Fotos von allen Stücken machen konnte. Als die Taliban unser Haus erreichten, konnten sie nichts mehr finden.

Was haben Sie in dieser Situation gefühlt?

Das war extrem schmerzhaft. Es braucht ja sehr viel Zeit, um Kunstwerke zu schaffen. Und in ihnen stecken viele Emotionen. Als ich meine Bilder und Skulpturen vernichtete, fühlte es sich so an, als ob ich damit auch meine Ideen auslöschte. Jetzt erscheint mir alles so hoffnungslos. Ich darf nicht mehr künstlerisch tätig sein, ich kann nicht mehr ausstellen, ich bin sogar arbeitslos. Denn vor der Machtübernahme verkaufte ich viele meiner Werke und ich unterrichtete Kinder und Jugendliche im Zeichnen. All das ist jetzt nicht mehr möglich. Wenn ich dem Drang zu malen gar nicht mehr widerstehen kann, dann male ich in aller Eile ein Bild – und zerstöre es direkt wieder.

Gibt es noch irgendeine Möglichkeit, künstlerisch tätig zu sein?

Ja, einige Künstler arbeiten weiterhin, aber sie dürfen nur noch Werke herstellen, die mit dem Islam zu tun haben, etwa islamische Symbole. Für mich funktioniert das nicht. Ich bin Künstlerin, weil ich mit meiner Kunst meinen Gefühlen und Gedanken Ausdruck verleihe. Kunst ist für mich Freiheit. Und die gibt es im heutigen Afghanistan nicht mehr.

Das Interview führte Gundula Haage