Demokratie | Taiwan

Im Zweiparteienstaat

Die Kuomintang und die Demokratische Fortschrittspartei sind in Taiwan die einzigen beiden Volksparteien. Wofür stehen sie? Zwei Delegierte berichten aus ihrem politischen Leben

Eine Collage aus zwei Porträts in schwarz-weiß. Links Herr Lin, ein junger Mann im Anzug mit weißem Hemd und Brille. Er hat die Arme verschränkt und schaut in die Kamera. Links Frau Wu, sie hat langes schwarzes Haar und lächelt in die Kamera.

Links: Chia-Hsing Lin, rechts: Pei-Yi Wu

Lin Chia-Hsing, Kuomintang (KMT)

Es war ein Zufall, dass ich begonnen habe, mich für eine politische Laufbahn zu interessieren. Ich habe Politikwissenschaften und Geschichte an der Chengchi Universität in Taipeh studiert und wurde dort Zeuge von Korruption in einer Studentenvereinigung. Keiner wollte das Problem angehen, also trat ich der Studentenvereinigung selbst bei und wurde später zum Vorsitzenden gewählt. Nachdem ich irgendwann zurücktrat, wurde ich von Vertretern der Jugendliga der KMT gefragt, ob ich beitreten wolle.

Zu dieser Zeit war ich kein großer Fan der KMT. Ich dachte, die Parteimitglieder seien alle alt und korrupt. Aber die Leute, die sich an mich wandten, wollten andere junge Leute zusammenbringen, um die KMT von innen heraus zu verändern. Deshalb trat ich bei. Wir sind anders als der Rest der Partei, zum Beispiel, weil wir uns als erste Mitglieder der Organisation für die gleichgeschlechtliche Ehe ausgesprochen haben.

Für mich steht die KMT dafür, dass sie den Status quo in Taiwan und die Stabilität in der Region sichert. Anders als früher konzentrieren sich die meisten Parteimitglieder nicht mehr nur auf unsere Verbindungen zu Festlandchina, aber einige von uns, so auch ich, halten noch immer an der Idee fest, dass wir eines Tages wieder mit dem chinesischen Volk vereint sein könnten, sollte China irgendwann offen, transparent und demokratisch sein.

Wenn man die Politik Taiwans beobachtet, dann ist die Generation eine viel wichtigere Bezugsgröße als partikulare Identitäten. Meine Generation ist zum Beispiel die sogenannte Sonnenblumen-Generation und steht im Allgemeinen eher auf der Seite der Demokratischen Fortschrittspartei (DFP). Viele Menschen in meinem Alter haben eine eher chinafeindliche Einstellung.

„Taiwan ist wie ein Sandwich mit verschiedenen politischen Schichten“

Die jüngeren Generationen sehen China jedoch schon wieder positiver, auch weil sie über TikTok und in Form von YouTube-Videos viel chinesische Unterhaltung konsumieren. Auch die Generation meiner Eltern, also die über Fünfzigjährigen, gilt ebenfalls als eher chinafreundlich, weil sie sich vor allem auf das Wohlergehen der taiwanischen Wirtschaft konzentriert. Sie wünscht sich gute Handelsbeziehungen mit China ohne militärische Konflikte. Taiwan ist also wie ein Sandwich mit verschiedenen politischen Schichten.

Ich bin aber zuversichtlich, dass wir die jüngeren Generationen von unserer Partei überzeugen können. Nicht umsonst haben wir 2022 bereits die Kommunalwahlen für uns entscheiden können. Geht es nach mir, dann muss sich die KMT vor allem mit der Vergangenheitsbewältigung beschäftigen. Wir sind jedoch auch der Meinung, dass die aktuelle DFP-Regierung auf diesem Gebiet sehr schlechte Arbeit leistet. Sie benutzt die Vergangenheit der KMT als politischen Vorwand, um die Partei anzugreifen.

Zum Beispiel hat die DFP drei verschiedene Regierungsorganisationen gegründet, die sich nur darauf konzentrieren, wie man KMT-Eigentum und unsere Archive beschlagnahmen kann. Das ist keine Gerechtigkeit, das ist legalisierter Raub. Wer gibt ihnen die Macht zu sagen, wer unter der Herrschaft von Chiang Kai-Shek schuldig war und wer nicht?

„Wir sind bereit, über die historische Wahrheit zu diskutieren, aber nicht, wenn es nur darum geht, uns als Partei zu diskreditieren“

Es wäre sicher auch möglich, Menschen mit unterschiedlichen politischen Hintergründen zu erfassen – und nicht nur KMT-Mitglieder. Kürzlich kam etwa heraus, dass einer der DFP-Abgeordneten in seiner Schulzeit heimlich für die KMT-Regierung gearbeitet hatte. Wir sind bereit, über die historische Wahrheit zu diskutieren, aber nicht, wenn es nur darum geht, uns als Partei zu diskreditieren.

Die größte Herausforderung für Taiwan sind meiner Meinung nach die zunehmenden geopolitischen Spannungen zwischen den USA und China. Unser zweitgrößtes Problem ist die niedrige Geburtenrate. Tatsächlich werden nirgendwo sonst auf der Welt weniger Kinder geboren als in Taiwan. Unserer Wirtschaft mangelt es deshalb an Arbeitskräften und die DFP-Regierung hat bislang keinen guten Weg gefunden, um das Problem zu lösen.

Die Gründe für die niedrige Geburtenrate sind vielfältig. Kinder auf die Schule zu schicken wird beispielsweise immer teurer und junge Menschen können sich auch kaum noch Häuser kaufen, weil die Preise stark gestiegen sind. Selbst ich kann mir das mit meinem überdurchschnittlichen Gehalt nicht erlauben. Die Generation unserer Eltern konnte problemlos ein Kind großziehen. Wir können uns nur noch eine Katze oder einen Hund leisten.

Lin Chia-Sing, 1991 in Taipeh geboren, ist stellvertretender Direktor des Komitees für Kultur und Kommunikation und Direktor des Parteiarchivs für Parteigeschichte.


Wu Pei-Yi, Demokratische Fortschrittspartei (DFP)

Meine Eltern sind beide Grundschullehrer und ich bin die erste Person in meiner Familie, die eine politische Laufbahn eingeschlagen hat. Als ich mich dazu entschloss, befand sich Taiwan gerade in einer besonderen Zeit. 2014 begannen die Proteste der Sonnenblumen- Bewegung. Auslöser war ein Abkommen zwischen Taipeh und Peking, das die taiwanisch-chinesischen Verbindungen noch weiter vertiefen sollte.

Viele junge Menschen waren jedoch dagegen, weil sie fürchteten, dass das Abkommen Taiwans nationale Sicherheit untergraben würde. Auch ich schloss mich der Sonnenblumen-Bewegung damals aus diesem Grund an.

„Ich weiß, wie zerbrechlich die Demokratie ist, insbesondere angesichts der Bedrohung durch China“

Weil ich während des Demokratisierungsprozesses in Taiwan aufgewachsen bin, weiß ich, wie schwer es für uns war, eine demokratische Gesellschaft zu werden; und ich weiß auch, wie zerbrechlich die Demokratie ist, insbesondere angesichts der Bedrohung durch China.

Die DFP ist für mich die Partei, die unsere demokratischen Grundwerte und unsere demokratische Lebensweise schützt. Das heißt aber nicht, dass wir uns nur auf die Beziehung zu China konzentrieren sollten. Als Politikerinnen und Politiker müssen wir für unsere Wählerinnen und Wähler alle Aspekte des Lebens, also auch Bildung, Kultur und Kunst, in den Blick nehmen. Ich selbst wurde 2018 zum ersten Mal in den Stadtrat von Taipeh gewählt. Ich war das jüngste Mitglied überhaupt.

Jetzt möchte ich mehr junge Menschen in die Politik einbinden, denn wenn die junge Generation stark ist, kann auch Taiwan stark sein. Trotzdem ist es natürlich sehr herausforderend, als junger Mensch in der Politik zu arbeiten. Denn wenn man eine Wahl gewinnen will, dann muss man sich lokal einbringen. Den Menschen hier ist das persönliche Gespräch wichtig. Deshalb muss man in Tempeln, Gemeinden, Schulen und Parks auftauchen.

„Nur zwei große Parteien zu haben macht es schwieriger, einen funktionierenden Diskurs zu führen“

Zudem gibt es immer noch viele ältere Menschen, die uns Jüngeren nicht vertrauen – und gerade gegenüber Frauen gibt es hier tief in den Köpfen der Menschen noch Vorurteile, denke ich. Auch wenn wir heute eine weibliche Präsidentin haben, werden die Fähigkeiten von Politikerinnen ab und zu noch angezweifelt. Dabei muss man aber bedenken, dass Taiwan noch eine sehr junge Demokratie ist und die ersten Präsidentschaftswahlen weniger als dreißig Jahre zurückliegen.

Nur zwei große Parteien zu haben, macht es manchmal schwieriger, einen funktionierenden Diskurs zu führen. Im vergangenen Jahr gab es hier zum Beispiel ein Referendum zur Senkung des Wahlalters von zwanzig auf 18 Jahre. Dieser Vorschlag wurde leider nicht angenommen, weil die KMT den Volksentscheid nutzte, um Stimmung gegen uns zu machen. Das passiert auch in vielen anderen Politikbereichen, in denen sich die beiden Parteien erbittert gegenüberstehen.

Wir setzen uns als DFP beispielsweise sehr stark für die politische und juristische Aufarbeitung der Zeit unter dem früheren Diktator und KMT-Führer Chiang Kai-Shek ein. Denn dieser wird hierzulande von vielen Menschen noch immer als Nationalheld bezeichnet und mit Statuen geehrt – und die Denkmäler sind meiner Meinung nach bei Weitem nicht alle Überbleibsel, die aus der autoritären Vergangenheit unseres Landes zurückgeblieben sind. Viele Anhänger der KMT sehen das jedoch anders.

Wu Pei-Yi, 1987 in Keelong geboren, sitzt im Stadtrat von Taipeh. Sie ist seit zehn Jahren in der Politik tätig.

Protokolliert und übersetzt von Lena Fiedler