„Willst du mich töten?“

ein Gespräch mit Krzysztof Dobrowolski

Toleranz und ihre Grenzen (Ausgabe III/2007)


Sie unterrichten Toleranz gegenüber Homosexuellen an Schulen. Ist der Toleranzunterricht an holländischen Schulen Pflicht?

Die holländische Regierung sagt, alle Schulen im Land sollten Homosexualität im Unterricht thematisieren. Viele Schulen hier in Amsterdam und in der Nähe von Amsterdam laden dafür gerne unsere Organisation ein. Im Jahr machen wir etwa 4.000 Schulbesuche. Über die vielen Jahre, die es diese Stunden schon gibt, haben sich gute Kontakte zwischen Schulen, Lehrern und unseren Mitarbeitern entwickelt. Es gibt viele Lehrer, die Jahr für Jahr dafür sorgen, dass wir in ihren Unterricht kommen und Toleranzstunden geben. Leider müssen die Schulen aber keine Toleranzkurse anbieten.

Was passiert in diesen Stunden?

Wir gehen immer zu zweit oder zu dritt, Frauen und Männer zusammen, damit beide Seiten der Homosexualität beleuchtet werden. Wir stellen uns vor und fordern die Jugendlichen auf, das erste Wort zu sagen, das ihnen in den Sinn kommt, wenn sie „Homosexualität“ hören. Das kann der Name einer bekannten Persönlichkeit sein. Manche sagen: „abstoßend“, „mein Nachbar“ oder: „verboten in der Bibel und dem Koran“. Wir schreiben dann die Wörter an die Tafel. Danach diskutieren wir mit der Klasse über das, was uns auffällt. Zum Beispiel steht keine einzige Frau an der Tafel. Die meisten Schüler denken bei Homosexualität nur an Männer. „Sex“ steht auch nicht an der Tafel. Wenn man in einer Klasse vor Schülern steht, die alle 15 Jahre alt sind, ist es unmöglich, dass keiner an Sex denkt. Sie trauen sich aber nicht, es zu sagen. Wir aber wollen, dass in der Klasse alles gesagt werden kann, was die Schüler über Homosexuelle, also über uns, denken und empfinden. Das Gespräch darüber ist ein wichtiger Teil des Kurses. Der zweite Teil ist die persönliche Erzählung. Ich erzähle dann, wie ich entdeckt habe, dass ich schwul bin. Wie ich es meinen Eltern gesagt habe, und wie meinen Freunden. Wie meine Umgebung darauf reagiert hat. Wie ich jetzt lebe. Warum ich verheiratet bin.

Wie reagieren die Jugendlichen?

Sehr verschieden. In höheren Schulen, die auf die Universität vorbereiten, sind die Schüler ganz offen. Sie können abstrakt denken. Das ist für uns nicht immer ein Pluspunkt, weil wir über Gefühle sprechen wollen, und die sind nicht abstrakt. Es ist nicht leicht, diesen Jugendlichen zu entlocken, was ihnen tief in ihrem Inneren vielleicht doch nicht passt. Zum Beispiel finden sie oft, dass es nicht gut ist, wenn zwei Männer ein Kind haben, denn da fehle ja eine Mutter.

Wirkt sich die ethnische Herkunft der Jugendlichen auf ihre Toleranzfähigkeit aus?

Leider gibt es in Amsterdam und den großen Städten einen Unterschied zwischen den sogenannten – ich hasse das Wort – schwarzen und weißen Schulen. Eine „weiße Schule“ ist eine Schule mit lauter holländischen Kindern. Eine „schwarze Schule“ unterrichtet überwiegend Kinder ausländischer Herkunft, und das sind in diesem Land vor allem Surinamer, Türken, Marokkaner und Antillianer. Dazwischen gibt es auch noch Schulen, die gemischt sind. Zum Glück! Das sind mir die liebsten. Die Kinder in den „schwarzen Schulen“, die aber auch schon hier geboren sein können, sind einerseits ehrlicher. Sie sagen schneller, dass sie etwas gegen Homosexuelle haben. Andererseits sind das auch die Schulen, wo wir Intoleranz erwarten und uns stärker darauf vorbereiten. Und sie ist auch da.

Welche Rolle spielt der religiöse Hintergrund der Jugendlichen?

Es gibt Dörfer in den Niederlanden, wo die christliche Religion sehr wichtig ist und wo Homosexuelle nicht akzeptiert werden. Hier in Amsterdam gibt es dieses Problem aber vor allem mit dem Islam. Es sind die muslimischen Kinder, die Homosexualität nicht oder schlecht akzeptieren. Aber das ist nur ein Gesamtbild. In diesem Gesamtbild gibt es viele Unterschiede. Zum Beispiel gibt es durchaus Mädchen mit Kopftuch, die sagen: „Der Koran verbietet zwar Homosexualität, aber ich habe kein Problem damit.“ Es gibt auch muslimische Jugendliche, die sehr gut in einer Toleranzstunde mitmachen, die mitdiskutieren, die auch offen sind für andere Meinungen. Wir wissen ganz genau, dass es unmöglich ist, in fünfzig Minuten bei Jugendlichen Einstellungen zu verändern. Eine Diskussion ist schon viel, denn für diese Jugendlichen sind wir oft die ersten Homosexuellen, die sie erleben, die mit ihnen reden und Antworten geben auf ihre Fragen.

Wie gehen Sie mit persönlichen Beleidigungen um?

Wenn ich in einer Klasse sitze und eine Toleranzstunde abhalte, bin ich nicht Krzyzstof. Ich bin irgendein Schwuler. Wenn ich zu hören bekomme, dass Schwule eigentlich abstoßende Wesen sind, die sofort sterben sollten, bin ich nicht persönlich beleidigt. Ich frage dann: „Warum? Warum denkst du das? Woher hast du das? Bist du schon einmal einem Schwulen begegnet? Heißt das, dass du schon einmal einen Schwulen ermordet hast? Möchtest du auch mich ermorden?“ – „Nein, nein! Gar nicht. Sie nicht“, ist dann die Antwort. Sie können mich persönlich nicht beleidigen. Ich reagiere mit Fragen. Auf der Straße würde ich das vielleicht nicht tun. Da bin ich Krzyzstof. Das ist da eine ganz andere Sache.

Wo ist die Intoleranz größer, im Christentum oder im Islam?

Ich denke nicht, dass die eine oder andere Religion an sich mehr oder weniger intolerant ist. Die Menschen sind es. Ich sehe das sowohl in Polen als auch bei den Marokkanern hier in Amsterdam. Die Leute, die von Homosexualität kaum etwas wissen, die keinen Schwulen kennen, die blöde Ideen über Homosexualität in ihren Köpfen haben, sind intolerant. Wenn man aber einen Homosexuellen kennenlernt, wie bei unseren Toleranzstunden, kann sich etwas verändern. Viele Holländer haben nach den Morden an Pim Fortuyn und Theo van Gogh gedacht, dass der ganze Islam eine schlechte Religion sei, und eine grausame Kultur, aber sie wissen genauso wenig darüber, wie viele Homophobe über Homosexualität wissen. Wir versuchen deshalb in unseren Toleranzstunden, Islamophobie und Homophobie miteinander zu verbinden. Wir stellen sie auf die gleiche Stufe.

Können Sie sich in den Niederlanden eine multikulturelle Gesellschaft vorstellen, in der Homosexualität toleriert oder besser noch akzeptiert wird?

Die ist schon da, wenn auch nicht überall. Ich ringe in einem schwulen Sportverein. Mein Trainer ist ein Marokkaner, heterosexuell. Er hat eine Frau und zwei Kinder. Er hat keine Probleme, mit Schwulen zu ringen. Und Ringen ist ein Sport, bei dem man sich körperlich sehr nahe kommen muss.

Wie sehen Sie die Situation für Homosexuelle in Polen heute?

Vielleicht werde ich etwas Überraschendes sagen: ganz gut. Vor einigen Jahren noch wurde in Polen überhaupt nicht über Homosexualität geredet. Politisch spielte Homosexualität keine Rolle. Jetzt gehen die Leute auf die Straße, um zu demonstrieren, sowohl für Toleranz gegenüber Homosexuellen als auch gegen diese Toleranz. Und das finde ich einen großen, einen riesengroßen Schritt in die richtige Richtung.

Würden Sie Toleranz gegenüber Homosexualität gerne auch an polnischen Schulen unterrichten?

Unser polnischer Bildungsminister hat versucht, Professoren ein Dokument unterzeichnen zu lassen, in dem sie bestätigen, dass sie nicht schwul sind. Es wird also nicht einfach sein, in den polnischen Schulen offen über Homosexualität zu sprechen, aber ich weiß durch Freunde, dass es im Rahmen eines allgemeinen Toleranzunterrichts manchmal schon passiert.

Warum tun Sie diese Arbeit?

Ich habe 1998 damit angefangen, weil ich selber als Schüler so eine Stunde gebraucht hätte. Ich wollte zeigen, dass es kein Problem ist, schwul zu sein, dass ein Coming-out nicht schwer sein muss. Heute mache ich diese Arbeit, weil ich finde, dass Jugendliche etwas über Homosexualität wissen sollten. Viele bekommen das nicht von zu Hause aus mit. Es ist sehr wichtig, dass sie einen echten Schwulen und eine echte Lesbe vor sich haben, die ihre Fragen beantworten. Diese direkte Konfrontation kann ein Lehrer nicht leisten. Ich versuche Akzeptanz zu säen. Das ist meine Motivation.

Was bedeutet Ihnen Toleranz?

Nicht viel. Als ich siebzehn Jahre alt war, fand mein Vater heraus, dass ich schwul bin, und er sagte: „Ich toleriere es, aber ich akzeptiere es nicht“. Toleranz heißt also: „Na gut, du bist schwul, und ich kann nichts dafür, aber eigentlich finde ich es abstoßend“. Das ist für mich Toleranz, und das ist ein bisschen wenig, vor allem wenn es um Familie, um Freunde, um meine Nachbarn geht.

Das Interview führte Karola Klatt



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