Deutsche Unternehmen investieren dem Kulturkreis der deutschen Wirtschaft zufolge rund 400 Millionen Euro pro Jahr in Kunst und Kultur. Warum tun sie das?
Die Motive unterscheiden sich ebenso wie die geförderten Programme. Das Motiv des alten Mäzens steht neben strategischen Überlegungen. In eigentümergeführten Firmen spielen die persönlichen Interessen des Eigners oft eine wichtige Rolle. Bei Kapitalgesellschaften gewinnen Fragen des Imagetransfers, der Pflege von Kundenbeziehungen und der Reputation an Bedeutung. Immer mehr Unternehmen sehen sich in einer Ökonomie der Aufmerksamkeit. Und Kultur schafft Sichtbarkeit für Unternehmen.
Engagement vor allem als unternehmerisches Kalkül – klingt das nicht zynisch?
Die Anfänge der heutigen Corporate Social Responsibility, kurz: CSR, reichen bis in die frühen 1970er-Jahre zurück. Skandale erschütterten den Glauben an die Harmonie zwischen Gemeinwohl und Unternehmenserfolg. Die offensichtliche Allgegenwart „externer Effekte“ löste eine Legitimationskrise aus. Bereits auf dem Weltwirtschaftsforum 1973 in Davos bekannten sich die versammelten Spitzenmanager zur gesellschaftlichen Verantwortung und verabschiedeten einen Verhaltenskodex: „Das Management muss der Gemeinschaft dienen!“ Im deutschen Sprachraum wird seitdem intensiv über das Verhältnis von Ethik und Wirtschaft diskutiert. Vom anglo-amerikanischen Raum aus gab es eine unternehmensseitige Antwort auf diese Fragestellung, die später auch in Europa wichtiger wurde: die Selbstverpflichtung der Unternehmen, Verantwortung für ökologische, kulturelle und soziale Belange zu übernehmen. Manchmal ist unternehmerische Verantwortung in ein aufgeklärtes Verständnis von Markt und Ökonomie eingebettet, manchmal ist sie einfach kommunikationsstrategisch motiviert.
Haben die Unternehmen diese Selbstverpflichtung umgesetzt?
Die vielen Aktivitäten auf kulturellem, sozialem und ökologischem Gebiet beeindrucken natürlich. Das konkrete Engagement vieler Unternehmen füllt jährlich einen dicken Bericht. Der aktuelle Korruptionsskandal etwa bei Siemens zeigt aber auch, dass eine lange Liste von CSR gleichzeitig mit organisierter Unverantwortlichkeit einhergehen kann. Es reicht nicht, dass sich Unternehmen mit kecken Projekten zu ihrer Verantwortung bekennen. Sie müssen den systematischen Vorrang der politischen Ordnung akzeptieren.
Schauen wir zu Ford: Ein Unternehmen stellt Mitarbeiter bis zu zwei Tage pro Jahr frei, um sich sozial oder kulturell zu engagieren. Ist das eine typisch amerikanische Variante der CSR?
Unter der Bezeichnung Corporate Volunteering kommen solche Programme aus Amerika. Dort zielen die Programme auf den persönlichen Einsatz im direkten Umfeld. Sie verbinden die amerikanische Tradition des Kommunitarismus mit dem Glauben an das Unternehmertum. Corporate Volunteering steht neben anderen CSR- Aktivitäten. Aber auch europäische Firmen haben schon immer Mitarbeiter für Gemeinwohl-orientiertes Engagement freigestellt. Im Vergleich zu anderen Corporate-Volunteering- Programmen fällt das Projekt bei Ford auf, weil das Unternehmen gleichsam eine Rahmenvereinbarung mit einem sozialen Träger geschlossen hat. Ob jedoch ein Automobilunternehmen tatsächlich dafür verantwortlich ist, Mitarbeiter als Kulturbegleiter einzusetzen, kann man sicher diskutieren.
In den 1980er-Jahren war Sponsoring im Kulturbereich noch verpönt. Hat sich der Kulturbereich durch die Geldgeber aus der freien Wirtschaft verändert?
Kulturprogramme werden zunehmend unter dem Gesichtspunkt ihres ökonomischen Nutzenpotenzials konzipiert. Konkret rücken Fragen nach dem kommunikativen Nutzen eines bestimmten Programms in den Vordergrund: Welche Zielgruppen spricht das Programm an? Ist es eine Nachricht wert? Das Zusammentreffen von Extremen dürfte auch eine Folge dieses Kalküls sein.
Können Sie hierfür ein Beispiel nennen?
Ich denke etwa an die Berliner Philharmoniker, die mit benachteiligten Jugendlichen aus Problemkiezen mit Unterstützung einer Finanzinstitution ein paar Stunden musizieren, das Ganze geistert dann als Film durch die Kinos, während gleichzeitig bodenständige Musikschulen finanziell austrocknen. Kommunikationskalküle zielen oft nicht auf Nachhaltigkeit. Allerdings leisten auch öffentliche Förderinstitutionen allzu oft ihren Beitrag zu einer Ökonomisierung des Kultursektors. Was unterscheidet eine öffentliche Ausstellungshalle vom Deutschen Guggenheim? Welchen Unterschied macht die öffentliche Förderung wirklich noch? Vielleicht ist es nur ein Gedankenspiel –aber was würde passieren, wenn die öffentliche Förderung sich auf Felder konzentriert, die überhaupt keine private Förderung finden kann?
Das Interview führte Christine Müller