Es gibt die großen Ozeane, und es gibt Nebenmeere. Das Mittelmeer ist ein Nebenmeer. Und doch ist es zurzeit Hauptschauplatz gewaltiger Umbrüche: An seinen südlichen Küsten wurden im vergangenen Jahr die Despoten Ben Ali, Mubarak und Gaddafi gestürzt. In Syrien dauert die Rebellion gegen Assad an, ihr Ausgang ist ungewiss. Die europäischen Länder am nördlichen Mittelmeer kämpfen hingegen mit den Folgen von Schulden und Finanzkrise.
In der gesamten Region sind es die jungen Menschen, die gegen verkommene Systeme und fehlende Zukunftsperspektiven protestieren. Im vergangenen Jahr waren in Spanien 46 Prozent der unter 25-Jährigen arbeitslos, in Griechenland 44 Prozent und in Nordafrika knapp 28 Prozent, schreibt der Kulturwissenschaftler Claus Leggewie. Kein Wunder also, dass viele wegwollen und dass aus den nordafrikanischen Ländern die Boote ablegen, mit denen Flüchtlinge das krisengeplagte, aber immer noch verheißungsvolle Europa ansteuern. Es ist zutiefst inhuman, wie die Europäische Union, also wir, mit den Menschen verfährt, die hier buchstäblich um ihr Leben schwimmen. Über konkrete Hilfe und darüber, welche Konsequenzen sie nach sich ziehen kann, sprechen der tunesische Fischer Abdelbasset Zenzeri und Lorenzo Pezzani vom Projekt "Forensic Oceanography", das versucht, Menschenrechtsverletzungen auf dem Meer nachzuweisen.
Wir erzählen in diesem Heft aber auch von den unterschiedlichen Kulturen im mediterranen Raum. "Ihre Ähnlichkeit verdanken sie dem gemeinsamen Meer", schreibt der kroatische Autor Predrag Matvejević, "die Unterschiede sind bedingt durch Herkunft, Religionen, Geschichte." Tahar Ben Jelloun berichtet, welche Erinnerungen Frankreich und die Länder des Maghreb teilen. Und Elif Şafak und Ashur Etwebi führen uns in zwei große Metropolen des Mittelmeers: nach Istanbul und Tripolis.