Literatur | Südafrika

„In Südafrika sind Bücher fast unerschwinglich“

Das Versprechen eines neuen Südafrika hat sich nicht erfüllt: Der südafrikanische Autor Damon Galgut über psychologische Mechanismen der Apartheid und die fortbestehende Ungleichheit
Ein Mann mittleren Alters schaut in diesem Porträt von unten in die Kamera. Er hat eine fliehende Stirn und trägt ein Jackett über dem blauen Hemd. Sein Gesichtsausdruck ist freundlich

Der südafrikanische Autor und Booker-Preisträger Damon Galgut

Interview von Jess Smee

Mit Ihrem Booker-Preis und die Verleihung des Literaturnobelpreises an den tansanisch-britischen Autor Abdulrazak Gurnah gewann die afrikanische Literatur 2021 international sehr viel Sichtbarkeit. Wird die neue afrikanische Literatur auch in Afrika immer beliebter?

Viele Verlage haben es sich zur Aufgabe gemacht, neue schwarzafrikanische Autoren in Südafrika zu finden und zu veröffentlichen: Viele jüngere farbige Autoren in Südafrika erzählen jetzt ihre Geschichten. Allerdings ist der Buchmarkt in Südafrika sehr klein, die Verlage haben es schwer und Bücher sind für die meisten nahezu unerschwinglich.

Als ich bei der Verleihung des Booker-Preises über afrikanische Literatur sprach, wandte ich mich nicht nur an westliche Leser und Verleger, als ich zu mehr Offenheit für afrikanische Literatur aufrief. Es war auch ein Aufruf an die afrikanischen Regierungen – aber leider vergebens.
 

„In vielen Ländern Afrikas gibt es gar keine nennenswerte Verlagsbranche“

Von der südafrikanischen Regierung zum Beispiel kam keine Reaktion. Ich wünschte, sie würde die Literatur fördern, indem sie das Verlagswesen subventioniert oder in Bibliotheken investiert. Im Moment gibt die südafrikanische Regierung leider nur Lippenbekenntnisse zur Bekämpfung des Analphabetismus ab.

Ist die Lage in anderen afrikanischen Ländern ähnlich?

In vielen Ländern Afrikas gibt es gar keine nennenswerte Verlagsbranche. Da ist ein Buchhändler jemand, der an einer Straßenecke sitzt und einen wahllosen Haufen Bücher anbietet.

Südafrika, Nigeria und Kenia sind mit Abstand die Vorreiter auf dem Kontinent, was das Verlagswesen angeht – aber im Vergleich zu Europa ist die Branche auch hier sehr kümmerlich.

Gibt es mit den neuen literarischen Stimmen denn auch neue südafrikanische Narrative über die Apartheid?

Um das Jahr 2010, etwa 15 Jahre nach dem Ende der Apartheid, gab es eine große Fülle von Memoiren und Autobiografien, die Geschichten erzählten, die bis dahin nicht gehört worden waren.

Heute jedoch konzentrieren sich jüngere südafrikanische Autoren eher auf den aktuellen Überlebenskampf. Ihre Erzählungen handeln oft von Auseinandersetzungen im Ghetto und dem Versuch, irgendwie über die Runden zu kommen. Es sind fesselnde Geschichten, aber sie sind auch voller Trauer und Verzweiflung.

„Wir leben immer noch mit einer krassen wirtschaftlichen Apartheid“

Weiße Autoren schreiben im Allgemeinen eher abstrakt, vielleicht aus Schuldgefühlen oder um den Fokus von den aktuellen Bedingungen weg zu lenken. Ich glaube, wir alle würden das Thema Apartheid gerne hinter uns lassen, weil es ja eigentlich vorbei sein sollte. Tatsache ist jedoch, dass wir immer noch mit einer krassen wirtschaftlichen Apartheid leben.

In Ihrem Buch „Das Versprechen“ geht es um eine weiße Familie während und nach der Apartheid. Haben Sie die Verantwortung, diesen speziellen Abschnitt der Geschichte korrekt darzustellen, als Last empfunden?

Die Veränderungen, die in dem Buch beschrieben werden, fanden während meines Erwachsenenlebens statt - in einer Zeit, in der ich mir des politischen Geschehens und persönlicher Beziehungen sehr bewusst war. Ich brauchte nicht zu recherchieren, ich kannte all das ja aus eigener Erfahrung, also spürte ich keine besonders große Verantwortung.

Wenn ich meine moralische Empörung einmal beiseite lasse, ist das Thema für einen Autor wie mich sehr dankbar, denn es bietet reichhaltiges Material. Die Themen, die Südafrika für einen Schriftsteller bereithält, sind tiefgründig und wirkmächtig.

Warum haben Sie sich entschieden, die Perspektive von Salome, der schwarzen Dienerin, der zu Beginn des Romans ein Haus versprochen wurde, nicht einzubeziehen? Sie ist doch eine Schlüsselfigur.

Meine Entscheidung, das Innenleben der schwarzen Figuren wegzulassen, habe ich getroffen, weil deren Innenleben im Bewusstsein der weißen Südafrikaner nicht wirklich eine Rolle spielt. Und dieser Umstand war einer der wesentlichen Treiber der Apartheid.

Ich wollte diese Abwesenheit zum Ausdruck bringen. Das Schweigen von Salome und den anderen Figuren ist sehr beredt, auf problematische Weise. Viele haben sich an diesem Ansatz gestört, aber interessanterweise nur Nicht-Südafrikaner.

„Meine Entscheidung, das Innenleben der schwarzen Figuren wegzulassen, habe ich getroffen, weil deren Innenleben im Bewusstsein der weißen Südafrikaner nicht wirklich eine Rolle spielte. Ich wollte diese Abwesenheit zum Ausdruck bringen.“

Dagegen habe ich von vielen Leuten, besonders in Pretoria, gehört, wie genau die Darstellung ist. Für mich ist das erfreulich, denn für viele Menschen, die nicht dort oder zu jener Zeit aufgewachsen sind, wirkt es vielleicht übertrieben oder grotesk, ein Mittel, um einen komischen Effekt zu erzielen.

Tatsächlich aber waren die Menschen, die diese Welt bevölkerten, ganz genau so. Das machte das Leben für jeden, der auch nur im Entferntesten empfindsam war, sehr schwer.

Der Titel „Das Versprechen“ bezieht sich auch auf die aktuelle Politik. In Ihrem Buch wird ein großes Versprechen gebrochen, und es werden auch weiterhin Versprechen an das Land als Ganzes gebrochen. Wie beurteilen Sie die Aussichten für Südafrika?

Die Lage ist ziemlich düster. Das Versprechen eines neuen Südafrika hat sich im Allgemeinen einfach nicht erfüllt. Ich glaube nicht, dass irgendjemand ein Geheimnis daraus macht. Vor allem die Landreform in Südafrika geht mit am langsamsten voran und ist politisch höchst brisant.

Am meisten deprimiert mich die wirtschaftliche Lage Südafrikas: Wir könnten jetzt wirklich anders dastehen, wenn die riesigen Summen, die veruntreut wurden, für Bildung oder Wohnungsbau ausgegeben worden wären.

Die ANC-Regierung scheint so sehr in Fraktionskämpfe verwickelt zu sein, dass das Regieren des Landes zweitrangig geworden ist. Den Beteiligten geht es nur um ihre persönliche Bereicherung.

In „Das Versprechen“ geht es auch um aktuelle Themen wie Korruption – wird darüber viel geschrieben?

Ja, und es gibt ein großes Bedürfnis nach Informationen über die Korruption. Das spiegelt sich auch in den hohen Verkaufszahlen von Sachbüchern, die sich mit der Zuma-Regierung, der Korruption des ANC und mit Korruption im Allgemeinen beschäftigen.

„Die ANC-Regierung scheint so sehr in Fraktionskämpfe verwickelt, dass das Regieren des Landes zweitrangig ist“

Die Menschen wollen Informationen, die unter der Apartheid nicht ohne weiteres verfügbar waren. Damals wurden Bücher verboten, Bücher wurden kontrolliert. Das ist heute nicht mehr der Fall. Im neuen Südafrika kann man natürlich sagen, was man denkt. Aber auf die Korruption hat das keinen Einfluss.

Selbst während Covid verschwanden Hilfsfonds, die die Regierung zur Verfügung gestellt hatte. Ich weiß das, weil ich Miteigentümer eines kleinen indischen Restaurants in Kapstadt war. Wir hatten Anspruch auf staatliche Unterstützung für unser Personal – aber wir haben sie nie bekommen. Aus diesem Fonds wurden riesige Summen gestohlen, was der Grund dafür sein könnte, dass unser Unternehmen nicht gerettet wurde.

Vielleicht bietet dieses Thema fruchtbaren Boden für ein weiteres Buch?

Ich hoffe es, denn dieses Restaurant hat mich nur Geld gekostet, und das zu einem Zeitpunkt in meinem Leben, als ich kein Geld hatte! Jetzt, wo dieses Buch in der Welt ist, hat sich zumindest mein persönliches Schicksal verändert. Das ist ein kleiner Lichtblick zum Schluss.

Aus dem Englischen von Caroline Härdter. „Das Versprechen“ von Damon Galgut ist im Luchterhand Verlag in einer Übersetzung von Thomas Moor erschienen.