Literatur | Südafrika

Geschichten vom Kap

Nach dem Ende der Apartheid verschwand die südafrikanische Literatur vom Radar. Vor allem Schwarze Autor:innen erreichten kaum Leser im Ausland. Doch langsam gibt es Abhilfe

Im Januar 2019 schickte mir eine Freundin eine Nachricht aus Yangon, der Hauptstadt von Myanmar, in der sie mich beglückwünschte. Bei einem Spaziergang durch die Straßen von Yangon hatte sie Exemplare meines Buches „Dog Eat Dog“ aus dem Jahr 2004 gesehen, die von einem Straßenbuchhändler zum Verkauf angeboten wurden. Es war aus dem Englischen ins Birmanische übersetzt worden. Voll freudiger Aufregung postete meine Freundin diese Nachricht auf meiner Facebook-Pinnwand.

Daraufhin trudelten bei mir Nachrichten von Freunden ein, die mir sagten, wie sehr sie sich für mich freuten. Nur wenige Bücher Schwarzer südafrikanischer Autorinnen und Autoren, insbesondere aus der Zeit nach der Apartheid, werden außerhalb Südafrikas übersetzt. Und Bücher, die in Bantusprachen wie isiZulu, Xitsonga, Sesotho oder isiXhosa (die in Südafrika von Millionen Menschen gesprochen werden) verfasst wurden, werden leider fast gar nicht übersetzt. 

Neue Leser auf der anderen Seite der Welt

Ich war überwältigt von diesem Lob, wusste aber nicht, wie ich darauf reagieren sollte. Wie sollte ich den Leuten sagen, dass ich die burmesische Übersetzung von „Dog Eat Dog“ nicht gutheiße? Der Grund lag darin, dass ich überhaupt nichts davon gewusst hatte. Ich kontaktierte meinen südafrikanischen Verlag Kwela Books. Die Verlagsmitarbeiter waren ebenso überrascht wie ich, versprachen aber, die Angelegenheit weiterzuverfolgen.

In der Zwischenzeit erhielt ich Nachrichten von Studenten und Wissenschaftlern aus Myanmar. Einige Leser stellten mir Fragen zu „Dog Eat Dog“, da sie sich in einem Seminar über „afrikanische Literatur“ oder „vergleichende Literatur” mit dem Buch befasst hätten. Alle teilten mir mit, sie hätten das Buch großartig gefunden. Mich machte das aber eher wütend als glücklich.

„Mein Buch bekam gute Kritiken von den Lesern in Myanmar, denn viele politische Themen im Buch waren denen in Myanmar frappierend ähnlich“

Zwei Monate später rief mich ein befreundeter südafrikanischer Wissenschaftler an, um mir mitzuteilen, dass er meinen burmesischen Verleger auf einer Konferenz in San Francisco getroffen hatte. Mein Freund stellte den Kontakt her, und wir begannen, uns E-Mails zu schreiben. Ich wollte wissen, warum der Verleger „Dog Eat Dog“ ohne mein Wissen veröffentlicht hatte.

Was ich erfuhr, schockierte mich: In Myanmar galt das internationale Urheberrecht nicht,[1] und die meisten myanmarischen Verleger kümmerten sich nicht um den Kauf von Übersetzungsrechten. Er sagte, er versuche immer, die Rechte zu erwerben, wenn er ein Buch veröffentlichte, aber manchmal könne er den Inhaber der Rechte nicht erreichen. Das Verlagswesen in Myanmar sei überdies kein sehr gutes Geschäft, er habe aber jedes Exemplar von „Dog Eat Dog“ verkauft.

Offenbar bekam mein Buch gute Kritiken von den Lesern in Myanmar, denn viele politische Themen, die ich in dem Buch beschrieb (das im Südafrika des Jahres 1994 spielt), waren denen in Myanmar frappierend ähnlich, zum Beispiel in der Frage, wer Zugang zu Bildung erhält und wie Minderheiten verfolgt werden. Es ist natürlich ein tolles Gefühl, übersetzt und in der ganzen Welt gelesen zu werden, aber ohne Vertrag bekomme ich kein Geld für die vielen Monate der Recherche und des Schreibens. Die birmanische Übersetzung von „Dog Eat Dog“ bedeutet für mich also einen Einkommensverlust.

Südafrikanische Literatur nach der Apartheid

Ich werde oft gefragt, wie die Übersetzungen meiner Werke ohne einen Literaturagenten zustande kommen konnten (wie in der Literaturbranche sonst üblich). Es gibt eine Reihe von möglichen Gründen; einer davon ist auch einfach Glück: Meine ersten Bücher wurden nämlich zu einer Zeit veröffentlicht, als die literarische Welt davon ausging, dass mit dem Zusammenbruch der Apartheid auch die südafrikanische Literatur kollabiert war.

Nach dem Ende der Apartheid hatte das internationale Interesse an südafrikanischer Literatur spürbar nachgelassen. Die zugrundeliegende Annahme ist offenbar, dass die literarische Tradition der südafrikanischen Autoren ihren alleinigen Ursprung im Kampf für die Menschenrechte und gegen die Apartheid hatte. Demnach gäbe es seit der Apartheid nichts Interessantes mehr, worüber es sich zu schreiben lohnt.

Ich teile diese Ansicht nicht. Die Schriftstellergeneration, die seit dem Ende der Apartheid herangewachsen ist, ist sehr vielfältig. Doch bis zum Jahr 2005 konnten nur wenige junge Schwarze Autorinnen und Autoren ihre Werke in Südafrika oder gar international veröffentlichen.

Unsere Werke befassen sich mit wichtigen globalen Themen wie Identitätspolitik, sozialen Machtverhältnissen, Landlosigkeit, Obdachlosigkeit, globaler Erwärmung, Hunger, Rassen- und Genderfragen, Afrophobie, Fremdenfeindlichkeit, geschlechtsspezifischer Gewalt, Korruption und so weiter. Dass die südafrikanischen Schriftsteller der Post-Apartheid-Ära sich mit diesen Themen der Gegenwart auseinander setzen, bedeutet jedoch nicht, dass sie die Vergangenheit hinter sich gelassen haben

„Nach dem Ende der Apartheid hatte das internationale Interesse an südafrikanischer Literatur spürbar nachgelassen. Als gäbe es nichts Interessantes mehr, worüber es sich zu schreiben lohnt“

Um das Jahr 2006 hatte es plötzlich den Anschein, als sei das Interesse an südafrikanischer Post-Apartheid-Literatur erwacht. Auf einmal wollten Menschen auf der ganzen Welt wissen, was die Jugend Südafrikas mit ihrer neu gewonnenen Freiheit anstellt. Zur gleichen Zeit bekam Südafrika nach seiner erfolgreichen Bewerbung um die Fußballweltmeisterschaft 2010 viel Aufmerksamkeit.

Die internationale Gemeinschaft wollte erfahren, was aus Südafrika nach dem Ende der Apartheid geworden war. Internationale Verleger und Übersetzer waren überzeugt, dass die Antwort in unseren Texten zu finden sei, und richteten ihr Augenmerk auf uns Autoren. Eine Handvoll von uns wurde übersetzt oder in Kurzgeschichten- und Gedichtanthologien auf der ganzen Welt aufgenommen.

Junge Schwarze Autorinnen und Autoren aus Südafrika, wie ich damals einer war, wurden zu internationalen Festivals eingeladen, um über unsere Bücher und unser Land zu sprechen. Wir wurden gewissermaßen zu literarischen Botschaftern; man benutzte uns, um die Ängste der internationalen Gemeinschaft vor Südafrika zu zerstreuen, das den Ruf hatte, ein Hort von Gewaltverbrechen zu sein.

Manchmal ging es so weit, dass wir gar nicht über unsere Bücher, sondern nur über die Politik in unserem Land sprachen. Es war anstrengend. Positiv war, dass ich in dieser Zeit in mehrere europäische Sprachen wie Französisch, Spanisch, Italienisch und Niederländisch übersetzt wurde, wie auch andere Autoren, darunter K. Sello Duiker and Phaswane Mpe. Doch mit dem Schlusspfiff der Fußballweltmeisterschaft 2010 war diese Euphorie schlagartig vorbei.

Derzeit ist es für viele unserer Autoren noch immer schwierig, ein internationales Publikum zu erreichen, da die südafrikanische Verlagsbranche ziemlich isoliert ist. In Südafrika gibt es kaum Literaturagenten. In den meisten Fällen fungieren die Verleger als Agenten für ihre Autoren, und die Autoren wiederum als Marketingabteilungen für ihre eigenen Werke.

Die Verleger verkaufen die Bücher ihrer Autoren manchmal auf Buchmessen oder über ihre Kontakte. Die Autoren nutzen soziale Medien, um ihre Werke bekannt zu machen. Die Vermarktung und der Vertrieb der Werke von uns Schwarzen zeitgenössischen Autoren geschieht oft durch Mundpropaganda. Manchmal wird einer von uns von einem anderen Autor bei einem Festival oder einer Lesung im Ausland erwähnt.

Internationale Reichweite für südafrikanische Autoren

Dies mag einer der Gründe sein, warum man auf dem internationalen Buchmarkt nicht viel von zeitgenössischen Schwarzen Schriftstellern aus Südafrika hört. Diejenigen von uns, die das Glück haben, in den Vereinigten Staaten veröffentlicht zu werden, verdanken dies in der Regel Universitäten. Kleine Verlage wie etwa die Ohio University Press haben Autoren wie mich, Phaswane Mpe, K. Sello Duiker, Sifiso Mzobe in den USA wieder veröffentlicht.

Leider haben diese kleineren amerikanischen Verlage keinen großen Vertriebs- oder Marketingapparat. Das ist besonders deshalb bedauerlich, weil Südafrika über eine der produktivsten Verlagsinfrastrukturen des afrikanischen Kontinents verfügt. Jedes Jahr werden hier Dutzende von einheimischen Belletristik- und Sachbüchern produziert.

Doch es gibt Hoffnung. Der jüngste Boom bei Fernseh- und Filmadaptionen fördert das internationale Interesse an und die Wahrnehmung der südafrikanischen Literatur viel stärker, als es das Verlagswesen je konnte. Der internationale Streamingdienst Netflix hat Anfang 2022 angekündigt, 900 Millionen Rand in die südafrikanische Film- und Fernsehindustrie investieren zu wollen. Netflix hat sich bereits mit lokalen Produktionsfirmen zusammengetan, um literarische Vorlagen für Film und Fernsehen zu produzieren und zu adaptieren.

„In Deutschland haben einige kleinere Verlage erhebliche Anstrengungen unternommen, südafrikanische Literatur zu übersetzen und zu veröffentlichen“

Dadurch ergeben sich neue Möglichkeiten für Autorinnen und Autoren, die ihre Werke im Selbstverlag herausbringen, wie auch für jene, die in einheimischen Sprachen schreiben. Einige von ihnen haben in den letzten Jahren große Aufmerksamkeit beim Lesepublikum erlangt.

„Happiness is a Four Letter Word“ von Nozizwe Jele zum Beispiel wurde 2016 erfolgreich verfilmt, und die Fortsetzung, „Happiness Ever After“, wird 2021 auf Netflix veröffentlicht. Ebenfalls 2021 verwendete der internationale Streamingdienst Showmax die „Hlomu“-Bücher von Dudu Busani-Dube als Vorlage für eine der beliebtesten Telenovelas Südafrikas, „The Wife“.

In Deutschland haben einige kleinere Verlage erhebliche Anstrengungen unternommen, südafrikanische Literatur zu veröffentlichen und zu übersetzen. Der Wunderhorn Verlag (mein Verlag), der btb Verlag und der Unionsverlag haben unter anderem die Werke von Sello Duiker, Masande Ntshanga, Zakes Mda, Kopano Matlwa und mir zugänglich gemacht.

Und der kürzlich gegründete InterKontinental Verlag hat bereits jetzt großen Einfluss auf die Übersetzungs- und Verlagsbranche. Es bleibt zu hoffen, dass diese Bemühungen die reiche südafrikanische Literaturlandschaft, vor allem der Post-Apartheid-Generation, ins öffentliche Bewusstsein bringen werden und dass auch die in indigenen Sprachen geschriebenen Bücher von diesen Übersetzungen und Adaptionen profitieren.


[1] Im Mai 2019 trat in Myanmar ein neues Urheberrechtsgesetz in Kraft, das ausländischen Autoren – zum ersten Mal in der Geschichte des Landes – zumindest theoretisch Urheberrechtsschutz gewährt.

Aus dem Englischen von Caroline Härdter. Wir schreiben das Wort „Schwarz“ hier groß, da es als Selbstbezeichnung und sozialpolitische Kategorie benutzt wird. 

Dieser Essay enstand im Rahmen der Serie „Afrikanische Literatur heute“ in Kooperation mit dem African Book Festival in Berlin. 2022 wurde das Festival kuratiert von dem südafrikanischen Autor und Filmemacher Lidudumalingani und nahm insbesondere Literatur aus dem südlichen Afrika in den Blick.