Schwieriges Erbe
Eines der größten Museen für Völkerkunde in Europa stellt sich seiner kolonialen Vergangenheit. Wie funktioniert das?
Neuerdings liest man bereits auf den Stufen zum Eingangsportal des Linden-Museums in Stuttgart: „Stopp! Schwieriges Erbe!?“. Eine Informationstafel klärt darüber auf, dass schon das Portal des Museums ein Zeichen der kolonialen Vergangenheit ist. Dort prangt die klischeehafte Darstellung zweier in Stein gehauener Menschen, vermutlich aus Afrika und Neuguinea, mit überbreiten Nasen und überzeichneten Lippen. Diese werden jetzt pink angestrahlt, um den kolonialen Hintergrund wortwörtlich zu beleuchten.
Das Linden-Museum setzt sich unter Leitung von Inés de Castro bereits seit einigen Jahren selbstkritisch mit seiner kolonialen Vergangenheit auseinander. Die neue Ausstellung ist dabei ein wichtiger Schritt und macht auch vor dem Namensgeber nicht halt: Karl Graf von Linden (1838-1910), der die Geschicke des Museums während der deutschen Kolonialzeit leitete und dessen Namen der Neubau am Hegelplatz seit 1911 trägt. In der Werkstattausstellung wird sein Wirken hinterfragt, sein „Sammeln“ von Abertausenden von Objekten aus den Kolonien und „deutschen Schutzgebieten“. Neben seinem Porträt fragt das Museum kritisch nach: Wer war dieser Linden eigentlich? Hehler? Räuber? Bewahrer? Wissenschaftsförderer? Kulturzerstörer?
So verfolgt das Linden-Museum einen neuen Ansatz, bei dem nicht nur die eigene Vergangenheit, sondern auch die Stadt- und Landesgeschichte im Licht postkolonialer Fragestellungen betrachtet werden – und leistet damit einen Beitrag zur Provenienzforschung, die in Deutschland noch in den Kinderschuhen steckt. Dabei werden spannende Biografien aufgearbeitet und koloniale Vereine vom Kaiserreich bis zur NS-Zeit dargestellt.
„Zum ersten Mal in dieser Form wird das düstere Kapitel der „Völkerschauen“, die ihre Hochphase zwischen 1870 und 1940 hatten, so mit einem Fokus auf Stuttgart dargestellt“
Der Bereich „Kolonialismus und Gewalt“ befasst sich mit dem „Boxer-Krieg“ im deutschen „Schutzgebiet“ in China, an dem auch Hunderte Soldaten aus Württemberg teilnahmen. Das Modul „Alltagskultur“ erweitert den Blick auf Phänomene des Kolonialismus im alltäglichen Leben. So erinnert die Ausstellung daran, dass 1928 in Stuttgart die erste große Kolonialausstellung mit „Völkerschau“ nach dem Ersten Weltkrieg stattfand – mit etwa 200.000 Besucherinnen und Besuchern. Zum ersten Mal in dieser Form wird das düstere Kapitel der „Völkerschauen“, die ihre Hochphase zwischen 1870 und 1940 hatten, so mit einem Fokus auf Stuttgart dargestellt. An einem Rekordtag strömten 1894 bis zu 28.000 Menschen zur „Dinka-Völkerschau“, um Menschen wie Tiere in einem Zoo zu bestaunen. Abwertende Fremdzuschreibungen, rassistische und sexistische Begriffe sind dabei abgedeckt, um sie nicht weiter zu verbreiten.
Gleichzeitig ist die Ausstellung viel mehr als eine Dokumentation von historischem Material, denn sie spannt den Bogen auch bis zum Rassismus der Gegenwart. Immer wieder wird das Publikum dazu herausgefordert, selbst Fragen zu beantworten, Sprache und Bilder zu hinterfragen. Das geht bis zur Frage, welchen Namen und welche Aufgaben das Museum in Zukunft haben soll. So könnte diese Ausstellung vielleicht einen Prozess zur Bewältigung der kolonialen Vergangenheit anstoßen und anderen Museen und Institutionen dabei als Vorbild dienen.