Menschenrechte | China

„Ich werde den Kampf nie aufgeben“

Als erste Uigurin hat Gulbahar Haitiwaji ihre Erfahrungen in einem chinesischen Gefangenenlager veröffentlicht. Ein Gespräch über das Leben danach

Frau Haitiwaji trägt schulterlanges schwarzes Haar und einen schwarzen Pullover. Sie schaut zur Seite. Auf ihrem Gesicht sieht man die Schatten der Lamellen einer Jalousie.

Gulbahar Haitiwaji, geboren 1966 in Xinjiang, Nordchina, ist Ingenieurin. 2017 wurde sie in China verhaftet

Das Interview führte Aljoscha Prange

Frau Haitiwaji, 2017 wurden Sie in China festgenommen, obwohl Sie eigentlich in Frankreich lebten. Man sperrte Sie in ein Umerziehungslager für Uiguren. Sie haben lange gezögert, Ihre Geschichte öffentlich zu machen. Warum tun Sie es jetzt?

Mir wurde gesagt, ich müsse alle Erlebnisse aus der Haft geheim halten. Man bedrohte mich und meine Familie, deshalb schrieb ich zunächst anonym. Nachdem ich China wieder verlassen durfte und nach Frankreich zurückging, wurde mir aber klar, dass sich nichts ändern würde, wenn ich mich weiterhin von der chinesischen Regierung einschüchtern ließe. Also entschloss ich mich, an die Öffentlichkeit zu gehen.

Die chinesischen Behörden warfen Ihnen „Billigung von Terrorismus“ vor, weil Ihre Tochter in Paris an einer uigurischen Versammlung teilgenommen hatte. In der Haft hielten Sie stets an Ihrer Unschuld fest. Doch Sie beschreiben einen Wendepunkt.

Die starke Gehirnwäsche erschwerte es mir, bei meiner Geschichte zu bleiben. Die anderen Insassen und ich mussten zum Beispiel regelmäßig in langen Aufsätzen unsere Schuld eingestehen und wurden immer wieder zu falschen Geständnissen gezwungen. Irgendwann begann ich zu glauben, dass meine Tochter tatsächlich einen Fehler gemacht hatte. 

„Mit jedem Interview zu meinem Buch kehre ich in meine Zelle zurück“

Wie haben Sie sich aus dieser Spirale wieder befreit?

Ich weiß nicht, ob ich je davon frei sein werde, auch nicht nach meiner Freilassung, die meine Tochter durch eine Kampagne in Frankreich initiierte. Das Schreiben meines Buches hat mich meine Inhaftierung noch einmal durchleben lassen. Mit jedem Interview kehre ich in meine Zelle zurück. Nichtsdestotrotz bleibe ich stark, denn in China soll man nicht den Eindruck haben, man hätte über mich gesiegt.

Dennoch schreiben Sie, dass „China gewonnen hat“. Warum?

Viele enge Freunde wandten sich nach meiner Rückkehr von mir ab, weil sie dachten, ich sei eine Spionin. Sie glaubten, die chinesische Regierung hätte mich nur freigelassen, weil ich mit ihr kooperiert hätte. Genau das will China: mich von meiner Community isolieren. In diesem Sinne hat China gesiegt.

In Ihrem Buch schreiben Sie auch: „In Xinjiang findet ein Genozid statt.“ Warum, glauben Sie, positionieren sich Frankreich und andere westliche Staaten nicht deutlicher zu dem, was in China geschieht?

Es ist Chinas wirtschaftliche Macht, die andere Länder davon abhält, Grausamkeiten, die meinem Volk angetan werden, zu verurteilen. Niemand will es sich mit diesem mächtigen Handelspartner verscherzen. Trotzdem bedeuten uns selbst symbolische Handlungen viel, denn viele Menschen im Westen haben noch nie etwas von uns Uiguren gehört. Mir ist bewusst, dass dies erst der Anfang ist. Wir werden aber weiter für unsere Freiheit kämpfen und die internationale Gemeinschaft dazu auffordern, das, was in der Provinz Xinjiang geschieht, endlich beim Namen zu nennen. Es ist ein Völkermord.

Glauben Sie, dass man Sie auch in Frankreich beobachtet? 

Seit meiner Rückkehr nach Europa habe ich keinen Kontakt mehr zu meinen Verwandten in China. Nach dem Erscheinen meines Buches hat die chinesische Regierung im Internet ein Statement veröffentlicht, in dem ich als Terroristin bezeichnet werde. Es wird behauptet, ich sei eine Lügnerin und mein Buch würde nur Unwahrheiten enthalten. Sie werden auch weiterhin solche Aussagen über mich verbreiten und mich öffentlich denunzieren. Doch ich setze meinen Weg fort.