Kehrtwende: Die neue Asienpolitik der USA
Unter Donald Trump haben sich die USA von ihren asiatischen Verbündeten abgewandt und Peking offen herausgefordert. Nun ist es an Joe Biden, die Aufräumarbeit zu leisten
Als Joe Biden im vergangenen November die Präsidentschaftswahlen in den USA gewann, waren die traditionellen asiatischen Verbündeten Washingtons erleichtert. Egal ob in Japan, Südkorea oder auch Australien: Überall gelten die USA als wichtiges Gegengewicht zu China und als Partner im Kampf gegen wirtschaftliche, militärische und politische Nötigungsversuche aus Peking.
Dass man sich dabei auf ihn verlassen können würde, das signalisierte Biden schon in seiner Antrittsrede. Die Vereinigten Staaten würden endlich wieder ein „starker und vertrauenswürdiger Partner für Frieden, Fortschritt und Sicherheit“ sein, versprach er.
Doch wie genau soll dieser politische Partner in der amerikanischen Asienpolitik aussehen – und wie wird die USA künftig gegenüber China auftreten? Erste Indizien dafür lieferten bereits Bidens frühste Amtshandlungen. Schon kurz nach seiner Vereidigung besetzte der neue Präsident Schlüsselpositionen mit erfahrenen Beamten aus der ehemaligen Obama-Regierung. Dazu zählen auch der neue Außenminister Anthony Blinken und Verteidigungsminister Lloyd Austin.
Zudem schuf Biden schnell eine gänzlich neue Abteilung innerhalb des Nationalen Sicherheitsrates. Ihr Schwerpunkt: der indopazifische Raum. Geleitet wird sie von Kurt Campbell, seines Zeichens ehemaliger Staatssekretär für ostasiatische und pazifische Angelegenheiten unter Barack Obama.
Gemeinsam mit Jake Sullivan, Bidens neuem Nationalem Sicherheitsberater, verfasste Campbell Ende des vergangenen Jahres einen Aufsatz in der Fachzeitschrift Foreign Affairs. Der Titel: „Wettkampf ohne Katastrophe: Wie Amerika China gleichzeitig herausfordern und mit ihm koexistieren kann“.
In dem Text skizzieren die Autoren ihre Vision einer neuen amerikanischen China-Strategie und fordern eine „Koexistenz mit China“. Dies bedeute auch, den Wettbewerb mit Peking zu akzeptieren und ihn nicht als ein Problem zu verstehen, das es zu lösen gilt. Vielmehr müsse es möglich sein, dass beide Länder in bestimmten Fragen kooperieren, sich in anderen Fragen jedoch entschieden widersprechen.
Für die asiatischen Verbündeten der USA wirken diese Äußerungen des Biden-Teams beruhigend. Nicht zuletzt, da man mit Blinken und Campbell endlich wieder weiß, mit wem man es zu tun hat. Blinken beriet Joe Biden bereits in dessen Zeit als Senator und Vizepräsident und Campbell verhandelte unter Barack Obama mit seinen asiatischen Amtskollegen. „Wir haben bereits eine Arbeitsbeziehung und wissen, was wir zu erwarten haben“, berichtete ein japanischer Diplomat in Washington zuletzt.
Ohnehin werden die USA in Asien auf den vertrauensvollen Arbeitsbeziehungen mit gleichgesinnten Staaten aufbauen und gleichzeitig klare Positionen gegenüber Peking einnehmen müssen. Dabei könnten gerade Fragen des Klimawandels zu einem Gradmesser des Erfolgs werden.
„Der Kurs der Biden-Regierung steht im Gegensatz zum Ansatz der Obama-Administration, die sich gegenüber Peking weniger konfrontativ verhielt“
Denn hier wird sich zeigen, inwieweit Kompromisse zwischen den Supermächten überhaupt möglich sind, ohne die gegenseitigen Kerninteressen zu verletzen. John Kerry, früherer Innenminister und heutiger amerikanischer Sondergesandter für das Klima, stellte bereits kurz nach seinem Amtsantritt klar, dass die USA nicht bereit seien, China auf diesem Feld Zugeständnisse zu machen.
Damit steht der Kurs der Biden-Regierung im Gegensatz zu dem Ansatz der Obama-Administration, die sich gegenüber Peking weniger konfrontativ verhielt und China in globalen Fragen wie dem Umweltschutz zur Kooperation bewegen wollte.
Doch auch China wird hier ein Wort mitzureden haben. Immerhin hat sich das Land in der jüngeren Vergangenheit – genauso wie die Vereinigten Staaten selbst – drastisch verändert. 2021 dominiert China nicht mehr nur Asien, sondern hat sich als Weltmacht etabliert und ist bereits seit rund 13 Jahren die zweitgrößte Wirtschaft der Welt.
Diesen Rang lief das Land 2008 Japan ab, als es – im Gegensatz zu anderen Wirtschaftsmächten – relativ unbeschadet aus der Finanzkrise hervorging. Zuletzt spielte darüber hinaus gerade die vierjährige Amtszeit von Donald Trump dem chinesischen Aufstieg zur Weltmacht in die Karten. Weil die USA ihr Engagement im Pazifikraum unter Trump bremsten, entstand in der Region ein Machtvakuum, in das Peking stieß.
Mittlerweile ist China der wichtigste Handelspartner fast aller asiatischen Staaten. So kommen heute bereits rund zwanzig Prozent der japanischen Importe aus China – in Australien sind es sogar 35 Prozent.
„Durch die Isolationspolitik der USA unter Trump sind viele asiatische Verbündete enger an China herangewachsen“
Mit der Gründung der Asiatischen Infrastruktur-Investitionsbank (AIIB) und der ehrgeizigen Belt and Road Initiative, die Kapital für den Ausbau der chinesischen Infrastruktur bis nach Westeuropa bereitstellen soll, hat Peking zudem längst den Grundstein für weiteres massives Wachstum gelegt. Gleichzeitig haben diese Vorstöße weitreichende Folgen für die Ausarbeitung einer alternativen Vision für die regionale Ordnung Asiens.
Dank seiner Vormachtstellung auf dem Kontinent gibt es für China nur noch wenig Anreize, sich in die regelbasierte Weltordnung einzufügen. Die politische Motivation der chinesischen Führung, ihre eigene Vision einer neuen regionalen Ordnung voranzutreiben und für diese Verbündete zu gewinnen, wird deshalb nur zunehmen.
In Washington rechnet man derweil längst nicht mehr damit, dass man China unter Staatspräsident Xi Jinping auf Kurs mit den Vorstellungen und Normen bringen kann, für die sich die USA seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs in ganz Asien eingesetzt haben. Nicht zuletzt deshalb werden die Vereinigten Staaten aller Voraussicht nach einen harten Kurs gegenüber Peking einschlagen, gleichzeitig jedoch auf Kooperation drängen.
Bei einem Briefing im Weißen Haus im Januar erklärte John Kerry, dass die USA sich chinesischer Aggression im Südchinesischen Meer auch weiterhin entschieden entgegenstellen würden. Zudem merkte er an, man würde von dieser Position auch dann nicht abrücken, sollte China zu Kompromissen in Klimafragen bereit sein.
Will die Biden-Regierung diesen Kurs einhalten, dann wird sie zwangsläufig vor der Herausforderung stehen, einerseits Härte zu zeigen und andererseits Kompromisse mit Peking zu finden. Während man etwa in Sachen Klimawandel auf chinesische Kooperation angewiesen ist, will man gleichzeitig weiterhin gegen die Menschenrechtsverletzungen des chinesischen Regimes und gegen die unfairen Marktpraktiken der chinesischen Wirtschaft vorgehen.
Um hier nicht in eine Sackgasse zu geraten, wird das Biden-Team zwangsläufig die Zusammenarbeit mit gleichgesinnten Ländern in Asien vorantreiben müssen. Nicht zuletzt aus diesem Bewusstsein heraus erklärte Biden im Februar in einer Rede vor Mitarbeitern des Außenministeriums, dass „Amerika wieder da“ sei.
„Die Diplomatie ist wieder da ... wir werden unsere Allianzen wiederaufbauen“, so Biden weiter. Was der neue Präsident und sein Team dabei jedoch womöglich übersehen, ist die Tatsache, dass sich in den vergangenen vier Jahren nicht nur China, sondern auch der Rest des Kontinents beträchtlich verändert hat.
Obgleich die wichtigsten Verbündeten der USA in der Region hoffen, dass Washington einmal mehr in der Lage sein wird, seine Führungsrolle im pazifischen Raum einzunehmen, zögern sie gegenwärtig, in dem Machtkampf zwischen China und den USA Partei zu ergreifen. Denn durch Trumps Nichteinmischung auf dem Kontinent sind sie noch enger an China herangewachsen.
Gerade in Hinblick auf die Handelsbeziehungen haben sich Amerikas asiatische Verbündete in dieser Zeit umfangreiche Gedanken dazu gemacht, wie sie auch ohne die Vereinigten Staaten zurechtkommen können, insbesondere nachdem sich Trump von dem Abkommen über die Transpazifische Partnerschaft (TPP) und dessen Folgevereinbarungen zurückgezogen hatte.
Es ist kein Zufall, dass seitdem mit dem Regional Comprehensive Economic Partnership Agreement (RCEP) und dem Comprehensive and Progressive Agreement for Trans-Pacific Partnership (CPTTP) zwei weitreichende Handelsabkommen geschlossen worden sind, an denen die USA nicht beteiligt sind.
Das RCEP vereint dabei alle zehn ASEAN-Mitgliedsländer Südostasiens sowie Australien, Neuseeland, Südkorea, Japan und China. Obwohl Indien dabei bislang außen vor bleiben musste, ist es eine bemerkenswerte Errungenschaft, dass mit dem Abkommen nach acht Jahren langwieriger Verhandlungen eine völlig disparate Gruppe von Ländern zusammengebracht wurde – vom kommunistischen Vietnam und der Chinesischen Volksrepublik bis hin zu hoch entwickelten Volkswirtschaften wie Südkorea und Singapur.
„Bereits unter Barack Obama hatten die USA viel Kooperation versprochen, am Ende jedoch nur wenig umgesetzt“
Eine Einmischung der USA in diese etablierte Struktur ist unwahrscheinlich und weder ein Beitritt zum CPTPP noch der Vorschlag eines neuen Handelsabkommens scheint derzeit auf der Agenda zu stehen. Angesichts des politischen Klimas in den USA und der wirtschaftlichen und sozialen Probleme innerhalb des Landes wird die Biden-Regierung sich zunächst unweigerlich auf innenpolitische Fragen konzentrieren müssen.
Für die asiatischen Partner der USA ist diese strategische Entscheidung nicht zwangsläufig eine schlechte. Im Gegenteil: Sie sind darauf angewiesen, dass die USA – anders als in den vergangenen Jahren – widerstandsfähig und stabil werden.
Gleichzeitig wird man in Japan, Südkorea und anderen Staaten genau beobachten, ob es sich bei Bidens Versprechen zu mehr Diplomatie und engeren Partnerschaften mit dem Kontinent um bloße Worte gehandelt hat oder zeitnah auch wirklich Taten folgen. Bereits unter Barack Obama war zunächst zwar viel Kooperation versprochen, jedoch am Ende nur wenig umgesetzt worden.
Die Messlatte für eine erfolgreiche Asienpolitik liegt derweil dank des Nicht-Engagements der Trump-Regierung niedriger als je zuvor. Trumps Weigerung, an internationalen Konferenzen in der Region teilzunehmen, bedeutet, dass Biden schon allein mit der – eigentlich selbstverständlichen – Teilnahme der USA an den ASEAN- und Ostasien-Gipfeltreffen in Brunei in diesem Jahr ein deutliches Zeichen setzen kann. Das Bedürfnis der Region, sich Washingtons wiedererstarkten Engagements im Indopazifik zu vergewissern, war selten so dringlich.
Auch wenn die Industrienationen Asiens in den vergangenen Jahren mehrfach von den USA enttäuscht wurden, hat dies nicht zu einer Verbrüderung mit China geführt. Immerhin hängt die Anziehungskraft Pekings auch für Schwellenländer weiterhin allein von der chinesischen Finanzkraft ab und nicht von dem chinesischen Regierungssystem.
Gerade das harte Vorgehen Chinas in Hongkong hat nicht nur in den USA und Europa, sondern auch in Asien hohe Wellen geschlagen und einmal mehr die Gefahren des chinesischen Autoritarismus verdeutlicht. Die Diskrepanz zwischen Xi Jinpings Lippenbekenntnissen zur Förderung universeller Werte und der Realität der chinesischen Herrschaft wurden in Hongkong offenbar.
Und auch die Unterdrückung der Uiguren zeigt, wie weit Peking zur Not geht, um seine Ein-Parteien-Herrschaft zu sichern. Bewunderung oder Beifall lösen diese Methoden auch in der chinesischen Nachbarschaft nicht aus.
Es bleibt also viel Raum für die USA, um sich einzumischen: auf die chinesische Unterdrückung aufmerksam zu machen, für die Vorzüge der Demokratie einzutreten und für rechtsstaatliche Prinzipien zu werben.
Ob Washington jedoch wirklich in der Lage sein wird, konkrete Maßnahmen zu ergreifen oder sich mit Plädoyers für Menschenrechte, Gleichheit und andere Werte zufrieden gibt, das bleibt abzuwarten.
Aus dem Englischen von Caroline Härdter