Soldaten gegen Fischer
Es ist acht Uhr an einem bewölkten Frühlingsmorgen. Die ersten beiden Fischerboote steuern nach dem Nachtfang gemächlich auf den Landeplatz Kigungu zu. Der Ort liegt am ugandischen Nordufer des Viktoriasees, nicht weit vom internationalen Flughafen von Entebbe. Das erste Boot mit drei Fischern an Bord legt an. An Land warten sechs Männer, um beim Ausladen der frisch gefangenen Fische zu helfen. Ein Mann hält eine Holzlatte in der Hand, mit der – wie ich später erfahre – die Länge der Viktoriabarsche gemessen wird.
Der Fisch zählt zu den begehrtesten im See und wird nach Europa und in andere Erdteile exportiert. „Der Fisch darf nicht kürzer sein als die Holzlatte. Wenn nicht der Kopf das eine Ende des Holzstücks und die Schwanzflosse das andere berührt, misst er weniger als die gesetzlich vorgeschriebene Mindestlänge von 45 Zentimetern“, erklärt Silas Kambejje, ein Fischer aus Kigungu.
Kambejje und seine Freunde bringen von ihrer nächtlichen Ausfahrt weniger als ein Dutzend Barsche mit – inklusive eines viel zu kleinen Exemplars, das vom Kopf bis zur Schwanzflosse nur halb so lang wie die Holzlatte ist. Seit 2004 sind die Viktoriabarschbestände im größten See Afrikas um die Hälfte geschrumpft. Grund ist nach Meinung von Experten das übermäßige Abfischen von Jungtieren, die häufig noch nicht einmal geschlechtsreif sind. Die Barsche, die heutzutage ins Netz gehen, sind im Durchschnitt weitaus kleiner als früher.
Seit 2004 sind die Viktoriabarschbestände im größten See Afrikas um die Hälfte geschrumpft
Tony Kilembwe, einer der Heimkehrer vom Nachtfang, betont, wie unverzichtbar der Viktoriabarsch für das Überleben der Fischer ist. Für ein Exemplar verlangt er umgerechnet elf bis 24 Euro. Zum Vergleich: Grundschullehrerinnen und -lehrer verdienen in Uganda im Monat umgerechnet etwa 130 Euro. Bevor er nach Hause schlendert, berichtet Kilembwe von den Problemen, die den Fischern zu schaffen machen. Im Jahr 2017 schickte der ugandische Präsident Yoweri Museveni Truppen der Armee an den Viktoriasee mit dem Auftrag, die illegale Fischerei einzudämmen.
Bei ihren Einsätzen konfiszieren die Soldaten der Uganda Peoples Defence Forces (UPDF) alles, was sie als „illegale Fanggeräte“ einstufen. Dazu gehören unter anderem Boote mit einer Länge von unter 8,5 Metern und Netze für Fische, die kleiner als eine Handfläche sind. Von Rechts wegen müssten Fischer, die man mit verbotenem Gerät erwischt, in Polizeigewahrsam genommen werden und einen fairen Gerichtsprozess bekommen. Doch nach Aussage von Beobachtern vor Ort kommt es dazu nur selten. Oftmals nehmen die Militärs die Fischer in ihre Kasernen mit und kassieren einfach ab, umgerechnet zwischen 25 und achtzig Euro. Anschließend setzen sie die Fischer mitsamt ihrer Ausrüstung wieder auf freien Fuß.
Wenn die Soldaten den zu kleinen Barsch vom Nachtfang bei ihnen entdeckt hätten, erklärt Silas Kambejje, dann hätten sie die ganze Besatzung festgenommen und den kompletten Fang beschlagnahmt – und das Boot noch dazu. „Die Soldaten bereichern sich an diesen Einsätzen“, klagt der vierzigjährige Kilembwe. Mitunter heizen die Militärs die illegale Fischerei sogar noch an, indem sie den beschlagnahmten Fang auf eigene Rechnung verkaufen.
„Viele Fischer trügen sich mit Selbstmordgedanken, weil sie sich den dauerpräsenten Militärs gegenüber machtlos fühlten“
Menschenrechtsorganisationen wie FIAN-Uganda und das Human Rights and Peace Centre (HURIPEC) der Makerere-Universität in Kampala werfen der Armee vor, bei ihren Einsätzen mit brachialer Gewalt vorzugehen. Die Soldaten, die entlang der gesamten 1.300 Kilometer langen Küstenlinie des ugandischen Ufers und der zu Uganda gehörenden Inseln patrouillieren, greifen die Fischer oft tätlich an und haben Schätzungen zufolge bereits Eigentum in der Größenordnung eines sechsstelligen Euro-Betrages zerstört. Ugandische Medien berichteten, dass junge Fischer bei Militäroperationen getötet wurden.
Charles Kitobo, 34, der seinen Fang stets in Kasenyi bei Entebbe auslädt, berichtet, dass die Soldaten ihre Erpressungsmethoden immer weiter perfektionieren. „Sobald sie sehen, dass du Fische im Boot hast, lassen sie nicht von dir ab, bis sie dir Geld abgeknöpft haben.“ Anfang April habe die Armee, so Kitobo, sechs Fischer festgenommen und erst zwei Wochen später wieder freigelassen. „Wir haben uns die ganze Zeit gefragt, was den Kollegen passiert ist, denn ihre Handys waren ausgeschaltet. Zum Glück kehrten alle lebend zurück. Zwei sind HIV-positiv und konnten in der Haft ihre Medikamente nicht nehmen.“
Diese beiden waren bei Ssalongo Ssemafumu angestellt, der sich in Kasenyi vom Fischer zum Unternehmer hochgearbeitet hat. Der 35-Jährige besitzt zwei bunt bemalte Holzboote, die er auch an Fischer vermietet. Ssemafumu, der selbst als 15-Jähriger auf den See fuhr, erzählt, dass seine Beschäftigten immer hoffnungsloser in die Zukunft blicken. Viele Fischer trügen sich mit Selbstmordgedanken, weil sie sich den dauerpräsenten Militärs gegenüber machtlos fühlten. „Wenn diese Brutalität und die Erpressungen nicht aufhören, wird die Armee die Fischerei noch ganz an sich reißen“, so Ssemafumu. „Dann werden wir mitsamt den Gemeinden, in denen wir leben, verhungern – oder uns vorher selbst einen Strick nehmen.“
„Die Bedrohungen und Schikanen gehen unterdessen weiter und lassen die Fischer in der Region um ihre Zukunft bangen“
Elia Kavuma fährt seit rund vierzig Jahren auf den See hinaus und lädt seinen Fang immer am Landeplatz in Katosi aus, rund fünfzig Kilometer östlich von Kampala. Ihre eigentliche Aufgabe – den Schutz der Fischbestände im Viktoriasee – nehmen die Soldaten, so der 62-Jährige, schon lange nicht mehr wahr. Stattdessen seien sie von Geldgier besessen. „Wenn sie bei einem Fischer einen Viktoriabarsch sehen, der dreißig Kilo wiegt und damit deutlich über dem gesetzlich vorgeschriebenen Mindestgewicht liegt, sagen sie: ›Den überlass mir.‹“
Bei der Fisheries Protection Unit (FPU) der ugandischen Armee und der Lake Victoria Fisheries Organization (LVFO) heißt es offiziell, am Viktoriasee herrsche wieder Ordnung und die Fischbestände würden sich bereits erholen. 2018 kam die Organisation in einer hydroakustischen Untersuchung zu dem Ergebnis, die Größenzunahme der Tiere sei „möglicherweise ein Erfolg der laufenden Bemühungen, den illegalen Fischfang mithilfe der Armee zu bekämpfen“.
In der Online-Talkshow „Entebbe Today“ stritt kürzlich der Sprecher der Fisheries Protection Unit, Deogratius Sentiba, jedes Fehlverhalten der am Viktoriasee eingesetzten Soldaten ab. Für eine direkte Stellungnahme stand die FPU allerdings auch auf Anfrage nicht zur Verfügung. Die Bedrohungen und Schikanen gehen unterdessen weiter und lassen die Fischer in der Region um ihre Zukunft bangen.
Aus dem Englischen von Andreas Bredenfeld