Alltag | Taiwan

Kriegsdienst und Katzen

Schüler, Aktivistinnen, Fischerinnen und Gleichstellungsbeauftragte: Wir haben acht Taiwanerinnen und Taiwaner gefragt, was sie gerade bewegt

Chen Inzone ist eine junge Frau. Sie trägt kurzes Haar und eine Brille. Sie steht vor einem grauen Kühlschrank. Hinter ihr hängt ein rotes Banner mit chinesischen Schriftzeichen.

Chen Inzone, 38 Jahre alt, arbeitet als Bäuerin und wohnt in Jiali

„Ich mag das Landleben“

Auf dem Land zu leben war seit meiner frühesten Jugend mein Traum. Ich bin im Zentrum von Taipeh geboren, direkt neben dem Wolkenkratzer Taipei 101. Ich habe eine sehr wettbewerbsorientierte Schule besucht. Ab der ersten Klasse habe ich außerschulische Kurse belegt, Englisch, Klavier und den Abakus gelernt, ab der fünften Klasse noch Geige und in den Sommerferien Schwimmen und Malen gelernt. Bei den Prüfungen betrug die volle Punktzahl 300 Punkte. In einer Abschlussprüfung habe ich 297 Punkte gehabt. Sobald ich nach Hause kam, weinte ich.

„Während der Schulzeit fühlte ich mich sehr unter Druck gesetzt und überlastet“

Als ich aufwuchs, fühlte ich mich stets unter Druck gesetzt und überlastet. Ich bin ein Mensch mit hohem Anspruch an mich selbst, aber meine mentale Stärke ist dafür nicht ausreichend. Beim Wechsel zur Senior High School ging ich auf Wunsch meiner Familie in eine sehr strenge private Mittelschule, wo der Druck noch höher war. Das war für mich eine sehr kritische Phase, denn wegen schlechter Noten war ich sehr unglücklich und begann mich selbst aufzugeben.

Ich mochte immer Blumen, Pflanzen und Tiere. Deswegen entschied ich mich für ein Studium der Life Science in Hualien. Hohe Berge und das weite Meer, Himmel und Erde erstrecken sich ohne Ende. Nach meinem Studium zog ich an verschiedene Orte: Ich arbeitete in einem Fischerdorf in Chiayi und lebte in einem Dorf bei Kaohsiung. 2018 zog ich in eine Gegend in Tainan. Ursprünglich hatte ich geplant, nur kurz dort zu bleiben. Aber ich mochte das Landleben sehr und nur einen Monat später wurde die Bäuerin, die mir die Landwirtschaft beibrachte, meine Partnerin. Deshalb blieb ich dort. Dabei habe ich mich bemüht, möglichst weit entfernt von dem Ort zu sein, an dem ich mich unterdrückt gefühlt habe.


„Samstags will ich nicht zum Unterricht“

Das Selfie zeigt einen Jungen mit Brille und kurzen schwarzen Haaren. Er trägt ein Sweatshirt und lächelt heiter in die Kamera. Er hat sich offenbar selbst in einem Hinterhof fotografiert, direkt hinter ihm sind ein paar Pflanzen zu sehen und die Rückseite eines Wohnhauses.

Chen Ruei-Yu, 11 Jahre alt, ist Schüler und wohnt in Xinbei

Ich stehe jeden Morgen um 6.30 Uhr auf. Mein Vater bringt mich und meinen jüngeren Bruder zur Schule. Seit meiner Versetzung in die fünfte Klasse habe ich mehr Hausaufgaben als vorher. Mathe stresst mich ganz schön und manchmal habe ich das Gefühl, dass ich etwas noch nicht auswendig gelernt habe. Dann denke ich an etwas Schönes, wie eine neue Pokémon-Karte, Urlaub oder Unterricht im Freien.

Nach dem Unterricht unterhalten sich viele meiner Mitschülerinnen über TikTok- Videos, aber ich verstehe häufig nicht, wovon sie reden. Um mich ihnen anzupassen, müsste ich so reden, wie es jetzt in China in Mode ist. Aber meine Mutter mag das nicht. Den Lehrern an der Schule ist es egal, ob wir TikToks schauen oder nicht. Sie sagen, das sei unsere Entscheidung.

Manchmal denke ich, dass vielleicht zu viele Videos geschaut werden. Einige Mitschüler müssen schon eine Brille tragen. Wenn die Schule um 16.30 Uhr endet, fahre ich mit dem Bus zur Betreuungsklasse, wo ich bleiben muss, bis meine Eltern von der Arbeit zurück sind.

„Vielleicht schauen wir zu viele Videos“

Manchmal kann ich um 18.30 Uhr nach Hause gehen, nachdem ich meine Hausaufgaben gemacht habe, aber manchmal muss ich bis 19.30 Uhr bleiben.

Was mich richtig unglücklich macht, ist ergänzender Unterricht am Samstag. Samstags will ich wirklich nicht zum Unterricht gehen. Von Schülern und Schülerinnen an der Mittelschule habe ich gehört, dass es an der Mittelschule zwar weniger Hausaufgaben gibt als jetzt, dafür aber noch mehr Prüfungen. Ich werde mir aber keine Sorgen darum machen, sondern einfach im Hier und Jetzt leben.


„Manche vergleichen die Situation in der Ukraine mit Taiwan“

Selfie einer Frau in mittleren Jahren, sie hat asiatische Gesichtszüge und trägt eine Kurzhaarfrisur. Sie steht scheinbar auf einem hochgelegenen Balkon eines Hochhauses, hinter ihr ist urbane Bebauung zu sehen.

Hsi Jui-Ting, 30 Jahre alt, arbeitet als Brillendesignerin und Aktivistin und lebt in Taipeh

Im vergangenen Jahr kam meine eigentliche Arbeit als Brillendesignerin eines Start-ups etwas zu kurz. Stattdessen habe ich meine ganze Energie in ein Projekt gesteckt, um den Menschen in der Ukraine zu helfen. Mein Freund ist einer der wenigen Ukrainer, die in Taiwan leben. Als Russland mit seinem Angriffskrieg begann, fragten ihn viele Journalisten: „Glauben Sie, dass China dem russischen Beispiel folgt und in Taiwan einmarschiert?“

Ich verstehe, dass manche die Situation in der Ukraine mit jener in Taiwan vergleichen. Aber die chinesische Bedrohung besteht schon so lange, dass wir uns daran gewöhnt haben. In meinem Freundeskreis macht oft der Spruch die Runde: „Ich habe eine Hütte in den Bergen mit Unmengen Alkohol – lasst uns alle dorthin gehen, wenn die Chinesen kommen!“

Nach dem ersten Schock über den russischen Einmarsch am 24. Februar 2022 wollte ich helfen. Zusammen mit sieben jungen ukrainischen Frauen, die in Taipeh leben, habe ich das Projekt „Divchata Power“ gestartet. „Divchata“ heißt „Mädchen“ auf Ukrainisch. Wir organisieren Spendenaktionen. Die meisten Menschen denken an Schlachtfelder, wenn sie vom Krieg hören.

„Mein Start-up spendete 550 Spezialbrillen an die ukrainische Polizei und Armee“

Soldaten und Waffen stehen im Fokus, aber da gibt es auch noch all die Frauen und Waisenkinder. Für sie wollten wir uns engagieren. Wir organisierten eine große Ausstellung in Taipeh. Nicht mit den schrecklichen Bildern des Krieges, sondern mit großen, prachtvollen Fotos der ukrainischen Frauen, mit Blumen in ihrem Haar. Außerdem produzierten wir Seife in den Farben der ukrainischen Flagge und Duftkerzen, die den Geruch der verschiedenen Heimatstädte der Ukrainerinnen verbreiten. Durch unsere Projekte konnten wir mehr als zwei Millionen NTD sammeln.

Mein Start-up spendete außerdem 550 Spezialbrillen an die ukrainische Polizei und Armee. Die Soldaten waren sehr dankbar dafür. Einige haben mir Videos geschickt, in denen sie cool mit den Sonnenbrillen posieren. Die Ukrainer und Ukrainerinnen haben einen beeindruckenden Sinn für Humor. Selbst in Kriegszeiten können sie noch Witze machen.


„Gegen die Industrie haben die Fischfarmer keine Chance“

Eine ältere Dame steht in einer Landschaft von Teichen, sie wird von der Sonne beschienen und hat kurze dunkle Haare. Sie lächelt in die Sonne und trägt einen bräunlichen Pullover.

Huang Fen-Hsiang, 68 Jahre alt, arbeitet als Fischzüchterin und wohnt in Chigu

Dass ich in Chigu gelandet bin und Fische züchte, war ein Zufall. Ich kündigte meine Arbeitsstelle in Taipeh, ursprünglich, weil ich eine Pause einlegen wollte. Ein Freund aus Chigu bat mich, ihm beim Verkauf von Zackenbarschbrut zu unterstützen. Ein paar Jahre später beschloss ich dann, selbst Fische zu züchten. Zu Beginn setzte ich wie die meisten auf die intensive Methode der Fischzucht, bei der die Fische dicht an dicht gehalten werden. Zu jener Zeit wurden mehr als neunzig Prozent der Zucht nach Hongkong verkauft und die Gewinne waren sehr hoch.

Nach kurzer Zeit traten in meiner Fischzucht Weißpünktchen auf, eine durch Parasiten verursachte Krankheit. Alle 20.000 Fische sind zugrunde gegangen, der Verlust war gravierend. Ich wagte es nicht mehr, die aus Aquakultur aufgezogenen Fische zu essen. Also entschied ich mich dazu, den Bestand zu reduzieren. Seit ich das tue, haben meine Fische keine Krankheit mehr – und das seit zwanzig Jahren.

„Fischteiche werden in Flächen zur Stromerzeugung umgewandelt“

In Chigu werden die Fische im reinen Salzwasser des Meeres gezüchtet. Das ist nur möglich, weil die Fischteiche am Meer angelegt sind, deren Wasser durch die natürlichen Gezeiten ausgewechselt wird. Eine weitere lokale Spezialität neben dem Zackenbarsch ist die Zucht von Milchfischen und Venusmuscheln. Die Produktionsmengen aus der Zucht sind sehr hoch und die Preise sind gut, was viele junge Menschen dazu veranlasst, von den Großstädten wieder nach Hause zurückzukehren.

2017 begann man im Bezirk mit der Entwicklung von Photovoltaik. Viele Fischteiche wurden in Flächen zur Stromerzeugung umgewandelt. Die Photovoltaikindustrie hat erhebliche Auswirkungen auf die Land- und Fischzuchtwirtschaft. Wenn diese Anlagen einmal installiert sind, können sie für mehr als zwanzig Jahre nicht mehr versetzt werden. Die Fischfarmer haben nicht die geringste Chance gegen die Industrie. Fischzüchter, die Land für die Fischzucht pachten wollen, werden ihre Arbeit verlieren.


„Taiwan altert stark“

Eine Frau sitzt auf einem Sessel, hinter ihr sieht man ein Blatt einer Zimmerpflanze und etwas Wand. Sie trägt ein gemustertes, enganliegendes Oberteil, eine grüne Daunenweste und einen blau-gemusterten Schal und lange glatte Haare. Sie schaut lächelnd in die Kamera.

Debra Chen, 61 Jahre alt, arbeitet in der Kosmetikbranche und lebt in Taipeh

Seit über zwanzig Jahren arbeite ich in der Kosmetikbranche. Als ich dort anfing, musste ich einige Kompromisse eingehen, um erfolgreich zu sein. Aber inzwischen habe ich mein eigenes Unternehmen. Wir exportieren biotechnologische Inhaltsstoffe für Kosmetika und vermarkten Nahrungsergänzungsmittel und Schönheitsprodukte. Mein Geschäft läuft gut. Aber im Leben geht es nicht nur ums Geldverdienen. Je älter ich werde, desto mehr habe ich das Gefühl, dass ich etwas zurückgeben möchte.

Mit meinen Freundinnen rede ich viel darüber, was in unserem »zweiten Leben« passieren soll – so nennen wir die Zeit der Rente. Taiwans Gesellschaft altert stark. Trotzdem nehmen die wenigsten älteren Menschen noch aktiv am öffentlichen Leben teil. Viele denken auch, es wäre irgendwie unnormal, wenn Siebzig- oder Achtzigjährige ihr Leben genießen und tanzen gehen. Wenn jemand stirbt, dann geben wir viel Geld für Gedenkfeiern aus. Aber warum eigentlich? Ich finde, wir sollten schöne Erinnerungen mit unseren Lieben schaffen, solange sie noch gesund sind.

„Wenn jemand stirbt, dann geben wir viel Geld für Gedenkfeiern aus. Aber warum eigentlich?“

Darum habe ich alle meine älteren Freunde nach Dadaocheng eingeladen, den alten Teil von Taipeh. Mehr als hundert Leute kamen, alle im Alter von sechzig bis achtzig Jahren. Viele meiner älteren Freunde denken gerne an die sogenannten wilden Zwanziger zurück. In den 1920er-Jahren erlebte Taiwan eine kulturelle Blüte, mit einer florierenden Kunst- und Kulturszene. Ich habe versucht, diese Zeit ein wenig wiederaufleben zu lassen. Im Internet habe ich Kleidung aus dieser Epoche bestellt. All diese älteren Menschen haben sich verkleidet, getanzt und gesungen und sich köstlich amüsiert. Es war ein Riesenspaß!

Ich liebe alles, was schön ist. Darum mische ich meine eigenen Parfüms, ich stelle Seife her, die elegant wie Schmuck aussieht, und ich male Blumen auf Textilien. Meine Lebensphilosophie ist, dass ich jeden einzelnen Tag genießen möchte. Denn auch wenn meine Seele unsterblich ist – mein Körper ist es nicht.


„Im Krankenhaus werden Überstunden erwartet“

Das Selfie zeigt eine junge Frau mit langen glatten Haaren. Sie trägt einen blauen Schal um den Hals und eine offenbar sportliche schwarze Jacke von der man nur den goldenen Reißverschluss sieht. Ihre Haare sind unten etwas hellbraun gefärbt und sie hat einen bunten schmalen Zopf an einer Seite eingeflochten.

Huang Hsin-Te, 26 Jahre alt, arbeitet als Atemtherapeutin und lebt in Taipeh

Huang Hsin-Te, 26 Jahre alt, arbeitet als Atemtherapeutin und lebt in Taipeh

Ich bin ein Einzelkind und je älter ich werde, desto einsamer fühle ich mich manchmal. Ich habe eine enge Beziehung zu meiner Mutter, aber wir streiten uns oft. Meine Mutter ist chronisch krank und ich mache mir Sorgen um sie. Ich arbeite als Atemtherapeutin, deswegen weiß ich um die medizinischen Risiken. Ich habe früher in einem Krankenhaus gearbeitet, in dem die Arbeitsbedingungen sehr schlecht waren.

Wir mussten oft Überstunden machen, was in Taiwan üblich ist. Aber das Krankenhaus hat uns keine Zuschläge gezahlt, sie haben die Überstunden einfach erwartet. Man hat keine andere Wahl, weil die Arbeitsbelastung sehr hoch ist und man die Patienten ja versorgen muss. Taiwan ist berühmt für seine gute und günstige Gesundheitsversorgung. Doch die Qualität geht zulasten des Personals.

Krankenschwestern und anderes medizinisches Personal neigen zu Depressionen, da sie sich in einem sehr stressigen Umfeld befinden. Deswegen wechseln viele Menschen wie ich ihren Beruf. Ich stamme aus einer Mittelklassefamilie, habe also keine große wirtschaftliche Belastung, die mich dazu zwingen würde, den Job zu behalten. Einige der älteren Therapeuten versuchen, für ihre Rechte zu kämpfen, aber es ist zum Verzweifeln. Ich habe das Krankenhaus verlassen und arbeite jetzt für ein medizinisches Start-up. Ich bin froh, dass ich eine Wahl habe.


„Wir haben den Zeitpunkt verpasst, Kinder zu bekommen“

Cheng Wei-Chun, 51 Jahre alt, ist Gleichstellungsbeauftragter und lebt in Xinbei

Ich bin eigentlich mein Leben lang gern Single gewesen – bis ich meine Frau kennengelernt habe. Da waren wir beide schon Mitte vierzig. Wegen unserer späten Heirat verpassten wir den geeigneten Zeitpunkt, um Kinder zu bekommen. Viele Freunde um mich herum entscheiden sich dafür, keine Kinder zu haben. Eine Freundin bekommt keine, weil sie überzeugt davon ist, dass auf der Erde zu viele Menschen leben.

Ein anderer Freund von mir ist Sozialarbeiter, der sich viel mit Missbrauchsfällen beschäftigen muss und deshalb keine Kinder haben will. Auf meiner Arbeit lese ich regelmäßig Statistiken: Werden wir älter, erscheint es sinnvoller sich erst später mit der Familiengründung zu beschäftigen. Frauen sind zum Zeitpunkt ihrer Hochzeit immer älter und bekommen deswegen auch seltener Kinder. Und: Die Ehe bringt für Frauen viele Einschränkungen mit sich. Sie kann zu instabilen Karrieren führen, wenn Hausarbeit und Kinderbetreuung ungleich verteilt sind.

„Unsere Katze hat einen positiven Einfluss auf unser Eheleben“

Viele Frauen und Männer wollen über ihr eigenes Leben hinausgehend keine Verantwortung übernehmen. Dass die Kosten für die Kindererziehung einen sehr hohen Anteil der Familienausgaben ausmachen, ist ein weiterer Grund, der viele abschreckt. Seit drei Jahren haben meine Frau und ich eine Katze, Niu-Niu, benannt nach der Farbe ihres Fells, das dem einer Kuh ähnelt. Die Katze hat einen positiven Einfluss auf unser Eheleben.

Wir kaufen gemeinsam Futter, Katzenstreu und Spielzeug, wir übernehmen eine gemeinsame Verantwortung. Wenn wir morgens früh aufstehen und zur Arbeit eilen, teilen wir uns die Aufgaben auf. Für mich haben Haustiere eine wesentliche Funktion als Lebensbegleiter und erfordern dabei kein so hohes Maß an Verantwortung und Stress wie die Erziehung von Kindern. Meine Eltern und meine Schwiegereltern hätten lieber Enkelkinder gehabt als eine Katze, aber das ist nicht unser Problem. Kinder haben schließlich ihr eigenes Leben.


„Der Militärdienst wurde auf ein Jahr verlängert“

Ein junger Mann mit Brille schaut in diesem Selfie in die Kamera. Hinter ihm sind scheinbar die Türen eines großen Kleiderschrankes zu sehen. Er trägt einen weißen Kapuzenpullover, seine dunklen Haare reichen ihm bis zu den Ohren und in die Stirn.

Wu Jeremy, 18 Jahre alt, ist Schüler der Senior High School und lebt in Tainan

Ich habe nie wirklich darüber nachgedacht, wie es ist, Soldat zu sein, weil ich immer dachte, dass das nicht geschehen würde, bis ich zumindest die Uni abgeschlossen habe. Als ich die Nachricht hörte, dass der Militärdienst verlängert wird, waren meine Klassenkameraden und ich sehr überrascht. Die Dienstzeit wurde von vier Monaten auf ein Jahr verlängert. Das fühlt sich ein wenig so an, als würde uns „die Zeit weggenommen“. Einige Klassenkameraden wurden nach dem September 2004 geboren, einige danach. Deswegen müssen in derselben Klasse einige nach dem alten System nur vier Monate lang dienen, die anderen ein ganzes Jahr lang. Das finde ich ungerecht.

Von meinem Vater habe ich gehört, dass die Dienstzeit damals zwei Jahre betrug und die Ausbildung ziemlich streng war. Über den jetzigen Militärdienst weiß ich, dass es dort viele unterschiedliche Dinge zu tun gibt, allerdings auch, dass das Essen in der Kaserne schlimm sein soll. Ich bin der erste Junge meiner Generation in der Familie, der zum Wehrdienst antreten wird.

Soweit ich mich erinnern kann, waren die Beziehungen über die Taiwanstraße immer angespannt. Ungefähr in der Junior High School begann ich, mir der Problematik der beiden Seiten der Taiwanstraße bewusst zu werden.

„Ich höre oft Nachrichten, dass chinesische Kampfflugzeuge in Taiwans Luftraum eindringen“

Ich höre oft Nachrichten, dass chinesische Kampfflugzeuge die Mittellinie der Taiwanstraße überqueren und in Taiwans Luftraum eindringen, oder Nachrichten, dass China gegenüber Taiwan Druck ausübt.

Ob „Republik China“ oder „Taiwan“, ich empfinde meine nationale Identität als sehr wichtig. Meine Klassenkameraden und Klassenkameradinnen haben kein großes Interesse daran, über politische Themen wie Wiedervereinigung oder Unabhängigkeit, Blau und Grün zu reden. Die meisten Schülerinnen und Schüler vertreten jedoch die Ansicht, dass Taiwan ein unabhängiger Staat ist, und sie hoffen, dass auf jeder Seite jeweils ein Staat besteht und die sich gegenseitig in Ruhe lassen.


„Damals waren die Niederschläge rekordverdächtig“

Ein junger Mann mit Brille steht in der Sonne vor einer Backsteinfassade. Er hat kurze schwarze Haare und trägt ein braunes T-Shirt. Er schaut direkt in die Kamera

Shen Hsuan-Yu, 29 Jahre alt, ist Anhänger einer Klimawandelinitiative und lebt in Taipei

In Taiwan leugnet kaum jemand den Klimawandel, weil hier starke Regenfälle und langanhaltende Dürren immer häufiger werden. Ich erinnere mich gut an den Taifun Morakot: damals waren die Niederschläge rekordverdächtig, an manchen Orten entsprachen die Niederschläge an zwei aufeinanderfolgenden Tagen der Menge eines ganzen Jahres, was an vielen Stellen Überschwemmungen, Bergstürze und sogar Erdrutsche verursachte. Ein ganzes Dorf in Kaohsiung wurde ausgelöscht.

In der Oberstufe hatte ich die Möglichkeit mit Gleichgesinnten nach Südafrika zu fliegen, um an der UN-Klimakonferenz COP 17 teilzunehmen. Zuvor kam ein Jugendvertreter der Stadtregierung in die Schule, um über das Thema Klimawandel zu sprechen und ermutigte mich, dort teilzunehmen. Ich fand es so interessant, weil ich wissen wollte, wie man auf internationaler Ebene mit Klimaproblemen umgeht, denn damals gab es nur begrenzte Informationen in Taiwan.

Die meiste Zeit verbrachte ich damit, junge Menschen aus anderen Ländern kennenzulernen. Klimabündnisse in anderen Ländern schaffen Möglichkeiten für junge Menschen, sich mit lokalen Umweltaktionen im jeweiligen Land zu vernetzen. Diese Reise hat meinen Horizont erweitert. Sie veranlasste mich dazu, mich an der Jugendarbeit zu beteiligen.

2011 wurde die „Taiwan Youth Climate Change Alliance“ gegründet, Taiwans erste gemeinnützige Umweltorganisation, die von Jugendlichen eigenverantwortlich betrieben wird. Ich freue mich darauf, dass die Jugend zukünftig ein größeres Mitspracherecht bei der Diskussion der Klimawandelfrage haben wird.


Protokolliert von Chen Yi-Hua und Gundula Haage 
Aus dem Chinesischen von Axel Kassing