Mit starker Stimme
Auma Obama ist Germanistin, Soziologin, Autorin – und die Halbschwester von Barack Obama. Über ihren berühmten Bruder spricht sie ungern, dafür lieber über ihre Arbeit zwischen Deutschland und Kenia
Wenn ich gestresst bin, dann drehe ich die Musik auf und tanze. Das Tanzen ist schon immer Teil meines Lebens. In Kenia gehört es einfach dazu. Wenn ich an meine Kindheit denke, dann sehe ich die erdigen Farben der Farm meiner Großmutter in der Nähe des Viktoriasees. Ich habe das Vogelzwitschern im Ohr und den Wind.
Damals ging ich auch gerne zur Schule. Es war ein Mädcheninternat in Nairobi, uns wurde also nie gesagt, dass irgendeine Sportart oder ein Fach nur für Jungs sei. Wir durften alles machen. Zu Hause war ich das einzige Mädchen und wusste, wann ich mich fügen musste. Wenn ich nachfragte, warum ich etwas nicht durfte, dann hieß es immer: „Du bist ein Mädchen.“ Das hat mich gestört. Ich wollte selbst über mein Leben entscheiden und nicht über mein Geschlecht bestimmt werden.
Mit 19 Jahren zog ich nach Deutschland. Ich hatte in der Schule Deutsch gelernt und bekam ein Stipendium vom DAAD. Böll, Grass, Borchert – ich habe alles querbeet gelesen. Als Germanistikstudentin wohnte ich in der Heidelberger Altstadt. Alles war ein Abenteuer, nur meine Familie habe ich vermisst. Damals, in den Achtzigern, war Deutschland genau das Richtige für mich. Das war die Zeit der Frauenbewegung. Ich hatte eine Stimme, die gehört wurde. Aber dass ich anders aussah, wurde mir auch bewusst.
Ich musste damit klarkommen, dass Anderssein in Deutschland nicht so selbstverständlich war und dass manche Menschen Vielfalt nicht als Bereicherung empfanden. Für mich war das ein Schock, weil Kenia so multikulturell ist. Dort wird es positiv bewertet, Kulturen zusammenzubringen. Sagen wir es mal so: Ich wurde erwachsen. Und ich erkannte, dass ich immer zuerst als Mensch beurteilt werden möchte, dann als Frau und erst dann eventuell als Afrikanerin. Aber alles im positiven Sinne, weil ich mich als Bereicherung verstehe.
„Am meisten erstaunte mich an Deutschland, dass alles so stark auf die Arbeit ausgerichtet ist. In Kenia definiert man sich über die Familie und Freunde“
Am meisten erstaunte mich an Deutschland, dass alles so stark auf die Arbeit ausgerichtet ist. Alle identifizieren sich darüber. Und wenn man seinen Job verliert, ist man plötzlich ein Nichts. Das hat mich so fasziniert, dass ich darüber meine Promotion geschrieben habe: einen Vergleich der Arbeitsethik in deutscher und kenianischer Literatur.
Denn in Kenia ist es genau umgekehrt, man definiert sich über die Familie und Freunde. Es kann gut sein, dass jemand Arzt oder Professor ist, aber zu Hause hat sein älterer Bruder das Sagen – selbst, wenn er Kühe hütet. Die beiden Länder sind zwei Extreme. Es braucht aber den Ausgleich: als Mensch wichtig zu sein und gleichzeitig Teil des Arbeitsmarkts.
„In Deutschland erlebte ich, dass viele eine ganz verquere Vorstellung von Afrika hatten“
Nach dem Studium habe ich in der Erwachsenenbildung bei der Friedrich-Ebert-Stiftung Seminare gehalten. In Deutschland erlebte ich, dass viele eine ganz verquere Vorstellung von Afrika hatten. Ich wollte den Menschen zeigen, dass das Bild vom armen Afrika nicht stimmt. Afrika ist der reichste Kontinent der Welt. Fast alle natürlichen Ressourcen, die die Welt braucht, kommen von dort.
Wir haben über Themen wie „Entwicklungshilfe“ und die „Dritte Welt“ geredet – damals hieß das noch so. Gegen diese Begriffe habe ich gekämpft. Ich wollte die Menschen überzeugen, endlich mit uns auf Augenhöhe zu reden.
Denn Afrika wird durch die Hintertür geplündert, während den Menschen immer wieder gesagt wird: „Ihr seid arm, ihr könnt nichts ohne unsere Hilfe.“ Bei meiner späteren Arbeit bei Care International in Kenia wollte ich von denjenigen lernen, die diese angebliche Entwicklungshilfe machen. Für mich hat das nicht funktioniert, aber es hat mich nachdenklich gemacht, wie es besser geht.
„Den Kindern sagen wir: ,Es gibt nichts, was ihr nicht machen könnt. Ihr müsst nur lernen, an euch zu glauben‘“
Um meiner Sache treu zu bleiben, habe ich die Stiftung Sauti Kuu gegründet, das heißt „Starke Stimme“ auf Kisuaheli. Wir arbeiten mit Kindern und Jugendlichen von vier bis 25 Jahren, aber binden immer die ganze Familie mit ein. Wir haben drei Zentren in Kenia, wo wir Aktivitäten anbieten. Es ist übrigens nur ein Mythos, dass mein Bruder Barack seinen berühmten Slogan „Yes, we can“ von meiner Stiftungsarbeit geklaut hat. Das ist ja weltweit eine gängige Redewendung, nur wurde sie durch die Arbeit meines Bruders bekannter.
Bei Sauti Kuu haben wir vor allem zwei Slogans: „Use what you have to get what you need“ – damit richten wir uns an die Eltern und Großeltern. Wir vermitteln, wie die lokal vorhandenen Ressourcen genutzt werden können, damit die Grundbedürfnisse der Kinder befriedigt werden. Der zweite Slogan ist „You are your future“ und richtet sich an die Kinder.
Damit meinen wir: Es gibt nichts, was ihr nicht machen könnt. Ihr müsst nur lernen, an euch zu glauben. Sport hilft dabei. Beim Sport können Kinder laut sein, jubeln, als Team arbeiten. Wir haben auch eine offene Bühne, wo alles Mögliche aufgeführt wird: Tanz, Theater, Gesang. Die Kinder lieben das.
Auch ich werde bald auf einer Bühne tanzen, denn ich nehme an der deutschen Fernsehshow „Let’s dance!“ teil. Ich freue mich darauf, meine Liebe zum Tanzen und meine Lebensfreude zu teilen.
Protokolliert von Gundula Haage