Künstliche Intelligenz | Indien

„Das neue Medium der KI war ein Schock“

Kann künstliche Intelligenz westliche Stereotype überwinden? Der indische Drehbuchautor Prateek Arora erschafft post-koloniale Science-Fiction jenseits von Hollywood
In einer engen Gasse mit Läden zu beiden Seiten steht ein hagerer Mann. Er ist futuristisch gestylt, seine Stirn ist mit Apparaturen bedeckt. Er trägt einen Metallanzug, der ebenfalls über und über mit kleinen absurden Apparaturen bedeckt ist und unnatürlich schmale Metallarme hat. Er schaut ernst seitlich an der Kamera vorbei.

Interview von Ruben Donsbach

Herr Arora, ihre KI-Bilder zeigen retro-futuristische Mensch-Maschinen, Aliens und Fabelwesen, oftmals in einem erkennbar indischen urbanen Raum. Was sind ihre visuellen und ästhetischen Referenzen?

Ich war schon als Kind ein Science-Fiction-Fan. Der Film „Jurassic Park“ hat mich damals sehr beeindruckt, seitdem verfolge ich das Genre aufmerksam. Heute inspirieren mich das Chaos und die Widersprüche des Lebens in Indien, der rasante technologische Prozess, der unsere Gesellschaft und Kultur, insbesondere auch die Popkultur, radikal transformiert.

Zuletzt sah man auf den sozialen Netzwerken eine Vielzahl KI-generierter Kunstwerke. Was hat es mit diesem Trend auf sich?

Ich glaube, unsere globale Kultur steckt in einer Sackgasse. Wir sind zu sehr auf generische Franchises wie „Marvel“ oder „Star Wars“ sowie auf von Logarithmen kuratierten Content fixiert. Das nährt unsere nostalgische Sehnsucht nach Altbewährtem, aber Neues entsteht so kaum.

Und die KI-Kunst ist anders?

Ja. Das neue Medium der KI war ein Schock. Es hat von Beginn das Geschäftsmodell und die ästhetischen Konventionen der Mainstreamkultur infrage stellt. In kürzester Zeit ist so eine radikal neue Ausdrucksweise entstanden, die von Künstlerinnen und Künstlern aus aller Welt diskutiert und fortentwickelt wird. Das ist ungeheuer aufregend.

Ihre Arbeit hat das von Ihnen erklärte Ziel, die Sicht des Westens auf Indien zu hinterfragen. Welche Klischees halten sich am hartnäckigsten und wie lassen sie sich dekonstruieren?

Das eine ehemalige Kolonie zu einer selbstbewussten technologischen, geopolitischen und wirtschaftlichen Macht avanciert, scheint für viele noch immer schwer vorstellbar zu sein. Gegenüber Indien gibt es im Westen einen regelrechten „Armutsfetisch", der die Darstellungen unseres Landes grade in der Populärkultur völlig verzerrt. Aber Indien ist nicht statisch, sondern unglaublich komplex, es verändert sich permanent.

Wie kann KI helfen, diese Sichtweise zu verändern?

Die Geschichte Indiens wurde bisher selten von uns Indern selbst erzählt, aber das soll sich nun ändern. Das Genre Science-Fiction, das sich auf den technologischen Wandel und seine Auswirkungen konzentriert, ist ein hervorragendes Medium dafür. KI ist einfach ein weiterer Beschleuniger für diesen Prozess. Sie kann helfen, ehrgeizige Ideen in einem vor kurzem noch unvorstellbaren Tempo und Ausmaß zu verwirklichen.

„Dass eine ehemalige Kolonie zu einer selbstbewussten technologischen, geopolitischen und wirtschaftlichen Macht avanciert, scheint für viele noch immer schwer vorstellbar zu sein“

Wie wichtig ist es in diesem Zusammenhang für junge Inderinnen und Inder, sich durch Helden repräsentiert zu sehen, die aussehen „wie sie“?

Das ist entscheidend. Indien macht ein Sechstel der Weltbevölkerung aus, doch wir kommen in den größten Unterhaltungsserien der Welt kaum vor. Und wenn, dann meist in stereotypen Rollen. Wir können nicht darauf warten, dass die westliche Kultur ihr Narrativ hinterfragt. Wir müssen unsere eigenen Geschichten zu unseren Bedingungen erzählen.

Junge Inderinnen und Inder müssen das Gefühl haben, Anteil an der Zukunft zu haben und diese mitgestalten zu können. In dieser Zukunft sollen auch sie Helden sein können – und nicht nur stereotype Nebenfiguren.