Müssen wir unseren Planeten verlassen?
Das Interview führte Ruben Donsbach
Herr Herzog, in Ihrem Dokumentarfilm „Letzte Ausfahrt: Weltall“ verhandeln Sie eine existenzielle Frage: Muss der Mensch die Erde verlassen, um als Spezies überleben zu können?
Ich bin an dieses Thema als Fragender herangegangen und wollte wissen, was der Stand der Technologie und der Wissenschaft ist. Man lernt dann schnell, dass es in unserer planetaren Nachbarschaft ziemlich düster aussieht. Zuletzt war viel von der Destination Mars die Rede. De facto ist das ein reiner Wüstenplanet ohne nennenswerte Atmosphäre oder Wasservorkommen, gegen den selbst die unwirtlichsten Orte auf unserer Erde geradezu einladend wirken. Man müsste dort permanent in unterirdischen Bunkern leben, um vor der tödlichen kosmischen Strahlung sicher zu sein.
Ein Protagonist in Ihrem Film sagt, das wäre so, als würde man sein Leben in einem Logistikzentrum von Amazon verbringen, ohne jemals vor die Tür gehen zu dürfen.
Und so stellen sich wohl die wenigsten das Leben auf einem neuen Planeten vor.
Ein weiteres Szenario sei, so der Protagonist, dass für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die dort gegen schlechte Bedingungen protestieren, einfach der Sauerstoff reduziert werden könnte.
Es ist eine notwendige Überlegung, wie es in solch einer extraterrestrischen Kolonie tatsächlich zugehen würde. Wie geht man etwa damit um, dass Menschen auf Dauer unberechenbar sind? Was, wenn einer durchdreht und ein Loch in die Schutzwand schlägt? Dann wäre das ganze Kollektiv in Gefahr. So etwas fördert autoritäre Systeme. Wer vom Reisen in den Weltraum spricht, muss das Thema bis zum Ende durchdenken. Und in unseren Szenarien ging es bisher nur bis zum Mars. Der Erde ähnliche Exoplaneten außerhalb unseres Sonnensystems, auf denen ein „normaleres“ Leben denkbar wäre, sind wahnsinnig weit entfernt. Eine Crew wäre über Jahrtausende hinweg in einem Raumschiff eingeschlossen und müsste sich dort mehrere Generationen lang innerhalb eines begrenzten Genpools fortpflanzen.
„Der Mars ist ein Wüstenplanet, gegen den selbst die unwirtlichsten Orte auf der Erde einladend wirken“
Menschen werden schon im Berufsverkehr unzurechnungsfähig. Wären wir psychisch dazu in der Lage, für die Dauer solcher Weltraumreisen miteinander auszukommen?
Das ist die Gretchenfrage. Wir sind für ein Leben auf der Erde gemacht. Selbst auf der internationalen Raumstation ISS gibt es kaum Fenster. Und wenn, dann blickt man auf die Erde zurück. Und das ist es dann auch, was die meisten Astronauten bewegt: der Blick zurück auf die Schönheit unserer Welt. Bei Reisen ins All schrumpft die Erde schnell auf weniger als einen Stecknadelkopf zusammen. Was macht dieser Anblick mit Menschen in einem lebensfeindlichen und beengten Habitat, in dem sie ständig extreme Stresssituationen aushalten müssen? Mir ist das auch nach zahlreichen Gesprächen mit Fachleuten aus den Bereichen Psychologie, Anthropologie und Biologie nicht klar geworden.
Ein erfreulicherer Aspekt Ihrer Dokumentation ist die Aussicht darauf, wie es wäre, Sex in der Schwerelosigkeit zu haben. Aber auch das ist kompliziert, warum?
Zwei Körper, die im Weltall aufeinandertreffen, stoßen sich ab. Das ist nicht gerade ideal, wenn Menschen intim miteinander sein möchten. Man braucht also spezielle Kleidung, bei der man sich etwa mit Klettverschlüssen aneinanderheften kann.
Der Weltraum-Sexologe Simon Dubé spricht in Ihrem Film davon, dass im All ganz neue Wünsche und Praktiken denkbar wären.
Das wäre in diesem Fall der einzige Lichtblick (lacht). Das Problem ist einfach, dass wir alle mit „Star Wars“ und „Raumschiff Enterprise“ aufgewachsen sind. Das verleitet einen dazu zu glauben, dass es nur eine Frage der Zeit sei, bis wir ganz komfortabel zu neuen Planeten reisen werden. In Wahrheit ist es eben sehr schwierig. Wir sprachen über die körperlichen und psychischen Hürden. Aber auch ein dem Warp-Antrieb des Raumschiffs Enterprise ähnliches System, das die Reise mit Lichtgeschwindigkeit ermöglichen würde, ist reine Fiktion. Es dauert länger, die dazu notwendige Antimaterie zu schürfen, als die reine Distanz zu Exoplaneten in unserer kosmischen Umgebung zu erlaufen.
„Die Erde ist ein Raumschiff, das perfekt für unsere Bedürfnisse ausgestattet ist. Passen wir besser darauf auf.“
Macht es überhaupt Sinn, den Weltraum zu bevölkern, so wie es Milliardäre wie Elon Musk und Jeff Bezos planen?
Was mich zweifeln lässt, ist die Geisteshaltung, die dahintersteht. Der Ansatz zu sagen: Wenn die Ressourcen der Erde aufgebraucht sind, dann fliegen wir halt woanders hin und „kolonialisieren“ einen neuen Planeten. Kolonisierung ist ein problematisches Wort, das für Ausbeutung und Unterdrückung steht. Der Mensch ist keine Heuschrecke, die ganze Planeten frisst und dann weiterzieht. Elon Musk ist sehr gut darin, seinen Unternehmungen einen humanistischen Anschein zu geben. Vielleicht meint er es sogar ernst. Aber man sollte sich darüber im Klaren sein, dass es hier im Kern um harte wirtschaftliche Interessen wie etwa die Gewinnung seltener Rohstoffe geht.
Ist das die eigentliche Pointe Ihres Films: Unser Raumschiff ist die Erde?
Ich denke schon. Die Vorstellung, man könne einfach zum Mars fliegen und dort eine neue Atmosphäre schaffen, ist im Grunde eine reine Männerfantasie. Dahinter steht ein sehr konsequent geführter Konkurrenzkampf: Wer schafft es als Erster wie weit ins All hinein? Musk spricht davon, die Eiskappen des Mars mit Atombomben zum Schmelzen zu bringen und so Ozeane und eine neue Atmosphäre zu schaffen. Nur gelingt es uns noch nicht mal, unsere eigene Atmosphäre und unser Klima auf der Erde im Gleichgewicht zu halten. Es stimmt: Die Erde ist ein Raumschiff, das perfekt für unsere Bedürfnisse ausgestattet ist. Passen wir besser darauf auf.