Koalition der Städte

Die fantastischen Vier

Mit dem „Pakt der freien Städte“ gründeten die Bürgermeister von Bratislava, Prag, Budapest und Warschau 2019 ein Bündnis gegen den Rechtsruck in ihren Staatsregierungen. Was ist seitdem passiert?

Eine Illustration von vier Figuren, die Wahrzeichen/Gebäude der Städte Prag, Budapest, Warschau und Bratislava darstellen.

Der Pakt der freien Städte, wie ihn der Illustrator Martin Baaske sieht

Wie kurz die Drähte sind, illustriert Zdeněk Hřib mit einem Beispiel aus den Anfangstagen der Corona-Pandemie. Im März 2020 war das. Gerade einmal drei Monate zuvor hatte der Prager Oberbürgermeister mit seinen Amtskollegen aus Budapest, Bratislava und Warschau den „Pakt der freien Städte“ gegründet. Als sich dann die Nachrichten von dem gefährlichen Virus häuften, reagierte er schnell und führte die Maskenpflicht in den Prager Tram- und U-Bahnen ein. „Das haben wir als erste europäische Großstadt umgesetzt, noch vor den Maßnahmen der tschechischen Regierung“, erinnert sich Zdeněk Hřib – und fügt hinzu: „Damit haben wir damals Budapest inspiriert.“ Auch dort gab es schnell nach Prager Vorbild die Maskenpflicht.

Das Beispiel illustriert gut, was hinter dem Pakt steht, den die Hauptstädte im Dezember 2019 medienwirksam geschlossen haben. Damals mutmaßten Kritiker, es handle sich dabei um eine reine PR-Aktion. Auf einer großen Pressekonferenz traten die Bürgermeister der vier Visegrád-Hauptstädte vor die Fotografen – in Budapest war das, der dortige Oberbürgermeister Gergely Karácsony gilt als Initiator des Bündnisses. Mit ihm waren Rafał Trzaskowski (Warschau), Matúš Vallo (Bratislava) und eben Zdeněk Hřib (Prag) bei dem Termin dabei. Hinter ihnen hing eine mannsgroße Tafel, die sie an Ort und Stelle signierten. „Pact of Free Cities“ stand dort auf Englisch, darunter eine feierliche Proklamation, mit der sich die Bürgermeister verpflichteten, „die gemeinsamen Werte von Freiheit, Menschenwürde, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit, sozialer Gerechtigkeit, Toleranz und kultureller Diversität zu schützen und zu verbreiten.“

„Prags Oberbürgermeister Zdeněk Hřib ist Initiator einer viel beachteten politischen Delegation aus Tschechien, die im vergangenen Sommer nach Taiwan reiste – eine klare Distanzierung zur chinafreundlichen Politik der tschechischen Regierung und insbesondere des Staatspräsidenten Miloš Zeman“

Die vier Oberbürgermeister stehen sinnbildlich für die Einwohnerinnen und Einwohner ihrer Hauptstädte, die sich mehrheitlich als urban, liberal und aufgeschlossen verstehen – und damit oft im Widerspruch zu den Regierungen ihrer jeweiligen Länder stehen, die immer wieder populistische und nationalistische Tendenzen an den Tag legen. „Es ist wohl kein Geheimnis, dass ich mit dem tschechischen Premierminister ein ähnliches Problem habe wie der Kollege in Budapest mit dem dortigen Regierungschef“, sagt etwa Zdeněk Hřib. Er gerät regelmäßig mit dem Premierminister Andrej Babiš in offenen Streit, oft bei der Frage nach Geld, etwa für Infrastrukturprojekte. Diese Konflikte sieht Hřib auch als gemeinsames Thema der vier Hauptstädte – als Thema, „das die Selbstverwaltungen in ihrer Existenz bedroht“. Am sichtbarsten seien diese Tendenzen in Warschau und in Budapest: „Unsere Regierungen kürzen die Einnahmen der Städte und wollen damit indirekt eine De-facto-Liquidierung der städtischen Selbstverwaltungen erreichen.“

Die vier Bürgermeister sind jung – zwischen Ende dreißig und Ende vierzig –, und obwohl sie politisch zu unterschiedlichen Lagern gehören (ein Sozialdemokrat in Budapest, ein Christdemokrat in Warschau, ein grüner „Pirat“ in Prag und ein Linksliberaler in Bratislava), sind sie durch einen modernen, liberalen, weltoffenen Zugang zur Politik verbunden. Genau dadurch geraten sie oft in Konflikt mit ihren Regierungen. Prag beispielsweise betreibt inzwischen sogar eine Art Schatten-Außenpolitik: So steht Oberbürgermeister Zdeněk Hřib als Initiator hinter einer viel beachteten politischen Delegation aus Tschechien, die im vergangenen Sommer nach Taiwan reiste – eine klare Distanzierung zur chinafreundlichen Politik der tschechischen Regierung und insbesondere des Staatspräsidenten Miloš Zeman. Aus Peking, aber auch aus den Reihen der eigenen Regierung war damals harsche Kritik zu hören. Die Angst davor, wegen solcher Alleingänge sanktioniert zu werden, war einer der Hauptgründe für den „Pakt der freien Städte“.

„In Zukunft wollen sie für ihre Städte in Eigeninitiative Fördermittel bei der EU beantragen, und nicht mehr über die nationalen Behörden, bei denen das Geld oft zu versickern droht oder zum Nachteil der Hauptstädte weiterverteilt wird“

„Durch gemeinsame Verhandlungen und einen Erfahrungsaustausch ist es möglich, stärkere Kompetenzen und mehr Mittel zu bekommen“, heißt es beispielsweise in Bratislava. Und: „Unsere Lobby-Bemühungen gegenüber den wichtigsten Institutionen der EU zielen darauf ab, die Bedeutung einer direkten Finanzierung der Städte zu betonen.“ Das Lieblingsszenario der vier Bürgermeister: In Zukunft wollen sie für ihre Städte in Eigeninitiative Fördermittel bei der EU beantragen, und das nicht mehr über die nationalen Behörden, bei denen das Geld – so hört man es hinter vorgehaltener Hand im Umfeld der Bürgermeister – oft zu versickern droht oder zum Nachteil der Hauptstädte weiterverteilt wird.

Kritik am Sonderweg der Hauptstädte gibt es allerdings auch. Petr Robejšek etwa, ein konservativer tschechischer Politikanalyst, schreibt ironisch in einem Blog: „So ganz neu ist der Plan nicht. Aus der Renaissance kennen wir die italienischen Stadtstaaten wie Venedig oder Florenz. Die waren damals für ihre Umgebung Machtzentren, verbreiteten Furcht und waren Objekte des Neids. Heute sollen die Visegrád-Metropolen Inseln des fortschrittlichen Guten sein, die tapfer den heranbrechenden Wellen des Populismus und der moralischen Verderbtheit widerstehen.“ Das Problem dabei sei, so Robejšek weiter, dass die Städte nur eine Minderheit ihres jeweiligen Landes repräsentierten – die polnischen Präsidentschaftswahlen, in denen der Warschauer Oberbürgermeister kandidierte und unterlag, haben das deutlich gezeigt.

„Unter anderen Kommunen genießt der „Pakt der freien Städte“ offenbar eine gewisse Strahlkraft: Aus den Visegrád-Ländern hätten bereits Dutzende Gemeinden ihre Unterstützung signalisiert“

Über solche eher spöttischen Kommentare hinaus blieb das Echo auf den „Pakt der freien Städte“ bislang verhalten. Das liegt wohl auch daran, dass seit der groß angelegten Gründungs-Pressekonferenz wenig zu hören war von der neuen Gruppierung. „Der Pakt der freien Städte ist aktiv“, betont allerdings Katarina Rajčanová, die Sprecherin des Oberbürgermeisters von Bratislava. Nur dass die Arbeit eher hinter den Kulissen stattfinde; selbst eine eigene Arbeitsstruktur gebe es inzwischen. So habe jede der beteiligten Städte einen Koordinator für das Projekt; und diese träfen sich alle zwei Wochen, wenngleich derzeit nur virtuell. Thematische Arbeitsgruppen seien in Vorbereitung.

Welche Themen konkret im Vordergrund stehen sollen, ist hingegen noch nicht bekannt. Indizien gibt es allerdings: Es dürfte etwa um das Thema der ökologischen Nachhaltigkeit gehen. „Wir beschränken uns nicht darauf, dass wir gemeinsame Werte haben; wir haben auch konkrete Projekte“, sagt der Prager Oberbürgermeister und wird deutlicher: „Wir haben zum Beispiel gemeinsam den European Green Deal unterstützt und unser Interesse an einem grünen Neustart nach der Corona-Pandemie bekundet.“ Gemeint sind damit die Bestrebungen der EU, Geld in Innovationen zu investieren, die dem Umwelt- und Klimaschutz zugutekommen – ein Thema, bei dem bislang noch keine der nationalen Regierungen in den Visegrád-Staaten durch Aktionismus aufgefallen wäre. Die Städte hingegen haben bereits ihre Experten zusammengebracht, um Ideen auszutauschen und möglicherweise ein gemeinsames Vorgehen zu koordinieren. So schließt sich auch der Kreis zu dem Anliegen, sich einen direkten Zugang zu EU-Fördermitteln zu verschaffen: Gelder für solche Projekte würde man künftig gern direkt aus Brüssel bekommen, heißt es in Bratislava; damit könne man sich ein Stück weit unabhängig machen von der Politik der eigenen Regierung.

Unter anderen Kommunen genießt der „Pakt der freien Städte“ offenbar eine gewisse Strahlkraft: Aus den Visegrád-Ländern hätten bereits Dutzende Gemeinden ihre Unterstützung signalisiert, so hört man aus den Kreisen der Hauptstadtverwaltungen. Und Katarina Rajčanová, die Sprecherin der Stadt Bratislava, kündigt bereits einen nächsten Paukenschlag an: „Derzeit bereiten wir eine Ausweitung des Paktes auf weitere Städte in Europa, aber auch darüber hinaus, vor.“