Das neue Polen

Händchenhalten als Bedrohung

Warum die „LGBT-Ideologie“ zum Kampfbegriff der Regierung wurde und wie Menschen sich dagegen wehren

Ein junger Mann mit Vollbart und Brille steht auf der Straße. Er hält ein Straßenschild in die Kamera. Auf dem Schild steht STREFA WOLNA, OD LGBT, LGBT - FREE ZONE.

Aktivist Bartosz Staszewski reiste in die Gemeinden, die als „LGBT-frei“ proklamiert wurden und machte Fotos von dort lebenden Schwulen, Lesben, Bi- und Transpersonen vor dem Straßenschild

Lesben, Schwule, Bi- und Transpersonen (LGBT) sind in Polen gesetzlich nicht vor Diskriminierung geschützt. Auch homophobe Hassreden sind nicht strafbar. Abscheulichste Vorwürfe können ohne Angst vor juristischen Konsequenzen frei geäußert werden – etwa die Unterstellung, Homosexuelle wollten systematisch Kinder adoptieren, um sie anschließend zu vergewaltigen.

Das Jahr 2019 war für LGBT-Personen wie mich das schlechteste seit Beginn der polnischen Demokratie 1989. Die rechtskonservative PiS-Regierung beschloss eine gezielte politische Kampagne, in deren Kontext zum ersten Mal der Begriff der „LGBT-Ideologie“ auftauchte. Er wurde erfunden, um legal Furcht vor LGBT-Personen zu schüren. Hinter alldem steckt eine schlichte Philosophie: Der Regenbogen steht für die Sünde, und in der „Zurschaustellung der Sünde“ drückt sich die dazugehörige „Ideologie“ aus. So gilt zum Beispiel schon das Händchenhalten gleichgeschlechtlicher Paare als verwerflich. Die Rechte setzte ihre Hasskampagne bis ins Jahr 2020 fort, als sich im Präsidentschaftswahlkampf auch der Amtsinhaber Andrzej Duda in die Verteidigung Polens gegen die „LGBT-Ideologie“ einschaltete. In seinen Wahlkampfreden verglich er die „LGBT-Ideologie“ mit sowjetischer Indoktrination.

„Natürlich gibt es Homophobie in Polen. Aber viel mehr fürchte ich die Gleichgültigkeit“

Wie sollen sich junge LGBT-Personen fühlen, wenn sie zusätzlich zur bekannten alltäglichen Homophobie nun auch noch hören müssen, ihre Identität sei Teil einer Ideologie und als solche eine Bedrohung für die Gesellschaft? Eine solche Botschaft begünstigt den Rückzug ins stille Kämmerlein, denn ein Coming-out wird so sehr viel schwerer. 

Bis heute wurden rund hundert Resolutionen verabschiedet, die sich direkt auf die „LGBT-Ideologie“ beziehen. Darin werden zahlreiche „Gefahren“ benannt, die angeblich von dieser Ideologie ausgehen: Sie bedrohe die lokale polnische Kultur des Christentums durch „Homo-propaganda“ und die Sexualisierung der Jugend. Mit solchen Resolutionen können sich Gemeinden und Regionen zu Zonen erklären, die frei sind von der „LGBT-Ideologie“. Die Medien begannen daraufhin, alle Gemeinden, die diese Resolutionen verabschiedeten, als „LGBT-freie Zonen“ zu bezeichnen. Mir kam daraufhin die Idee, mit einem Fotoprojekt und einem Straßenschild die wahre Bedeutung der homophoben Resolutionen zu enthüllen. Ich reiste durch Polen an die Orte, die als „LGBT-frei“ proklamiert wurden und machte Fotos von dort lebenden Schwulen, Lesben, Bi- und Transpersonen, immer vor dem Straßenschild.

Ich hätte nie gedacht, dass mein Projekt „Zones“ international so große Resonanz finden würde, aber offenbar trifft es einen Nerv. Meine Fotos demaskieren die Menschenfeindlichkeit der rechten Politiker, die sie unter dem Vorwand der „Verteidigung“ gegen die „LGBT-Ideologie“ propagieren. Als ich durch Polen reiste, um Fotos für das Projekt zu machen, sah ich, wie konservativ die polnische Provinz ist – vor den letzten Wahlen waren alle Zäune und Balkone mit Plakaten der PiS-Kandidaten zugekleistert. Das heißt aber noch lange nicht, dass alle PiS-Wählenden die Regierungspolitik in Sachen LGBT gutheißen. Ich glaube, die Menschen außerhalb der Metropolen nehmen die Aussagen der Politiker eher schulterzuckend zur Kenntnis.

Natürlich gibt es Homophobie in Polen. Aber viel mehr als diese fürchte ich die Gleichgültigkeit derjenigen, die von den Sozialprogrammen der Regierung profitieren und deshalb die Menschenfeindlichkeit in den Schulen, auf der Straße und in der Politik billigend in Kauf nehmen.

Aus dem Polnischen von Bernhard Hartmann