Ein südkoreanisches Frauenleben
Die Autorin Cho Nam-Joo erzählt in ihrem Roman von einer Südkoreanerin, die zwischen Tradition und Hypermoderne schwankt
Was muss das für ein Buch sein, das in Südkorea Millionenauflagen erzielte und öffentliche Debatten hervorrief? Cho Nam-Joos Generationenporträt thematisiert Misogynie und Sexismus, indem sie das Leben von Jiyoung von der Geburt bis zum Dasein als unglückliche Hausfrau protokolliert.
Diese ungeschönten Beschreibungen einer Existenz als Mensch zweiter Klasse unterfüttert sie mit soziologischen Daten, die beweisen, dass ihre Darstellung keineswegs übertrieben ist: „Im Jahr 2014, dem Jahr, als Jiyoung ihre Arbeit aufgab, kündigte jede fünfte verheiratete Südkoreanerin ihren Job wegen Heirat, Schwangerschaft oder Kinderbetreuung beziehungsweise Kindererziehung.“
Im Vergleich mit anderen Industrienationen befindet sich Südkorea in Sachen Gleichberechtigung im unteren Bereich, wie der Global Gender Gap Report zeigt. Wie diese systematische Erniedrigung abläuft, legt die Autorin Schritt für Schritt offen.
„Ein typisch südkoreanisches Frauenleben – mit allen Enttäuschungen, die ein streng patriarchales System bereithält“
Von Geburt an werden weibliche Nachkommen geringer geschätzt als männliche. Jiyoungs Mutter entschuldigt sich bei ihrer Schwiegermutter, weil ihre ersten beiden Kinder Mädchen sind. Als beim dritten Mal wieder eine Tochter droht, treibt sie ab. Später erhalten die Söhne der Familie stets das bessere Essen, die großzügigere Ausstattung, das geräumigere Zimmer.
In der Schule werden die Mädchen malträtiert, auf dem Schulweg gestalkt, in der U-Bahn begrabscht, und sobald sie sich beschweren, wird ihnen die Schuld dafür gegeben. Sie hätten das Verhalten der Übeltäter provoziert.
Wie schon in Han Kangs Roman „Die Vegetarierin“ ist auch hier das Essen ein Indikator gesellschaftlicher Verhältnisse. Jiyoung ist eine langsame Esserin, so wird der Zeitdruck in der Schulkantine zum Problem, denn Reste dürfen keine bleiben. Da die Jungs ihre Portionen früher erhalten, bleibt den Mädchen weniger Zeit. Sie schlingen und bekommen Magenschmerzen.
An der Uni wiederum sind sie mit Jobs und Studium so überfordert, dass sie alle an Gewicht verlieren. Stilistisch reicht dieser Roman nicht an Han Kang heran. Die literarischen Mittel, die Cho Nam-Joo für ihre Schilderung einsetzt, sind bescheiden. Der Erfolg des Buches liegt darin, dass ein typisch südkoreanisches Frauenleben mit allen Enttäuschungen, die ein streng patriarchales System bereithält, nüchtern nacherzählt wird.
„Traditionen und Bräuche sind althergebracht, doch die Lebenspraxis verlangt nach Fortschritt. In diesem Zwiespalt werden die Frauen aufgerieben“
Auch wenn es Frauen gelingt, ein Studium gut abzuschließen, werden sie bei der Jobsuche und später im Beruf nie gleichbehandelt: „Hatte eine Frau Schwächen, kam sie deshalb nicht infrage. War sie brillant, galt sie als Unruhestifterin. Und was sagte man ihr, wenn sie mittelmäßig war? Tut uns leid, Sie sind zu durchschnittlich?“
Heutige Vorstellungen einer gleichberechtigten Existenz stehen überkommenen Idealen einer Nation entgegen, die einerseits durch Okkupation, Krieg und Krise traumatisiert ist, sich andererseits innerhalb weniger Jahrzehnte von einer Agrargesellschaft zur Industrienation entwickelt hat.
Traditionen und Bräuche sind althergebracht, die Lebenspraxis verlangt nach fortschrittlicheren Formen. In diesem Zwiespalt werden die Frauen aufgerieben. Auch Cho Nam-Joos Darstellung, die aus ihren eigenen Erfahrungen hervorging, bietet keine Lösung. Sie legt aber ein Muster offen: Gut ausgebildete Frauen geben ihre Arbeit auf, sobald sie Mutter werden.
Ändern wird sich das erst, sobald auch die Männer diesen Missstand spüren. In diesem Roman ist es aber noch lange nicht so weit.
„Kim Jiyoung, geboren 1982“, von Cho Nam-Joo. Kiepenheuer & Witsch, Köln, 2021