Lebenswege | Guinea-Bissau

Hamlet, Hackman und die Heimat

Welket Bungué, geboren 1988 in Xitole im Süden Guinea-Bissaus, ist Schauspieler und Filmemacher. Nachdem er in Portugal und Brasilien gelebt und gearbeitet hat, wohnt er heute in Berlin

Ein seitliches Porträt von einem jungen schwarzen Mann. Er trägt eine Jeansjacke und eine blaue Mütze. Er schaut aus dem Fenster. Der Vorhang ist zur Seite gezogen.

Welket Bungué in Rio de Janeiro

Als ich drei Jahre alt war, verließen mein Vater, meine Mutter, mein Bruder und ich Guinea-Bissau. Das war 1991. Wir zogen nach Lissabon. Da mein Vater in der Armee eine hohe Stellung innehatte, durfte er sich fortbilden lassen. Lissabon hatte er über ein Praktikum zur Agrartechnik kennengelernt. Als ehemalige Kolonie hatte Guineau-Bissau Verbindungen zu Portugal, deshalb war es für uns relativ leicht, Europäer zu werden.

Mein Vater wollte für uns Kinder, dass wir ein anderes Leben führen als er, nicht unbedingt ein besseres, aber ein anderes. Zunächst lebten wir im Zentrum von Lissabon, beim Campo dos Mártires da Pátria. Später zogen wir in die Vorstadt Ramada. Ich war umgeben von Wald und atmete den Duft von Eukalyptus. Nach uns zogen immer mehr Familien aus Guinea-Bissau in die Nachbarschaft. So hatte ich eine lange und sehr soziale, lebendige Kindheit.

An den Wochenenden kam Onkel Carlos, der Bruder meiner Mutter, zu Besuch. Manchmal hatte er für uns einen Videorekorder und Videokassetten ausgeliehen. Wir sahen  dann die großen Filme mit Terence Hill und Bud Spencer, James Bond mit Sean Connery, Clint Eastwood. So wurde ich ans Kino herangeführt, ohne es zu merken. Onkel Carlos war ein Mann, der die Kultur in sich aufgesogen hatte. Als wir alt genug waren, nahm er uns mit ins Kino. Ich erlebte die große Leinwand, den Ton, die Musik. Wir sahen „Der Staatsfeind Nr. 1“ mit Gene Hackman.

Mit der Serie „Morangos com Açúcar“ wurde die Idee, Schauspieler zu werden, auf einmal realistischer

Mit elf Jahren wurden mein Bruder und ich in ein Internat in Beja geschickt, in Südportugal. Wir kamen nur noch in den Ferien nach Hause. Das Internat hatte eine Satellitenschüssel, plötzlich konnten wir noch mehr Filme sehen. Sehr wichtig wurde für uns die TV-Serie „Morangos com Açúcar“ (Erdbeeren mit Zucker). Das Teenie-Drama war für uns deshalb etwas Besonderes, weil wir dort zum ersten Mal junge portugiesische Schauspieler sahen. Doch mit der Serie wurde die Idee, Schauspieler zu werden, auf einmal realistischer, plötzlich sah ich einen Weg. Schwarze Schauspieler kamen in der Serie zwar nur selten vor, aber ab und an poppte doch einer auf.

Und dann kam ausgerechnet einer der Schauspieler aus der Serie an unsere Schule und leitete einen Theaterworkshop. Der war so erfolgreich, dass wir, nachdem ich die Schule abgeschlossen hatte, eine Theaterkompagnie in Beja gründeten. Da war ich 17. Wir spielten „Hamlet“. Die Kompagnie nannten wir „Homlet“, also „Omelett“. Wir wollten mit Konventionen brechen. Für mich wurde dieser Schauspieler ein Mentor, der mir empfahl, was ich lesen sollte: Shakespeare, Strindberg, Tschechow ...

Danach wusste ich für zwei Jahre nicht genau, wie ich weitermachen sollte. Ich verdiente mein Geld in einem Callcenter und in Bars, besuchte einen Kurs, um als Model arbeiten zu können. Doch dann gewann ich ein Casting für das historische Fernsehdrama „Equador“. 2008 drehte ich dafür drei Monate in Salvador da Bahia, zusammen mit den bekanntesten Schauspielern Portugals. Dort traf ich zum ersten Mal viele afrobrasilianische Schauspieler. Und dann kam die große Überraschung: Die Produktionsfirma, die mich für „Equador“ angefragt hatte, fragte, ob ich in „Morangos com Açúcar“ mitspielen wollte!

Durch das Leben in mehreren Ländern habe ich eine andere Vorstellung von Zuhause entwickelt

Erst nach dieser Erfahrung fühlte ich mich wirklich bereit für das Konservatorium und bewarb mich an der Schauspielschule in Lissabon, der Escola Superior de Teatro e Cinema. Für meine Postgraduate Studies ging ich wieder nach Brasilien und studierte Perfomance Arts. Ich verstand mehr von der Rolle Portugals als ehemalige Kolonialmacht, wurde unabhängiger in meinem Denken, in mir erwachte damals auch ein Gefühl für das Schwarzsein, denn in Brasilien wurde ich als europäischer Afrikaner gesehen.

Dann gewann ich viele Castings, drehte Kurzfilme und lernte 2016 in Rio de Janeiro meine Lebensgefährtin Kristin Bethge kennen. Durch das Leben in mehreren Ländern habe ich eine andere Vorstellung von Zuhause entwickelt. Ein Zuhause ist für mich kein physisch-geografisches, sondern das, was ich „den peripheren Körper“ nenne, einen Körper im Transit, der mit der Empfindsamkeit der Menschen in Verbindung steht, nicht mit den Orten.

In Berlin war ich zum ersten Mal, als der Film „Joaquim“ auf der Berlinale gezeigt wurde, in dem ich mitwirkte. 2018 begann dann der Dreh des Films „Berlin Alexanderplatz“, in dem ich Francis spiele. Als Jair Bolsonaro in Brasilien die Wahlen gewann, beschlossen Kristin und ich nach Berlin zu ziehen. Etwas später im Leben möchte ich in meinem Land, in Guinea-Bissau, eine Künstlerresidenz aufbauen, eine Art Hub für Talente und kulturelle Botschafter.

Protokolliert von Stephanie von Hayek