„Gefroren, um zu bleiben“
Pflanzensamen aus aller Welt lagern im norwegischen Permafrost. Der Biologe Åsmund Asdal erklärt, wie wichtig dieses Saatgut für unsere Zukunft ist. Ein Gespräch
Herr Asdal, Sie verwalten einen Tresor, in dem Saatgut aufbewahrt wird. Wofür braucht man so etwas?
Im Svalbard Global Seed Vault bewahren wir Saatgutproben aus der ganzen Welt auf. Das ist sehr wichtig, denn letzten Endes ist es so: Die moderne Landwirtschaft ist auf ertragssteigernde Sorten angewiesen. Ständig werden neue Varianten entwickelt, die resistenter sind gegen Schädlinge oder ein trockeneres Klima.
Kaum ist das verbesserte Saatgut auf dem Markt, nutzen die Landwirte lieber die neuen Sorten. Aber wenn niemand die ursprünglichen Varianten bewahrt, besteht die Gefahr, dass sie früher oder später aussterben. Wir brauchen diese Vielfalt, damit die zukünftige Nahrungsmittelproduktion und -versorgung auch unter veränderten Klimabedingungen gewährleistet ist.
Welche Arten von Samen bewahren Sie auf?
Wir lagern mehr als 1,1 Millionen Saatgutproben von über 5.000 verschiedenen landwirtschaftlich genutzten Pflanzen. Viele Proben stammen von sehr verbreiteten Nutzpflanzen wie Weizen, Mais, Reis oder Kartoffeln. Mittlerweile deckt die Sammlung fast alle Nutzpflanzen ab, die es auf der Welt gibt.
Der Saatguttresor befindet sich tief unter der Erde eines Berges in Spitzbergen, einer Inselgruppe im Norden Norwegens. Warum dort?
Pflanzensamen müssen gefroren aufbewahrt werden, um möglichst lange haltbar zu bleiben. Der Saatguttresor wird künstlich auf minus 18 Grad Celsius heruntergekühlt. In Spitzbergen gibt es Permafrost, darum würden die Samen selbst dann gefroren bleiben, wenn das Kühlsystem ausfallen sollte. Und: Der Saatguttresor ist für Samen aus der ganzen Welt gedacht.
Darum ist es wichtig, dass er von einem Land wie Norwegen verwaltet wird, das überall auf der Welt Vertrauen genießt. Der Saatguttresor ist ein gemeinsames Projekt des internationalen Welttreuhandfonds für Kulturpflanzenvielfalt (GCDT), des norwegischen Landwirtschaftsministeriums und des Forschungszentrums NordGen, bei dem ich angestellt bin. Für Spitzbergen spricht auch, dass die erforderliche Infrastruktur wie Stromversorgung und ein Flughafen bereits existierte, als der Tresor 2008 eröffnet wurde.
Ist die Erderwärmung, die den Permafrost schmelzen lässt, ein Risiko für den Tresor?
In den letzten Jahren hat der schmelzende Permafrost dazu geführt, dass Wasser in den Eingangstunnel des Saatguttresors gesickert ist. Darum mussten wir 2018 aufrüsten und haben einen neuen, komplett wasserdichten Eingangstunnel gebaut. Doch wegen unseres externen Kühlsystems stellt der Klimawandel keine direkte Bedrohung für die Sicherheit des Saatguts selbst dar.
Wo und wie wird das Saatgut gelagert? Wie kann man sich das vorstellen?
Von außen sieht man nur ein dreieckiges Betongebäude mit einer Tür. Tritt man hindurch, führt ein über hundert Meter langer Tunnel tief in den Berg hinein. Man kommt in eine große Halle, die wir „Kathedrale“ nennen. Es ist ein schöner Ort mit einer großartigen Akustik – ich träume davon, dort einmal Saxophon zu spielen!
Von der Kathedrale aus führen drei Türen zu Lagerhallen, in denen jeweils 1,5 Millionen Samen gelagert werden können. Das Innere ist alles andere als spektakulär; es sind ganz normale Lagerhallen mit Regalen. Aber wenn man weiß, was in all diesen Kisten steckt und wie viel harte Arbeit Menschen aus allen Teilen der Welt hineingesteckt haben, dann ist es kaum zu glauben.
Wer entscheidet, welches Saatgut bei Ihnen gelagert wird?
Wir bieten die kostenlose Lagerung von Nutzpflanzensaatgut aus der ganzen Welt an. Die einzige Bedingung ist, dass das Saatgut bereits in einer offiziellen Genbibliothek gelagert und katalogisiert sein muss. Weltweit gibt es über 1.400 Genbibliotheken, welche die jeweilige regionale Saatgutvielfalt bewahren. Sie alle sind eingeladen, uns ihre Samen zu schicken, aber nur, wenn dieses Material auch für die Forschung und damit für die Allgemeinheit verfügbar ist.
Mittlerweile haben wir Duplikate von fünfzig Prozent aller einzigartigen Saatgutproben, die in den Genbibliotheken weltweit lagern, auch bei uns im Saatguttresor gesichert. Gentechnisch verändertes Saatgut lagern wir allerdings nicht in Spitzbergen, denn es ist meist patentiert und steht damit nicht der Allgemeinheit zur Verfügung.
Wie kommt das Saatgut nach Spitzbergen?
Dreimal im Jahr wird der Saatguttresor geöffnet: im Februar, Mai und Oktober. Davor müssen die Genbibliotheken ihr Saatgut vorbereiten: Es wird getrocknet, in wasserdichte Aluminiumhüllen verpackt, versiegelt und in standardisierten Kisten nach Spitzbergen geschickt. Am Flughafen nehme ich die Kisten in Empfang und kontrolliere, ob sich darin wirklich nur Samen befinden.
Ich bringe sie in den Tresorraum, stelle sie in die Regale, mache ein Foto und schicke eine Bestätigungs-E-Mail an die entsprechende Gendatenbank, in der ich mich für die Zusammenarbeit bedanke. Ich liebe diesen Teil meiner Arbeit!
Und wie kann man Samen aus dem Tresor herausholen?
Das Saatgut in unserem Tresor ist das Eigentum der einliefernden Genbibliothek. Wir geben es an niemand anderen weiter. Im Jahr 2015 war erstmals eine Genbibliothek gezwungen, ihr Saatgut zurückzuholen: Das Internationale Zentrum für Agrarforschung in Trockengebieten (ICARDA) hatte seinen Hauptsitz, einschließlich der Saatgutbank, im syrischen Aleppo.
Während des Krieges mussten die Mitarbeiter fliehen und die Saatgutbank war außer Betrieb. Glücklicherweise hatten sie Duplikate ihres Saatguts in Spitzbergen eingelagert und konnten es so bewahren.
In den Medien wird der Saatguttresor mit recht dramatischen Begriffen wie „Weltuntergangstresor“ bezeichnet. Was halten Sie davon?
Ich vermeide solche dramatischen Bezeichnungen, denn der Saatguttresor ist ja ein wichtiger Bestandteil des globalen Sicherheitssystems zur Bewahrung von Saatgut. Natürlich soll er die nächsten Jahrhunderte sicher überstehen, aber er dient nicht der Absicherung vor einem sehr weit entfernten Tag des Weltuntergangs.
Mir persönlich gefällt aber der Begriff „Arche Noah“ für den Saatguttresor. Für den Fall, dass irgendwo auf der Welt eine Saatgutbibliothek zerstört wird, wird das Saatgut in der Arche Noah von Spitzbergen sicher aufbewahrt.
Das Interview führte Gundula Haage